Editorial

Enzymatische DNA-Schredder
Produktübersicht: DNA-Fragmentierungs-Kits

DNA-Fragmentierungs-Kits im Überblickpdficon

(11.10.2023) Die Herstellung von DNA-Bibliotheken wird immer mehr zum Flaschenhals bei der Short-Read-Sequenzierung. Die meiste Zeit lässt sich einsparen, wenn man die DNA im ersten Schritt der Library-Präparation mit Enzymen fragmentiert.

Eigentlich könnte die Welt für Forscherinnen und Forscher, die Next-Generation-Sequencing (NGS)-Techniken für ihre Experimente einsetzen, kaum rosiger sein: Neu auf den Markt gekommene Sequenzierer, etwa von den US-Firmen Element Bisosciences und Ultima Genomics, versprechen einen immer höheren Durchsatz und Preise von nur noch einem US-Dollar pro sequenziertem Gigabasenpaar. Gleichzeitig optimiert und beschleunigt auch der Platzhirsch Illumina seine Short-Read-Sequenziertechnologie, damit ihm die NGS-Newcomer nicht doch eines Tages die Butter vom Brot nehmen und mehr als nur ein paar Krümel vom milliardenschweren Sequenzier-Kuchen abbekommen.

Aber auch die neuen auf Hochdurchsatz und Geschwindigkeit getrimmten Sequenzierer können ein grundsätzliches Problem der Short-Read-Sequenzierung nicht lösen, das sowohl bei den Kosten als auch bei der benötigten Arbeitszeit für die Sequenzierung immer stärker ins Gewicht fällt: Vor der Sequenzierung müssen die DNA-Proben zunächst in kleine Bruchstücke zerlegt und anschließend mit passenden Sequenzier-Adaptern versehen werden, die auf die verwendete NGS-Plattform zugeschnitten sind.

Präzise, aber langsam

Für die Fragmentierung der DNA kann man spezielle Ultraschallgeräte verwenden, die DNA-Bruchstücke mit einer sehr einheitlichen Längenverteilung produzieren. Die Ultraschall-Fragmentierung gilt nach wie vor als Goldstandard, die dazu nötigen Instrumente sind aber teuer und für den Hochdurchsatz nur bedingt geeignet. Die meisten Forscher und Forscherinnen favorisieren daher die deutlich günstigere und auch automatisierbare enzymatische Fragmentierung der DNA. Um sich die Arbeit nicht unnötig schwer zu machen, verwenden sie dazu entweder enzymatische DNA-Fragmentierungs-Kits oder DNA-Library-Prep-Kits mit integrierter enzymatischer Fragmentierung.

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Es ist schon ein Kreuz mit der Short-Read-Sequenzierung: Zuerst zerschnippelt man die DNA – und danach darf man die sequenzierten DNA-Fragmente wieder mühsam in der richtigen Reihenfolge zusammensetzen. Illustr.: University of Utah

Das Zerschnippeln der DNA-Proben mit Enzymen ist eigentlich keine große Sache. Da dabei aber möglichst fix und kostengünstig DNA-Fragmente mit einheitlichen Längen entstehen sollen, haben sich die Kit-Hersteller einiges einfallen lassen – genaue Details zu den verwendeten Enzymen verraten sie aber meist nicht. So ist zum Beispiel auch New England Biolabs Patent für die enzymatische Fragmentierung von DNA mit Fragmentasen ziemlich nebulös formuliert. Aber immerhin erfährt man in der Patentschrift von 2010, dass NEBs Fragmentase offensichtlich aus zwei Enzymen besteht: Einer unspezifischen Nuklease, die einen der beiden DNA-Stränge an vielen verstreut liegenden Stellen einkerbt und dadurch sogenannte Nicks erzeugt; sowie einer mutierten T7-Endonuklease, die den auf der anderen Seite der Nicks gelegenen DNA-Strang zerschneidet und hierdurch einen Doppelstrangbruch verursacht. Je nach Inkubationszeit der Fragmentase entstehen auf diese Weise 100 bis 800 Basenpaare lange DNA-Fragmente mit kurzen Überhängen an den Enden, die anschließend mit einer DNA-Ligase „repariert” werden. An diesem Prinzip dürfte sich auch in den aktuellen Fragmentase-Kits nicht viel geändert haben.

Mit der Fragmentation-Through-Polymerization-Methode (FTP), die Vladimir Kramarovs Gruppe am Vavilov Institute of General Genetics in Moskau austüftelte, kann man sich die Reparatur der Enden sparen (PLoS ONE 14(4): e0210374). Die Russen inkubieren die Proben-DNA mit dNTPs, DNase I sowie einer Taq-DNA-Polymerase-Mutante mit strangverdrängender Aktivität; zunächst zwanzig Minuten bei dreißig Grad Celsius und danach zwanzig Minuten bei siebzig Grad Celsius. Die mesophile DNase I führt im ersten Inkubationsschritt auf beiden Einzelsträngen verstreut liegende Nicks in die DNA ein. Die Taq-Polymerase setzt danach an den Nicks an und verlängert ihre 3'-Enden bis zu einem Nick auf dem komplementären Strang – den ursprünglichen Strang entfernt sie während der Elongation. Zudem fügt sie ein Adenin als Überhang an das 3'-Ende an. Die nötigen Sequenzier-Adapter kann man hierdurch sehr einfach via T/A-Klonierung an die Enden anhängen. Nach den Angaben von Kramarovs Team liefert die FTP-Technik ähnlich strukturierte NGS-Bibliotheken wie die Fragmentase-Methode, spart aber über eine Stunde Zeit ein.

Cut-and-Paste-Transposase

Auf einem gänzlich anderen Reaktionsmechanismus basieren Kits, die Tn5-Transposasen für die enzymatische DNA-Fragmentierung nutzen. Transposasen werden von Transposons codiert, die als sogenannte springende Gene auf dem Genom hin und her hüpfen. Die Transposase schneidet das jeweils passende Transposon in einem Cut-and-Paste-Mechanismus aus der DNA heraus und fügt es an einer anderen Stelle des Genoms wieder ein. Welches Transposon sie ausschneiden muss, erkennt die Tn5-Transposase an 19 Basenpaaren langen invertierten Erkennungssequenzen (Terminal Inverted Repeats, TIRs) an beiden Enden des Transposons.

Barbara McClintock hatte schon in den Vierziger- und Fünfzigerjahren am Cold Spring Harbor Laboratory die Existenz beweglicher genetischer Elemente nachgewiesen und erhielt dafür 1983 den Nobelpreis. Etwas mehr als 25 Jahre danach kamen Forschende der US-Firma Epicentre Biotechnologies, die mit Jay Shendures Gruppe an der University of Washington in Seattle (USA) kooperierten, auf die Idee, eine hyperaktive Tn5-Transposase für die enzymatische DNA-Fragmentierung einzusetzen.

Das Team synthetisierte dazu zwei Oligos, die an einem Ende jeweils die doppelsträngige invertierte Transposon-Erkennungssequenz trugen. Am anderen Ende enthielten sie eine 5'-überhängende Bindestelle für einen Vorwärts- beziehungsweise einen Rückwärts-Primer. Diese sogenannten Forward- und Reverse-Adapter mischte die Gruppe im Verhältnis von eins zu eins mit zwei Teilen der monomeren Tn5-Transposasen und erhielt hierdurch ein dimeres Transposom aus zwei Tn5-Transposasen, die jeweils mit einem der beiden Adapter beladen waren.

Zwei Reaktionen auf einmal

Jetzt mussten die Forschenden nur noch die gereinigte Proben-DNA zu dem Transposom-Komplex zugeben, um die sogenannte Tagmentase-Reaktion (Tagging and Fragmentation) zu starten. Bei dieser kerben die Transposasen des Dimers die beiden Einzelstränge an Stellen ein, die sich gegenüber liegen und um jeweils neun Basenpaare versetzt sind. In vivo würden die Transposasen hier ein passendes Transposon einbauen. Da sie die Adapter aber quasi schon zur Hand haben, verknüpfen sie die 3'-Enden der Adapter mit den 5'-Enden der DNA-Bruchstellen. Anschließend löst man das Transposom mit einem Detergens ab, repariert die neun Basenpaare langen Lücken zwischen den Bruchstellen mit einer Polymerase und hängt die benötigten Sequenzier-Adapter mit einer PCR an die Enden der DNA-Fragmente an.

Kaum hatte Epicentre Biotechnologies die Tagmentase-Technik unter der Handelsmarke Nextera patentiert, verleibte sich Illumina die Firma ein und integrierte sie 2011 in ihr Portfolio. Illuminas Entwicklungsabteilung werkelte danach kontinuierlich an der Nextera-Technik weiter, eine signifikante Neuerung enthielten aber erst die vor einigen Jahren eingeführten Kits mit Bead-basierter Tagmentase-Reaktion. Bei diesen schwimmen die mit den Sequenzier-Adaptern beladenen Transposomen-Komplexe nicht frei in der Reaktionslösung herum, sondern sind durch Streptavidin-Biotin-Verknüpfungen auf der Oberfläche magnetischer Kügelchen fixiert. Die Länge der entstehenden Fragmente hängt von der Größe der Beads sowie der Konzentration der Transposomen ab. Da die Zahl der Transposomen auf den Beads bekannt ist und die Tagmentase-Reaktion nur jeweils einmal pro Transposom stattfindet, kann nur eine definierte DNA-Menge an die Transposomen andocken – selbst wenn die DNA-Menge die Sättigungsgrenze überschreitet, bleiben Ausbeute und Länge der DNA-Fragmente gleich.

Und wie schlagen sich die Fragmentase-Kits im Vergleich mit den deutlich teureren Tagmentase-Kits? Gregor Gilfillans Functional-Genomics-Gruppe am Oslo University Hospital wollte dies genau wissen. Sie untersuchte die Performance von vier Fragmentase- sowie einem Bead-basierten Tagmentase-Kit bei der Ganzgenomsequenzierung (Whole Genome Sequencing, WGS), die sowohl in der medizinischen Forschung als auch in der Krankenversorgung besonders häufig eingesetzt wird (BMC Genomics 23: 92).

Das Team besorgte sich eine Standard-DNA (DNA NA12878) und stellte mit den Kits jeweils aus zehn sowie hundert Nanogramm DNA Sequenzierbibliotheken her, die die Forschenden anschließend mit Illuminas HiSeq-X-System sequenzierten. Die Norweger peilten mit den Kits Fragmentlängen von 350 Basenpaaren (ohne Adapter) an, die hierzu nötigen Reaktionsbedingungen entnahmen sie den von den Herstellern empfohlenen Fragmentierungs-Protokollen. Mit einer Kapillarelektrophorese oder anhand der Paired-End-Sequenzierung, bei der die DNA-Fragmente von beiden Enden aus sequenziert werden, analysierte das Team die von den Kits produzierten Fragmentlängen.

Bis auf einen der getesteten Kits lieferten alle eine sehr enge Fragmentlängen-Verteilung, und auch die tatsächliche Länge der Fragmente stimmte bei den meisten mit der Zielvorgabe ganz gut überein. Aus der Reihe tanzten nur zwei Fragmentase-Kits, die deutlich zu kurze beziehungsweise zu lange DNA-Stücke produzierten. Die mit den getesteten Kits hergestellten Bibliotheken lieferten bei der Sequenzierung 100 bis 300 Millionen Reads pro Library. Interessanterweise hing dabei der Deckungsgrad (Coverage), also die durchschnittliche Zahl der Reads, die eine Zielregion des Genoms abdecken, von der Fragmentlänge ab. Stellte die Gruppe die DNA-Bibliotheken mit den zwei Kits her, die die längsten DNA-Fragmente produzierten, war das Coverage signifikant höher. Mit dem größeren Deckungsgrad war zudem auch eine verbesserte Detektion von Einzelnukleotid-Varianten verbunden. Die Gruppe vermutet, dass DNA-Bibliotheken mit Fragmenten unter 300 Basenpaaren Länge zu redundanten Sequenzier-Daten führen, die den Deckungsgrad reduzieren.

Dennoch stellt das Team allen fünf getesteten Kits ein gutes Zeugnis aus. Es empfiehlt aber die Reaktionsbedingungen bei den Fragmentase-Kits zu optimieren, um deren Kostenvorteil bestmöglich auszuschöpfen.

DNA-Fragmentierungs-Kits im Überblickpdficon


(Erstveröffentlichung: H. Zähringer, Laborjournal 10/2023, Stand: September 2023, alle Angaben ohne Gewähr)


Letzte Änderungen: 11.10.2023