Editorial

Die Kettenbausteinerweiterin

Ralf Neumann


Vergröbertes Bild des Rätsel-Protagonisten

(18.04.2023) In Schlammbakterien fand unsere Gesuchte erstmals einen ungewöhnlichen Makromolekül-Baustein. Und später auch in Menschengewebe.

Fangen wir mal ganz anders an. Und zwar mit den folgenden Sätzen aus einer E-Mail, in welcher der Verfasser unserer Redaktion eine kleine Subklasse weitverbreiteter Kettenmoleküle als Artikelthema vorschlug:

„Vor vielen Jahren hatte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ein rückblickend gesehen sehr nachhaltiges Schwerpunktprogramm aufgelegt, das weltweit das Feld der [betreffenden Biomoleküle] geboostet hatte. Bereits zuvor wurden in Tübingen, München, Halle, Berlin und auch anderswo in Deutschland eine Reihe wegweisender Erkenntnisse in diesem teils ‚anrüchigen‘ Themengebiet gewonnen. Und durch das Schwerpunktprogramm stimuliert wurden neue Generationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern motiviert – und sind darin weiterhin aktiv! Viele der 25 humanen Vertreter [dieser Biomoleküle] spielen sehr zentrale Rollen – zum Beispiel während der Entwicklung, in der hormonellen Regulation, bei der Redoxkontrolle, in der Qualitätssicherung der Proteinbiosynthese et cetera.“

Editorial

Neugierig geworden schauten wir nach, wie das kleine Subfeld einst überhaupt entstand. Und siehe da, den allerersten Vertreter der in der Mail beworbenen Biomolekül-Exoten fand in den 1970ern eine Frau. Nach ihr fragen wir hier.

Geboren wurde unsere Pionierin vor 103 Jahren in Sichtweite des Ontario-Sees. 22 Jahre später machte sie bereits ihren Master in Bakteriologie an einer Universität am Südufer des Cayuga-Sees. Ihren Doktortitel erwarb sie dann auf der anderen Seite der USA – an einer kalifornischen Universität am Ufer einer Meeresbucht.

Der Schlamm dieser Bucht wurde für sie zur Goldgrube, denn dieser enthielt zwei sauerstoffmeidende Bakterien, die – nachdem sie diese daraus isoliert hatte – zu Zugpferden ihrer weiteren Forschungserfolge werden sollten. Zunächst fertigte sie im Labor des Entdeckers einer wichtigen Vitamin-Form ihre Doktorarbeit über die Stoffwechsel-bedingte Biogasbildung dieser beiden Bakterien an. Dabei lernte sie auch ihren späteren Mann kennen, der in der Gruppe als Techniker angestellt war und dort ebenfalls promovierte.

Nach sieben Jahren an der kalifornischen Bucht ging das Ehepaar mitsamt ihren Bakterienkulturen wieder zurück an eine Edel-Universität an der US-Ostküste. Er arbeitete dort zunächst mit einem späteren Nobelpreisträger, sie mit einem anderen. Nur ein Jahr später übernahm Letzterer allerdings die Leitung eines neuen Instituts des Gesundheitsministeriums – und nahm gleich beide dorthin mit. Ein ungewöhnlicher Schritt, denn dass zwei Ehepartner als unabhängige Forscher in ein und demselben Institut eingestellt wurden, war damals eher ein No-go. Beide blieben jeweils bis zu ihrer Emeritierung dort.

Mehr als zehn Jahre lang studierte unsere Gesuchte dort den speziellen Energie- und Vitamin-Stoffwechsel ihrer beiden Bakterien-Haustiere, bis sie im Jahr der Olympischen Spiele in München bei einem von deren Makromolekülen eine seltsame Eigenschaft entdeckte: Die für diese Makromoleküle übliche Kette enthielt in diesem Fall ein unerwartetes chemisches Element. Was gleichsam die Geburtsstunde des gesamten heutigen Subfeldes markierte.

In den folgenden zwei Jahrzehnten purzelten die Erkenntnisse dazu nur so aus der Kiste – und wenn sie nicht direkt aus der Gruppe unserer Gesuchten kamen, war sie meist zumindest beteiligt. So wies sie selber nach, dass das unübliche Element sich stets am selben Kettenglied im Molekül beteiligt und eine wesentliche Rolle bei der Aktivität des Makromoleküls spielt. Tauschte sie die betreffenden Kettenglieder gegen ähnliche Bausteine ohne das Element aus, war die Funktion dahin.

In der Zwischenzeit spürte man solche „Makromoleküle plus Element“ auch in anderen Organismen auf. Unsere Gesuchte selbst fand etwa in Proben eines humanen Lungenkarzinoms einen der ersten eukaryotischen Vertreter. In Kooperation mit einer Münchener sowie anderen Gruppen kam schließlich heraus, dass das Element keineswegs erst nachträglich in das bestehende Makromolekül eingepasst wird. Vielmehr wird es zuerst in den Solo-Baustein eingebaut, der dann direkt bei der initialen Kettensynthese zum Einsatz kommt. Wozu dieser natürlich ein spezifisches Positionssignal für den korrekten Ketteneinbau braucht. Und frei nach dem Motto „Stopp ist nicht immer Stopp“ war dessen Struktur womöglich die größte Überraschung. Nicht zuletzt deshalb fordert die Community schon seit einiger Zeit, das Element-haltige Kettenglied endlich als Voll-Mitglied in die klassische Baustein-Liste mit aufzunehmen.

Vor sieben Jahren starb die „Mutter“ dieses gesamten Feldes. Ein späterer Nobelpreisträger, der sie als Postdoc erlebt hatte, würdigte sie damals mit den Worten: „Ihr Interesse an der Biologie war so rein wie das von niemand anderem, den ich je kannte. Sie liebte die wissenschaftliche Schönheit ohne Rücksicht auf ihren Nutzen. Sie war die Wissenschaftlerin unter den Wissenschaftlern.“

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