Muskeln
aus der Spritze
(27.10.2022) …soll es bald vom Berliner Unternehmen MyoPax geben, das mit Stammzell- und Gentechnologien Muskelkrankheiten therapieren will.
Wie wichtig Muskeln für unser alltägliches Leben sind, merkt man oft erst, wenn sie nicht mehr funktionieren. Die Gründe, warum Muskeln ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen, könne man grob in drei Gruppen einteilen, sagt Verena Schöwel-Wolf: „Es gibt kleine Muskeldefekte, wie etwa durch Verletzungen, Muskeldegenerationen als Folge anderer Erkrankungen oder im Alter und genetisch bedingte Muskeldystrophien.“ Die Ärztin ist Mitgründerin und Geschäftsführerin des Berliner Start-ups MyoPax, das Therapien für diese schwer bis gar nicht behandelbaren Muskelerkrankungen entwickeln möchte.
Wie dramatisch Muskelerkrankungen sein können, kennt sie aus der eigenen Berufspraxis in der Hochschulambulanz für Muskelkrankheiten der Charité: „Die Betroffenen dort haben schwerwiegende Erkrankungen, für die es kaum Therapiemöglichkeiten gibt. Der Verlust von Muskelkraft kann zum Beispiel dazu führen, dass die Greiffunktion der Hände enorm eingeschränkt ist oder gar eine maschinelle Beatmung notwendig wird.“
Kälte hält Muskelstammzellen frisch
Grund genug für die Ärztin, sich unter Anleitung ihrer damaligen Chefin und jetzigen Mitgründerin von MyoPax, Simone Spuler, auch im Labor mit Muskelkrankheiten zu beschäftigen. „In dieser Zeit haben die Forschenden um Andreas Marg am Max-Delbrück-Centrum eine Technologie entwickelt, mit der sich aus Muskelgewebe Muskelstammzellen so isolieren lassen, dass sie ihr regeneratives Potenzial behalten“, erinnert sie sich. Auf Basis dieser Erkenntnisse wächst die Idee heran, die Technologie auch therapeutisch einzusetzen.
Die Herangehensweise der Berliner Forschungsgruppe um Spuler und Marg kombiniert eine schonende Zellisolation mit dem gezielten Einsatz von Genscheren, um so auch genetisch bedingte Muskelerkrankungen behandeln zu können. Dabei setzt das Team auf ein spezielles Protokoll, wie die Ärztin erläutert: „Das Muskelgewebe, aus dem wir die Stammzellen gewinnen, wird einem Hypothermie-Verfahren unterzogen. Wir inkubieren es vor der Isolation unter kalten Bedingungen, was dazu führt, dass wir das regenerative Potenzial der Stammzellen später über mehrere Zellteilungen aufrechterhalten können.“
Patentiertes Verfahren
Mit dem mittlerweile in Europa und den USA patentierten Verfahren könne man aus einer „Fingerspitze“ an Gewebe Millionen von hochregenerativen Zellen gewinnen, so Schöwel-Wolf. Neben Muskelgewebe eignen sich auch induzierte pluripotente Stammzellen (iPSC) als Ausgangsmaterial. Je nach Indikation können die so gewonnenen Stammzellen dann mittels Gen-Engineering weiter modifiziert werden. Im Anschluss werden die Muskelzellen den Patienten und Patientinnen wieder injiziert und sollen – so die Hoffnung von Schöwel-Wolf und Co. – nicht nur den geschädigten Muskel wieder aufbauen, sondern auch den gewebeeigenen Stammzellpool auffüllen.
Nach einer ersten zentralen Publikation der Berliner 2014 (J Clin Invest, 124(10):4257-65) begannen 2016 die Vorbereitungen für eine klinische Studie zum Einsatz der so isolierten Muskelstammzellen bei Epispadie, einem angeborenen unvollständigen Verschluss des Blasenschließmuskels. „Menschen, die mit diesem Entwicklungsdefekt geboren werden, sind ein Leben lang inkontinent. Die einzige Möglichkeit bisher ist eine großflächige Operation vor dem sechsten Lebensjahr, die die Blase meist abschließt. Der Urin kann dann nur über einen Katheter abgelassen werden“, verdeutlicht Schöwel-Wolf die Folgen des Defektes.
Millionen aus Berlin nach Berlin
Im Jahr 2021 erreichte das MyoPax-Team dann die gute Nachricht: das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert die sogenannte MUST-Studie mit rund 3,3 Millionen Euro. Mit der Berliner Zell-Therapie soll das fehlende Stück des Blasenschließmuskels durch eine Injektion von Muskelstammzellen ersetzt werden. „Das Ziel ist, dass die betroffenen Kinder erstmals die Fähigkeit zur Kontinenz erlangen können“, sagt die Ärztin. Derzeit befindet sich noch eine weitere Studie in Planung, bei der es auch um die Behandlung genetisch bedingter Muskeldystrophien gehen soll.
Und die guten Nachrichten reißen nicht ab. Erst kürzlich hat das aus der Charité und dem Max-Delbrück-Centrum gegründete Unternehmen eine weitere Förderung und zwar über 1,3 Millionen Euro von der in Kopenhagen ansässigen Stiftung BioInnovation Institute (BII) erhalten. Die unabhängige Stiftung wird hauptsächlich durch die Novo-Nordisk-Stiftung mit Mitteln versorgt, die Hauptanteilseigner des dänischen Pharmakonzerns Novo Nordisk ist. Die BII unterstützt die Berliner nicht nur finanziell, sondern hilft auch dabei, das Start-up auf eine sogenannte Seed-Finanzierung vorzubereiten. „Die Stiftung ermöglicht uns, unsere Forschung in einem geordneten Rahmen in die freie Wirtschaft zu übersetzen. Wir haben dort Zugang zu Mentoren der Stiftung und pflegen den Austausch mit anderen Unternehmen, die sich in einem ähnlichen Stadium befinden“, sagt die Ärztin.
Schnellstmöglich zum Patienten
Mittlerweile hat Schöwel-Wolf ihren Arztkittel vorerst an den Nagel gehängt und konzentriert sich vollständig auf die Führung des jungen Unternehmens. In der nächsten Zeit will sich das Start-up, das derzeit drei Personen beschäftigt, auf die Automatisierung und Verschlankung der Produktionsprozesse konzentrieren. „Wir arbeiten hier mit Arzneimitteln für neuartige Therapien, deren hochkomplexe Herstellungsprozesse sehr neu sind und jetzt angepasst und optimiert werden“, so die Ärztin. Weiterhin planen die Berliner im nächsten Jahr eine größere Finanzierungsrunde, die dann sowohl die weitere Entwicklung der Produkte als auch die Planung nächster klinischer Studien ermöglichen soll. „Das übergeordnete Ziel ist, die neuen Technologien und damit Therapien – sollten wir Wirksamkeit belegen können – schnellstmöglich den Patienten und Patientinnen zugänglich zu machen“, fasst Schöwel-Wolf zusammen.
Tobias Ludwig
Bild: Pablo Castagnola, MDC
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