Editorial

Biodiversität via Barcode

(21.02.2023) Über die in einem Habitat vorhandenen DNA-Spuren lässt sich die Artenvielfalt vor Ort beschreiben. Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht.
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Was kreucht und fleucht denn da? Um Tiere und Pflanzen in einem Habitat zu identifizieren, brauchte man früher Taxonomen – heute gelingt das häufig auch Molekular­biologen. Denn Tiere und Pflanzen lassen verräterische DNA-Spuren in Gewässern, in der Luft, auf Blüten, im Kot oder an Beutetieren zurück. Solche Hinterlassen­schaften bezeichnet man als environmental DNA (eDNA), die Analyse derselben zur Identifi­zierung ganzer Art- und Lebens­gemeinschaften als eDNA-Analysen. Im Prinzip ist das nichts anderes als eine Hochdurchsatz-Sequenzierung der in der Probe vorhandenen Markergene. Zur Bestimmung von Tierarten verwendet man häufig das Gen für die Cytochrom-Oxidase I (COI), bei Pflanzen schaut man sich die Sequenzen für die große Untereinheit der Ribulose-Bisphosphat-Carboxylase (rcbL) und der Maturase K (matK) an. Bei manchen Taxa muss man auf 12S- oder 16S-rRNA oder bestimmte tRNAs ausweichen.

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So gut wie traditionelle Taxonomie?

Die genetische Taxonomie ist in der Mikrobiologie – etwa zur Analyse von boden­bewohnenden Mikro­organismen – schon lange Standard. Doch erst seit wenigen Jahren wird sie auch zur Identifi­zierung von Makro­organismen, also Tieren und Pflanzen, in einem Habitat eingesetzt. Zum Monitoring der Biodiversität bringt das eDNA-Meta­barcoding im Vergleich zur morphologischen Bestimmung erhebliche Vorteile mit sich:

- Es ist keine destruktive Technik.
- Man braucht – eine gute Referenz­datenbank vorausgesetzt – keine taxonomische Expertise, um die Arten zu identifizieren.
- Versteckt lebende, scheue Tiere lassen sich über ihre DNA-Hinterlassen­schaften einfacher nachweisen als mit klassischen Methoden.
- Nur über ihre DNA lassen sich Arten, die morphologisch im Feld nicht unterscheidbar sind, eindeutig identifizieren, ohne dass man die Tiere fangen oder sogar töten muss.
- eDNA-Meta­barcoding ist manchmal preiswerter als die Arbeit von Forschern mit speziellen Arten­kenntnissen – insbesondere dann, wenn die Laborarbeit automatisiert ist.

Vor einem Einsatz der Methode im Naturschutz ist zu klären, inwieweit sie die tatsächlichen Verhältnisse in der Umwelt widerspiegelt. Ist eDNA-Arten­bestimmung so gut wie traditionelle Taxonomie? „Das ist in der Tat eine entscheidende Frage. Die Validierungen, also vergleichende Untersuchungen, lieferten bisher gemischte Resultate,” sagt Rolf Holderegger, Leiter der Forschungs­einheit Biodiversität und Naturschutz­biologie an der Eidgenössischen Forschungs­anstalt WSL in Birmensdorf.

Beispiel Amphibien: Diese Tiere lassen sich klassisch und molekular­biologisch recht einfach nachweisen. Seltene Molche sind mit traditioneller Suche schwer zu finden. Eher kann man sie über eDNA nachweisen – aber das gelang bisher auch nicht in allen Fällen.

Beispiel Insekten: Die kann man vergleichs­weise preisgünstig und einfach mit Fallen sammeln und von Insekten­kundlern bestimmen lassen. Das geht auch schneller und preiswerter mit eDNA.

Beispiel Auerhühner: Per eDNA-Analyse stellte man fest, dass zwei- bis dreimal mehr Auerhühner in der Schweiz leben als man dachte. Denn traditionell zählt man die Hähne auf den Balzplätzen. Doch die Tiere sind sehr scheu, und so hat man viele übersehen.

Beispiel Libellen: die flatterhaften Insekten sind sehr einfach zu bestimmen, doch sie sind auch sehr mobil. „Wir wissen deshalb nicht, ob die Tiere an dem Gewässer, an dem man sie beobachtet, sich auch fortpflanzen. In solchen Fällen ist der Fortpflanzungs-Nachweis über eDNA sehr interessant, sowohl um die Ökologie der Tiere zu verstehen als auch für den Naturschutz. Leider hat das bei seltenen Libellen-Arten mit eDNA bisher nicht geklappt”, sagt Holderegger.

Wenn Tiere sehr versteckt leben – wie etwa viele Wasserinsekten – sind diese mit traditionellen Fang- und Zählmethoden nicht umfassend zu dokumentieren. Das macht den Vergleich mit eDNA-Nachweisen sehr schwierig, wenn nicht unmöglich. Und bei Boden­organismen ist eine Validierung des eDNA-Metabarcoding gänzlich unmöglich, weil man die meisten nicht kultivieren kann. „Es kommt auf die Häufigkeit und Lebensweise einzelner Tierarten an und darauf, wie man die Proben gesammelt hat und wie molekular­biologische Analysen gemacht werden”, resümiert Holderegger.

Das eDNA-Monitoring muss an die ausgewählten Tierarten und -gruppen angepasst werden. Davon weiß Carsten Nowak vom Senckenberg-Museum, Standort Gelnhausen, zu berichten. Seit vielen Jahren folgt er den individuellen DNA-Spuren von Wölfen, Luchsen und Wildkatzen. Aktuell beschäftigt sich seine Arbeitsgruppe mit für den Menschen eher unangenehmen Insekten: Stechmücken. „Von vielen Mückenarten ist die Ökologie noch nicht ausreichend verstanden, man weiß nicht genau, wo die Tiere leben, wo sie sich fortpflanzen, welche hier vielleicht im Rahmen des Klimawandels schon eingewandert sind und wie sie sich ökologisch neben den heimischen Arten einnischen werden. Um die Tiere zu entdecken, entwickeln wir im Moment passgenaue Marker-Chips für eine schnelle kostengünstige Erfassung der unterschiedlichen Lebens­stadien im Wasser als auch in der Luft.”

In den aquatischen Ökosystemen hat sich eDNA-Biodiversitäts­monitoring im Rahmen akademischer Projekte etabliert, in terrestrischen Habitaten hinkt man noch hinterher. Ein besonders schwieriges Habitat durchforsten Gernot Segelbacher von der Universität Freiburg und sein Team: das Totholz. Die Forscher suchten im Bayerischen Wald nach DNA-Fragmenten von Käfern, die im fauligen Holz leben – mit wenig Erfolg. Anscheinend wird die DNA in dem verrottenden Holz sehr schnell zersetzt (Environm DNA, 4:654-60).

Was liegt da in der Luft ...?

Man kann allerdings der terrestrischen Fauna und Flora auch anderweitig auf die Spur kommen, wie schwedische Forscher feststellten. Sie identifizierten DNA von Fröschen, Vögeln und Säugetieren sowie anderer Organismen­gruppen in Luftproben und resümierten: „eDNA in der Luft hat das Potenzial, ein leistungs­starkes Instrument für die Überwachung der biologischen Vielfalt an Land zu werden […].” (Environm DNA, 4:790-807). US-Forscher sehen in der DNA-Analyse von Luftproben sogar das „Potenzial, die Art, wie man Pflanzen­gesellschaften überwacht, zu revolutionieren” (BMC Ecol Evol, 21:218).

Bei allem Erfolg der eDNA-Analysen: Ganz ohne Taxonomen geht es natürlich nicht, das muss man betonen. Wenn beispielsweise eine neue Art in einer Probe auftaucht, weiß der Molekular­biologe nur, dass die Sequenz unbekannt ist. Erst der Taxonom kann das zugehörige Lebewesen – wenn er denn ein Exemplar findet – umfassend und korrekt beschreiben.

Forschungs­berichten zufolge kann eDNA-Metabarcoding im Vergleich zur klassischen Taxonomie sowohl sensitiver als auch zu wenig sensitiv sein. Man fand beispielsweise bei den in den antarktischen Gewässern lebenden Asselspinnen vier Varianten des Cytochrom-Oxidase-I-Gens. Sie waren so unterschiedlich, dass Zweifel aufkamen, die Tiere gehören alle zu der einen taxonomisch beschriebenen Art. Eine sehr detaillierte Nachunter­suchung enthüllte tatsächlich etliche bis dahin übersehene morphologische Unterschiede und bestätigte die Existenz von vier Arten.

„Nicht nur bei den Asselspinnen, sondern auch bei Schmetterlingen, Isopoden, Fliegen und vielen anderen Tiergruppen hat man aufgrund der DNA-Daten neue Arten definiert”, berichtet Florian Leese, der an der Universität Duisburg-Essen die Arbeitsgruppe Aquatische Ökosystem­forschung leitet. Für den Nachweis neuer Arten muss man allerdings in der Regel mehr als nur ein Markergen sequenzieren. Wenn sich die Genome der fraglichen Organismen, die in einem Habitat leben, stabil voneinander unterscheiden, also kein genetischer Austausch stattfindet, kann man von der Existenz verschiedener Arten ausgehen, die sich nicht miteinander fortpflanzen – was ja ursprünglich die Definition einer Art war. Andererseits können DNA-Marker auch auf das Vorhandensein unterschiedlicher Arten hindeuten, obwohl das de facto gar nicht der Fall ist – also falsch-positive Ergebnisse liefern. „Solche Fälle fanden wir bei Flohkrebsen auf Sizilien und auch bei den Asselspinnen”, berichtet Leese. „Man muss vorsichtig sein mit der Arten­bestimmung auf der Basis nur eines Markers. Bei rund 90 oder 95 Prozent passt das, aber Ausnahmen bestätigen halt die Regel.”

Lückenhafte Werkzeugkästen

Entscheidende Bedeutung für ein erfolgreiches eDNA-Meta­barcoding kommt den Referenz­sequenz-Datenbanken zu. Die sind aktuell bei Weitem nicht vollständig. „Je größer die Organismen, je mehr Expertinnen und je besser die Expertise der Taxonomen sind, desto besser sind die Datenbanken”, berichtet Leese. „Für Deutschland ist das Vorkommen von über 33.000 Insekten­arten beschrieben, für mehr als die Hälfte davon haben wir Referenz­sequenzen in den Datenbanken gesichert. Für Schmetterlinge und Käfer haben wir sehr gute Sequenzdaten, bei Milben, Haut- und Zweiflüglern tun sich große Lücken auf. Projekte wie das German-Barcode-of-Life-3-Projekt helfen, diese Datenlücken zu füllen.” Es gibt jedoch bislang keinen „eDNA-Werkzeugkasten“, der für jede Artengruppe und für jedes Ökosystem gleich gut funktioniert, man muss Proben­entnahme, Laborprotokolle und Daten­interpretation jeweils anpassen. Hierfür gibt es jedoch zunehmend Vorlagen beziehungsweise Richtlinien.

Guter Genfluss oder Inzucht?

Ist nun das eDNA-Metabarcoding zur Bestimmung der Biodiversität in der Praxis angekommen? „Was Makro­organismen angeht, finden solche Untersuchungen noch im akademischen Umfeld statt”, sagt Holderegger. „Allerdings gehe ich davon aus, dass zumindest die Sequenzier-Arbeiten nun auch in privat­wirtschaftlich betriebenen Laboren gemacht werden können.” Tatsächlich werden solche Untersuchungen bereits von etlichen Firmen angeboten, beispielsweise von Sinsoma (Österreich), SimplexDNA (Schweiz) und BiomedID (Deutschland). Die Nachfrage nach solchen Daten ist groß, denn das Wissen um die Biodiversität ist trotz aller Forschung noch immer beschränkt. Viele Pilotprojekte und Kalibrierungs­studien wurden von Naturschutz- und Umweltämtern in Auftrag gegeben. „Wir wissen gar nicht, wo wir überall artenreiche Lebensräume haben. Diese gilt es zu identifizieren – und dann können wir sie auch schützen”, sagt Leese. „Dafür sind die genetischen Methoden von entscheidender Bedeutung.”

Will man nicht nur individuelle Arten in einem Lebensraum nachweisen, sondern die genetische Diversität innerhalb einer Population untersuchen, bedarf es mehr Sequenzier-Aufwand: dann muss man Tausende Gen-Abschnitte oder vollständige Genome analysieren. Die Informationen sind vor allem dann wichtig, wenn man es mit kleinen, isoliert lebenden Populationen zu tun hat, denn solche sind besonders vom Verlust des Genflusses und daraus folgender Inzucht bedroht. „An solchen Untersuchungen ist man in der Schweiz sehr interessiert”, berichtet Holderegger. „Um richtige Entscheidungen im Naturschutz treffen zu können, müssen wir wissen, ob der Schwund einer Population auf Veränderungen im Habitat oder auf Inzucht zurückzuführen ist.” Es nützt ja nichts, ein Habitat unter Schutz zu stellen, wenn die dort isoliert lebende Population durch schädliche Mutationen bedroht ist. Und umgekehrt kann eine genetisch gesunde Population von den Lebens­umständen im Habitat bedroht sein. Hier kann die Genomforschung helfen, die Ursachen für den Populations­schwund zu identifizieren. Und auch für Zucht­programme, wie sie zoologische Gärten für sehr seltene Tierarten aufsetzen, ist die genetische Diversität eine wichtige Entschei­dungshilfe für die Anpaarung und Fortpflanzung der Tiere.

Karin Hollricher

Bild: Foto: Wellcome Sanger Institute

Dieser Artikel erschien zuerst in Laborjournal 1-2/2023.


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Letzte Änderungen: 21.02.2023