Editorial

Die Fragmentverbinderin

Ralf Neumann


Vergröbertes Bild der Rätsel-Protagonistin

(14.06.2023) Ihre Promotionsarbeit legte die Basis für den Nobelpreis ihres Chefs – und ebnete den Weg zu einem millionenschweren Biotech-Patent.

Vor vierzehn Jahren veröffentlichten zwei US-Forscherinnen gleichen Vornamens in einem führenden Forschungsblatt die Ergebnisse einer Studie, für die sie Daten aus internationalen Mathematikwettbewerben ausgewertet hatten. Ihre Kernfrage, die sie zu der Studie motivierte: Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede in den mathematischen Leistungen zwischen Männern und Frauen?

Tatsächlich ergab die Auswertung der Daten, dass im weltweiten Schnitt Männer besser in Mathematik abschnitten als Frauen. Allerdings, so betonten die beiden Autorinnen, handele es sich dabei „weitgehend um ein Artefakt veränderlicher soziokultureller Faktoren und nicht um angeborene und unveränderliche biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern.“ Wo ein hohes Maß an Gleichberechtigung zwischen beiden Geschlechtern herrscht, fanden sie die mathematischen Leistungsunterschiede zwischen Männern und Frauen nahezu aufgehoben. Und auch wo dies eher nicht der Fall ist, korrelierte das Ausmaß des Geschlechterunterschieds auffallend mit dem Grad der generellen gesellschaftlichen Gleichberechtigung.

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Drei Jahre später analysierte eine der beiden Autorinnen zusammen mit ihrem Ehemann, einem Professor für Mathematik und Computerwissenschaft, weitere Daten zu dem selben Thema. Wiederum der gleiche Schluss: „Geschlechtergerechtigkeit und andere soziokulturelle Faktoren [...] sind die wichtigsten Determinanten für die Mathematikleistung sowohl für Jungen als auch für Mädchen.“ Biologische Faktoren würden hingegen keine signifikante Rolle bei den Unterschieden zwischen den Geschlechtern spielen.

Dass die Autorin dieses Artikels zu diesem Zeitpunkt Professorin für Onkologie an einer Universität im nördlichen Mittleren Westen der USA war, wurde wohl nur am Rande wahrgenommen. Und dass sie gar in den frühen 1970ern eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der Kernmethoden zur Herstellung rekombinanter DNA gespielt hatte, dürfte in diesem Zusammenhang erst recht kaum jemand auf dem Schirm gehabt haben.

Aufgewachsen in New York City besuchte sie dort eine auf Naturwissenschaften spezialisierte High School. Am Ende war es James Watsons Buch „Molecular Biology of the Gene“, das in ihr den Wunsch weckte, selbst in die Forschung über die chemischen Grundlagen des Lebens einzusteigen. Aufgrund ihrer ausgeprägten Begabung konnte sie denn auch tatsächlich einen Studienplatz an einer der wenigen hochrangigen US-Hochschulen ergattern, die damals Frauen zuließen. Schon dort begeisterte sie sich vornehmlich für Viren – nicht nur, um zu untersuchen, wie sie Zellen transformieren können, sondern auch, weil sie in ihnen ein System sah, das sich zum Studium der Genregulation in höheren Organismen einsetzen ließ.

Mit aus diesem Grund wählte sie für ihre Doktorarbeit einen Mentor, der an einer Edel-Universität an der US-Ostküste ähnliche Ziele verfolgte. Und der gab ihr gleich ein Pionier-Projekt: Drei bestimmte DNA-Fragmente aus einem Bakterium, einem Virus und einem Bakteriophagen sollte sie neu in einem System vereinen, um es dann Bakterienzellen als funktionales und genetisch selbstständiges Element wieder zuzuführen.

Wenige Monate später hatte unsere Gesuchte die drei DNA-Stücke hergestellt. Es fehlte nur noch eine Methode, um sie zusammenzufügen. Doch ausgerechnet dann drückte ihr Chef die Stopp-Taste. Ein Kollege hatte gewarnt, dass das finale Ergebnis des Versuchs ungeahnte Gefahren bergen könnte. Und auch wenn das hypothetische Risiko in der Praxis gering erschien, entschied ihr Chef, das Projekt vorerst einzufrieren.

Also wandte sich unsere Doktorandin wieder den molekularen Vorgängen der Virus-Infektiosität zu – nur um von dort erneut auf das gleiche methodische Problem zu stoßen: Wie lassen sich DNA-Fragmente miteinander verbinden? Als sie in diesem Zusammenhang schließlich als Erste überhaupt erkannte, dass die von ihr verwendeten Schneidewerkzeuge die DNA nicht glatt zerschnitten, sondern dabei vielmehr eine Art molekularen Überhang erzeugten, war das Problem praktisch gelöst.

Ein Jahr später gelang zwei Kollegen erstmals ein Bakterien-Experiment, wie es unserer Doktorandin ohne die Stopp-Anweisung ihres Chefs wohl längst prinzipiell gelungen gewesen wäre. Schließlich erwiesen sich gerade ihre Erkenntnisse als zentrale Voraussetzung für das Gelingen des Experiments. Wodurch unsere Gesuchte zugleich die Basis für das Multimillionen-Patent geschaffen hatte, das die beiden Kollegen sich mit ihrem Experiment sicherten – wie auch für den Nobelpreis, den ihr Chef neun Jahre darauf entgegennahm.

Sie selbst landete nach einem Postdoc-Aufenthalt in England, wo sie das Xenopus-Oocyten-Expressionssystem mitentwickelte, an der eingangs erwähnten US-Universität. Dort hat sie bis heute wichtige Beiträge zum Verständnis verschiedener Viren, zur Steuerung der Säugetier-Genexpression und zur Rolle des Östrogenrezeptors bei Brustkrebs geleistet. Wie auch zu den mathematischen Leistungen von Männern und Frauen.

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