Editorial

Erst sprühen und trocknen, dann einatmen

(09.03.2023) Das Münchner Start-up-Projekt RNhale entwickelt Nano-Trägersysteme für inhalierbare siRNA-Therapeutika. Asthma-Patienten wird’s freuen.
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Am Lehrstuhl für Drug Delivery der Ludwig-Maximilians-Universität München forschen Olivia Merkel und ihr Team an siRNA-basierten Therapeutika für Erkrankungen der Lunge. Seit knapp zwei Jahren unterstützt sie der gelernte Maschinenbau­ingenieur Benjamin Winkeljann. Aus dem Projekt RNhale soll demnächst eine Firma werden, mit Winkeljann als Geschäftsführer und Merkel als Mitglied des Advisory Boards. Über verstopfte Gitter, Stress und Zuckerwatte.

Der Name des Projekts lautet RNhale. Die Vermutung liegt daher nahe, dass es was mit RNA und der Aufnahme über die Luft zu tun hat, oder?
Benjamin Winkeljann: Genau, der Name bringt RNA-Technologie und Inhalation zusammen und entstand etwas unter Zwang. [lacht] Wir haben uns um einen ERC Grant beworben, also um eine Finanzierung für den Proof of Concept von RNhale. Und die wollen immer ein Akronym als Kurznamen, eine Projekt­bezeichnung haben. Also haben wir uns etwas ausgedacht. RNhale fanden wir gut und eingängig.

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Und demnächst heißt auch Ihre Firma so?
Winkeljann: Genau, das wird dann die RNhale GmbH. Wann wir genau gründen, steht noch nicht fest. Das hängt von einigen Faktoren ab. Noch wird RNhale über den ERC Grant gefördert. Aktuell sind wir zudem in Gesprächen mit Investoren für eine potenzielle Seed-Finanzierung. Wenn das klappt, können wir loslegen. Aber wir werden nicht um des Gründens willen gründen.

RNhale erforscht und entwickelt Nano-Trägersysteme, die siRNA-basierte Wirkstoffe über die Atemluft in den Körper bringen sollen. Wie funktioniert das?
Winkeljann: Bei Therapeutika auf RNA-Basis gibt es mehrere Hürden. Zunächst einmal ist RNA nicht sehr stabil. Wenn man RNA einfach so injiziert, wird sie sehr schnell von Nukleasen abgebaut. Außerdem wird sie kaum von Zellen aufgenommen. Beide Einschränkungen kann man umgehen, indem man RNA in Lipidnano­partikel verpackt, kurz LNP. Die kennen wir jetzt auch im Zusammenhang mit den COVID-19-Vakzinen. Das erste zugelassene RNAi-Therapeutikum Onpattro verwendet ebenfalls diese Technologie. Die Lipidnano­partikel schützen die RNA vor Degradierung und schleusen sie ins Plasma der Zielzellen. Allerdings bleibt ein weiteres Problem: nämlich dass systemisch applizierte LNP zum Großteil in der Leber landen.

Was bei Onpattro durchaus erwünscht ist, weil es seine Wirkung ja in der Leber entfalten soll.
Winkeljann: Das ist richtig. Ich würde sogar sagen, dass es kein Zufall ist, dass der erste zugelassene siRNA-Wirkstoff in der Leber wirkt, weil die Partikel eben natürlicherweise dort landen. Aber der Fokus von Olivia Merkels Forschung liegt ja auf der Therapie von Lungen­krankheiten. Dementsprechend war die Frage: Wie bekommen wir den Wirkstoff in die Lunge? Und dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Die eine ist, eine flüssige Wirkstoff-Formulierung zu vernebeln, sodass der Anwender feine Tröpfchen inhaliert. Dafür wird die Flüssigkeit durch ein hochfrequent vibrierendes Gittergewebe gepresst. Das vertragen Lipidnano­partikel nicht besonders gut. Sie gehen kaputt oder verstopfen das Gittergewebe, sodass es schwierig ist, akkurat zu dosieren.

Sie nutzen also eine andere Methode?
Winkeljann: Ja, die zweite Variante ist ein Trockenpulver. Das kennt man zum Beispiel von Cortison-Inhalatoren für Asthma-Patienten. Das Pulver wird mit dem eigenen Atemstrom angesaugt und in der Lunge deponiert. Wir betten unsere LNP samt siRNA in einen Stabilisator ein und trocknen das Ganze. Dabei entstehen vergleichsweise große Partikel von ein bis fünf Mikrometern, die sich gut inhalieren lassen.

Welche Stabilisatoren nutzen Sie dafür?
Winkeljann: Das sind typischerweise Zucker oder Zucker­alkohole, die auch in anderen Trockenpulver-Formulierungen verwendet werden. Das ist praktisch, weil diese Substanzen bereits zugelassen sind. Sobald die Trockenpartikel mit Lungenfluid oder der Mucosa der Lunge in Kontakt kommen, zerfallen sie und setzen die LNP frei. Die werden dann von den Zielzellen aufgenommen und die siRNA kann Gene regulieren.

Und wie trocknen Sie diese Partikel?
Winkeljann: Auch hier gibt es wieder zwei Hauptverfahren. Die pharmazeutische Industrie nutzt bei sensitiven Materialien gern Gefrier­trocknung, denn die ist relativ schonend. Allerdings dauert der Vorgang lange, was unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten wenig erstrebenswert ist. Außerdem sieht das Produkt im Prinzip aus wie Zuckerwatte und muss im Nachgang zum Beispiel zermahlen werden, um inhalierbare Partikel zu erhalten. Mechanischer Stress wiederum ist schlecht für unsere mit siRNA-gefüllten Lipidnano­partikel. Wir nutzen deshalb eine Sprüh­trocknung, die in der pharma­zeutischen Industrie etwa für die Massen­produktion von Hilfsstoffen eingesetzt wird. Je nach Einstellung entstehen dabei direkt Partikel der richtigen Größe. Allerdings braucht die Sprühtrocknung sehr hohe Temperaturen. Hitze vertragen die LNP nicht. Mithilfe unserer Technologie können wir die Temperatur so weit senken, dass wir die RNA-Therapeutika über Sprühtrocknung prozessieren, ohne dass sie dabei ihre Funktionalität verlieren. Dafür haben wir viel mit Zeiten und Konzentrationen experimentiert. Das ist der Clou von RNhale.

Welche Ziele erreichen Sie mit Ihren potenziellen Wirkstoffen?
Winkeljann: RNhales Fokus ist eher die Plattform-Technologie. Wir wollen anderen Entwicklern eine Möglichkeit an die Hand geben, ihre siRNA-Wirkstoffe oder antisense-Nukleotide effizient in die Lunge zu bringen. Aktuell befinden sich rund 15 RNA-basierte Wirkstoffe für die Therapie von Lungen­krankheiten in klinischen Tests. Bei Asthma zum Beispiel ist der Transkriptions­faktor GATA-3 ein spannendes Target. Auch COPD [Chronisch obstruktive Lungen­erkrankung; Anm. d. Red.] und zystische Fibrose sind Erkrankungen, die von inhalierbaren RNA-Therapeutika profitieren.

Können Sie auch mRNA auf diese Art und Weise verpacken?
Winkeljann: Das haben wir noch nicht getestet. mRNA ist ja noch empfindlicher als siRNA und adressiert auch andere Targets. Interessant wäre das aber bestimmt, vor allem im Zusammenhang mit Lager­stabilität. Zu Beginn der COVID-19-Impfstoff-Auslieferungen haben wir mitbekommen, wie wichtig eine lückenlose Tiefkühlkette für die flüssigen Formulierungen ist. Sollten wir es schaffen, mRNA-Wirkstoffe in Trockenpulver zu überführen, würde das die Lagerung signifikant erleichtern.

Die Forschung an siRNA-basierten Therapeutika hatte ihre Hochzeit kurz nach der Jahrtausend­wende. Danach wurde es etwas ruhiger, vor allem wegen der technischen und methodischen Schwierigkeiten, die Sie ja auch angesprochen haben. Denken Sie, dass mit der Corona-Pandemie und den mRNA-Impfstoffen das Molekül RNA wieder mehr in den Fokus der therapeutischen Entwicklung gerutscht ist?
Winkeljann: Ja, auf jeden Fall. Es stand plötzlich viel mehr Kapital zur Verfügung. Forschung rund um mRNA und siRNA hat in diesem Zusammenhang sehr viel Aufwind bekommen. Das hat sicherlich einige Projekte vom akademischen Level in die klinische Entwicklung gebracht. Denn dafür braucht man viel Geld. Für Investoren sind frühe Projekte oftmals noch zu unausgereift, öffentliche Förderungen hingegen sind nicht ausreichend, um klinische Studien zu finanzieren. Das alles hat sich im Zug der Pandemie durchaus zugunsten der Entwickler verschoben.

Die Fragen stellte Sigrid März

Steckbrief RNhale
Gründung: noch nicht
Sitz: München
Mitarbeiter: 3 (mit Anhang, also studentische Hilfskräfte zum Beispiel)
Produkt: Plattform-Technologie für inhalierbare RNAi-Therapeutika

Bild: Pixabay/JacksonDavid


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Letzte Änderungen: 09.03.2023