Editorial

„Wirksamkeit kommt
vor Marketing“

(01.12.2022) Gemeinsam mit Michel Schmid hat José Näf das Start-up Nahtlos im Schweizerischen St. Gallen gegründet. Ihr Ziel: Gelfreie Elektroden für Langzeit-EKGs.
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Die Reise führte von einem Gurt über textile Träger zu den jetzigen Elektroden. Und wenn man noch ein wenig weiter zurückschaut, sogar über Laserschweißen. Immer an der Seite der Gründer: das interdiszi­plinäre Forschungs­institut für Material­wissenschaften und Technologie der ETH Zürich, kurz: Empa (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungs­anstalt). Nahtlos-Co-Chef Näf (im Bild) über Verschlossenheit, Namens­verwirrung und Schweizer Qualität.

Herr Näf, Ihre Website ist über Google nicht so einfach zu finden und selbst wenn man sie gefunden hat, stellt man fest, dass Sie dort nicht gerade mit Informationen protzen. Deshalb dachte ich anfangs, Nahtlos existiert erst seit ein paar Wochen. Aber die Firma gibt es bereits seit 2017. Sind sie absichtlich so verschlossen?
José Näf: Das ist tatsächlich so. In der Medizintechnik gibt es drei wichtige Faktoren, die man erfüllen muss: Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaft­lichkeit. Wir haben gesagt, dass wir uns als Erstes auf die Wirksamkeit fokussieren. Genauer, die Signalqualität unserer Elektroden. Anfangs war unsere Technologie ein EKG-Gurt, dann ging es Richtung Textil, kein T-Shirt, sondern eher eine Art Träger. Der hat auch gut funktioniert, aber das Signal war eben nicht ausreichend im direkten Vergleich mit dem bisherigen Goldstandard, der selbst­klebenden Gelelektrode. Also mussten wir weiter tüfteln und entwickeln. Kriterium zwei ist die Zweck­mäßigkeit, also Aspekte wie: Passt das Konzept in den Kardiologen-Alltag, aber passt es auch für Patientinnen und Patienten? Beides, Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit, kommt vor Marketing.

Editorial

Ursprünglich war also ein Gurt geplant. Wofür sollte der sein?
Näf: Die Intention war, aus dem EKG-Gurt der Empa ein Komplettsystem für die betriebliche Gesundheit zu erstellen, etwa Stressmessung bei Mitarbeitern. Einige Firmen stellen Corporate Health Consultants ein. Die untersuchen, wie angespannt die Belegschaft ist, und präsentieren Möglichkeiten, um Stress zu reduzieren. Mit unserem Gurt wollten wir eine Woche lang kontinuierlich die Herzwerte messen, statt der zwei oder drei Tage eines Standard-Langzeit-EKGs.

Mittlerweile sind Sie aber weg vom Gurt und zu Elektroden gewechselt. Warum?
Näf: Der Punkt ist die hygienische Aufbereitung. So ein Gurt soll ja weiter­gegeben werden und nach der zehnten Reinigung leiden Textil sowie die leitenden Metallfäden und als Folge die Signalqualität. Dann kam die Idee, einen textilen Träger für alle möglichen Patienten zu machen, dicke und dünne. Gemeinsam mit dem Kantonsspital in St. Gallen und einem EKG-Geräte­hersteller haben wir diesen Träger weiterentwickelt. Der hatte Click-in-Elektroden, die man exakt positionieren konnte. Das Problem hier war aber: Wenn Menschen sich bewegen, bewegen sich Träger und Elektroden mit. Das stört das Signal. Ja, und dann sind wir doch wieder bei einzelnen Elektroden gelandet. Mittels medizinischem Kleber haften sie zuverlässig an der Haut. Zwischen Elektrode und Haut befindet sich aber kein Gel, sondern nur ein dünner Flüssig­keitsfilm. Das reicht aus, um den Übergangs­widerstand zu senken. Diesen Ansatz haben wir dann noch einmal ein Jahr lang verfolgt. Jetzt sind wir zufrieden und wollen im nächsten Halbjahr die Elektroden CE-zertifizieren lassen.

Bei einem Gurt kann ich mir „nahtlos“ noch vorstellen, aber bei Elektroden? Was hat es mit dem Firmennamen auf sich?
Näf: Der Name ist in der Tat mittlerweile etwas verwirrend. Aber ursprünglich wurde Nahtlos im Jahr 2017 mit der Idee gegründet, Laserschweißen von Textilien auf den Markt zu bringen. Das Verfahren haben zwei Ingenieure der Empa entwickelt, unter anderem Michel Schmid, Nahtlos-Mitgründer. Bei dieser Technik verschmelzen zwei dünne Membranen miteinander. Weil keine Nadeln durch das Gewebe stechen, gibt es keine feinen Löcher, durch die zum Beispiel Wasser eindringen kann. Solche Nähte müssen im Nachhinein immer verklebt oder verdeckt werden, um dichte Textilien zu erhalten. Nahtlos hat dann eine erste Laser-geschweißte Daunenjacke für einen großen Kunden entwickelt. So entstand der Name. Die Textilien sind nahtlos.

Macht Nahtlos das denn noch weiterhin?
Näf: Wir können es zumindest noch, die Anlage steht weiterhin an der Empa. Aber der Kunde hat sich irgendwann selbst eine Anlage gebaut, sodass sich ein Ingenieur-Service von unserer Seite erübrigte. Michel Schmid suchte dann eine neue Herausforderung und hat sie in den Elektroden gefunden. Seit 2019 arbeiten wir gemeinsam an diesem Projekt.

Noch etwas ist ungewöhnlich am Firmennamen, zumindest wenn ich mich in der Biotech- oder Medtech-Branche umschaue: Nahtlos hat einen deutschen Namen, nichts Englisches mit „Tech“ oder „X“ im Namen.
Näf: Das stimmt. Tatsächlich denken wir darüber nach, den Namen zu ändern, um internationaler zu werden. Andererseits spielen wir mit unserem deutschen Namen auch auf die Assoziation deutscher oder Schweizer Qualität an. Es hat Vor- und Nachteile.

Die Fragen stellte Sigrid März

Was die Elektroden des MedTech-Unternehmens Nahtlos von Standard-Gelelektroden unterscheidet und wie Corona-Masken die junge Firma vorm Ruin retteten, lesen Sie im demnächst erscheinenden Printmagazin (LJ 12/2022).

Steckbrief Nahtlos
Gründung: 2017
Sitz: St. Gallen (Schweiz)
Mitarbeiter: Drei
Produkt: Textile Elektroden für Langzeit-EKG

Bild: Nahtlos


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Letzte Änderungen: 01.12.2022