Mangelhafte Qualität in Lehre und Versorgung
Bis heute hat sich die Situation noch weiter verschlechtert. Von den 2002 vorhandenen zwölf Lehrstühlen sind nur noch drei erhalten geblieben. Erforderliche Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten, beispielsweise im Rahmen einer Facharztausbildung, können schon seit vielen Jahren nicht mehr angemessen bereitgestellt werden. Diese werden stattdessen auch von niedergelassenen Expertinnen und Experten angeboten, die Universitäten beteiligen sich allenfalls nur noch.
Ein Blick in die benachbarte Schweiz hingegen zeigt: Es geht auch besser. Dort sind die gynäkologische Endokrinologie beziehungsweise Reproduktionsmedizin an allen fünf Universitätsspitälern vertreten. Zwar ist die Versorgung nicht immer mit einer Professur verbunden und die Abteilungen sind nicht immer eigenständig, aber es gibt keine flächendeckende Lücke wie es in fünf deutschen Bundesländern der Fall ist.
Das „Netzwerk Reproduktionsforschung“
Mit der Forderung, die bestehenden Strukturen zu verbessern und die Position der gynäkologischen Endokrinologie und der Reproduktionsmedizin zu stärken, haben sich schon in der Vergangenheit Fachverbände sowie einzelne Vertreterinnen und Vertreter des Faches zu Wort gemeldet. Unabhängig davon schlossen sich 2019 zehn Forscherinnen und Forscher zum „Netzwerk Reproduktionsforschung“ zusammen, um mit einer Reihe von konkreten Vorhaben die Verbesserung der unbefriedigenden Lage ihres Fachgebiets voranzutreiben.
„Wir müssen mit vielen alten Vorstellungen aufräumen “, sagt Jörg Gromoll vom Centrum Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum Münster und Mitbegründer des Netzwerks. „Unfruchtbarkeit ist nicht immer die Schuld der Frau, ist von der Natur nicht gewollt und betrifft nicht nur einige wenige“, so Gromoll.
Doch wie könnte die Forschung zur reproduktiven Gesundheit gestärkt werden? Das Netzwerk Reproduktionsforschung setzt hierbei vor allem auf die Schaffung von Forschungsprogrammen und Fördermöglichkeiten für junge Forschende. Ruth Grümmer vom Institut für Anatomie des Universitätsklinikums Essen und selbst Mitglied des Netzwerks Reproduktionsforschung betont, wie wichtig die weitere Förderung im Anschluss an die Promotion ist: „Die Universität kann den jungen Menschen oft keine Perspektiven bieten. Deshalb gehen sie letztlich doch in eine IVF-Praxis.“ Folglich ist es langfristiges Ziel, einen repräsentativen und eigenständigen Fachbereich innerhalb der universitären Strukturen zu etablieren.
Zwei Leuchtturmprojekte
Zwei Erfolge kann das Netzwerk schon verbuchen: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die Errichtung von Nachwuchszentren. Die Fördermaßnahme erstreckt sich über einen Zeitraum von sechs Jahren und liegt im zweistelligen Millionenbereich. Bei der Gestaltung und der Ausschreibung der Stellen konnte das Netzwerk aktiv mitarbeiten – und so sicherstellen, dass nachhaltig wirksame Strukturen geschaffen werden.
Die Hoffnung ist, dass es über solche Leuchtturmprojekte gelingt, die entsprechenden Forschungsgebiete neu an Universitäten anzusiedeln. „Wenn die Nachwuchsgruppen gute Ergebnisse liefern, haben die Fakultäten auch ein Interesse daran, das auszubauen. So können langfristig auch Professuren entstehen“, erklärt Gromoll.
Als weitere Fördermaßnahme für den wissenschaftlichen Nachwuchs stellte das Netzwerk einen DFG-Antrag zur Errichtung einer Nachwuchsakademie. Der Antrag mit Fokus auf Alterungsprozesse in der Reproduktion wurde Anfang des Jahres bewilligt und schließt auch die Untersuchung von Nachkommen mit ein.
Im gesellschaftlichen Kontext
Was die Förderung durch öffentliche Gelder betrifft, mussten die Mitglieder des Netzwerks feststellen, dass ihr Fach bis dahin auch für die Entscheidungsträger bei den Fördergebern wenig sichtbar war. „Zuletzt war Reproduktion weitgehend ein fortlaufendes Experiment ohne wissenschaftliche Begleitung“, kommentiert Gromoll. Demnach scheint in Gesellschaft und Politik erst seit kurzem ein Bewusstsein zu reifen, dass eine konkurrenzfähige Reproduktionstechnik tatsächlich eine Investition in die Gesundheit nachkommender Generationen ist.
„Vielleicht müssen wir uns selbst ankreiden, dass wir nicht in Lage sind, solche Dinge zu kommunizieren“, greift sich Gromoll an die eigene Nase. Wissenschaftskommunikation ist aber immer ein Zusammenspiel von verschiedenen Akteuren. In Frankreich wird beispielsweise gerade ein breit angelegtes regierungsgefördertes Aufklärungs- und Forschungsförderprogramm etabliert. „Dazu gehören Aufklärungsaktivitäten in der Schule, aber auch Förderung von Forschung“, erklärt Gromoll.
Vernetzung als Ziel
Neben den Vorhaben, universitäre Forschung und Lehre zu fördern sowie Gesellschaft und Politik bezüglich reproduktiver Gesundheit zu informieren und zu sensibilisieren, steht aber auch die Vernetzung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst auf der Agenda des Netzwerks für Reproduktionsforschung. Hierzu soll perspektivisch ein Deutsches Zentrum für reproduktive Gesundheit (DZRG) errichtet werden. Da Unfruchtbarkeit als Volkskrankheit zu sehen ist, liegt es nahe, solch ein koordinierendes Zentrum zu schaffen. Für Infektionskrankheiten sowie Tumor-, Herz-Kreislauf- und andere Erkrankungen gibt es sie schließlich schon länger.
Für die Reproduktionsmedizin ist es bis dahin jedoch noch ein langer Weg, auf dem die Akteure des Netzwerks die Unterstützung aus der Politik sowie den Fachverbänden und -gesellschaften sicher gut gebrauchen können.
Carolin Sage
Dieser hier stark gekürzte Artikel erschien zuerst in ausführlicher Form in Laborjournal 6/2023.
Foto: AdobeStock/SciPro
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Letzte Änderungen: 27.06.2023