Editorial

Von der Beraterin
zur Chefin

(25.04.2024) „Es ist ein nervenaufreibender Job“, sagt Merle Fuchs, die als CEO des Start-ups PRAMO­MOLECULAR an siRNA-Wirkstoffen für Krankheiten in Lunge, Herz und Pankreas arbeitet.
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Der PRAMOMOLECULAR-„Thinktank“ (von links nach rechts): Thomas Eichinger, Merle Fuchs, Ida Shaef und Thomas Hiller

Fuchs berät seit mehr als 25 Jahren Hightechfirmen, hat sieben Start-ups mitgegründet und war viele Jahre als Scout für den High-Tech-Gründer­fonds sowie im EXIST-Sach­verständigenrat des Bundeswirtschaftsministeriums tätig.

Was haben Sie mit Ihrem neuen Start-up PRAMOMOLECULAR vor?
Merle Fuchs: Mithilfe von small interfering RNAs (siRNAs) wollen wir krankheitsverursachende überexprimierte oder mutierte messenger RNAs (mRNAs) abbauen und damit schwere Erkrankungen ursächlich heilen. Das Problem ist, die siRNAs in die Zielgewebe einzubringen. Für dieses Problem haben wir eine Lösung in Form neuartiger kovalent gekoppelter Transportmoleküle für Lunge, Herz und Pankreas gefunden. Bisher sind sechs siRNA-Wirkstoffe zugelassen, die ausschließlich auf Leberproteine wirken, da man bisher nur Delivery-Systeme für die Leber hat. Wir wollen ein leistungsfähiger Wirkstoffentwickler werden. Eine treibende Kraft für uns ist, zu sehen, welches Potential wir erschließen können, sobald wir den ersten siRNA-Wirkstoff in die klinische Phase 2 gebracht haben. Dann können wir eine ganze Familie von spannenden Wirkstoffen nach dem gleichen Muster aufbauen.

Editorial

Wie kam es zur Gründung der PRAMOMOLECULAR in Berlin-Buch?
Fuchs: Ich habe in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten bereits mehr als fünfhundert Start-ups als Beraterin für strategische Unternehmensplanung und Finanzierung begleitet und war bei sieben davon Minderheitsgesellschafterin. Als Beraterin habe ich die Start-ups immer dann verlassen, als es mit ihnen aufwärts ging und sie mich nicht mehr brauchten. Als sich die Gelegenheit ergeben hat, eine eigene Geschäftsidee zu entwickeln, basierend auf meinem Know-how, habe ich diese Gelegenheit zusammen mit meinen Mitgründern beim Schopf gepackt und 2021 die PRAMOMOLECULAR gegründet. Hier bin ich jetzt als Chief Executive Officer (CEO) im Führerstand.

Welche Funktionen haben die Teammitglieder?
Fuchs: Wir sind ein kleines Team. Meine Mitgründerin Ida Shaef ist Biologische Chemikerin und unser Chief Scientific Officer (CSO). Mein Mitgründer Thomas Hiller ist promovierter Biotechnologe und bei PRAMOMOLECULAR Chief Technical Officer (CTO). Beide kommen aus einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe, die sich intensiv mit siRNAs beschäftigt und sind theoretisch und praktisch sehr erfahren. Unter anderem führen sie unsere Experimente durch. Ich selbst habe vor über 25 Jahren das Labor verlassen und bin seither im unternehmerischen Bereich tätig. Bei PRAMOMOLECULAR bin ich dementsprechend für die unternehmerischen Fragen verantwortlich. Wir konnten zudem Thomas Eichinger als Mitarbeiter gewinnen, einen erfahrenen Pharmakologen und Spezialisten für Chemistry, Manufacturing und Control (CMC), der auch ein tolles Netzwerk in der Industrie und in der Academia hat. Unser Team ist ein Thinktank. Wir entwickeln disruptive Ansätze zur Entwicklung von Wirkstoffen mit einem neuen „Mode of Action“ und suchen dann europaweit Spezialisten, die uns bei der Umsetzung unterstützen.

Was kam es zur Entwicklung Ihrer neuartigen Transportmoleküle für siRNAs?
Fuchs: Als ich Side-Investorin für die BianoGMP GmbH war, die therapeutische Oligonukleotide herstellt, lernten wir, dass die Einschleusung in andere Organe als die Leber das größte Problem bei der Entwicklung neuer therapeutischer Oligonukleotide ist. Wir lernten einen Professor kennen, der Methoden entwickelt hat, um Nukleotid-Analoga in Form von Mono­nukleotiden für die Krebstherapie in Zielgewebe einzuschleusen. Dadurch hatten wir die Idee, seine Delivery-Methode für siRNAs zu nutzen. Dabei werden an den Sense-Strang der siRNA über besondere chemische Bindungen zwei bis drei Fettsäuren gekoppelt. Je nach gewählten Fettsäuren und Applikationsbedingungen erreichen wir eine Organpräferenz für die Lunge, das Pankreas oder das Herz. Unsere Delivery-Moleküle bringen siRNAs besonders effizient in diese Zielgewebe ein und induzieren dort Gene-Silencing. Weitere Selektivität erreichen wir dadurch, dass unsere siRNAs auf eine mutierte Krebs-mRNA und nicht auf die Wildtyp-mRNA abzielen. Wir adressieren beim nicht-klein­zelligen Lungenkarzinom und beim Pankreaskarzinom bestimmte KRAS-mutierte Onkoproteine. Außerdem adressieren wir krankheitsverursachende Proteine bei Herzerkrankungen. Für unsere Plattformtechnologie haben wir zwei Patente angemeldet.

Wie haben Sie die Gelder des EXIST-Forschungstransfers für Ihre Firmengründung genutzt?
Fuchs: Wir haben zunächst versucht, Organoidmodelle für das In-vitro-Screening zu entwickeln. Dazu haben wir einen Gewebedrucker angeschafft, und auch mit externen Partnern zusammengearbeitet. Am Ende mussten wir feststellen, dass wir damit nicht weiterkommen, da unsere Delivery-Moleküle nur in vivo wirklich gut funktionieren, nicht aber in vitro. Deshalb sind wir sehr früh in Tiermodelle gegangen und haben so den „Proof of Principle“, also die generelle Machbarkeit, im Mausmodell erbringen und unser erstes Patent anmelden können.

Haben Sie weitere Förderung erhalten?
Fuchs: Wir haben nach unserer Gründung im Jahr 2021 zudem Fördergelder durch die Investitionsbank Berlin (IBB) und Eigenkapital durch drei Business-Angels erhalten. Damit konnten wir den „Proof of Concept“ erbringen, indem wir mit unseren siRNAs in Mäusen, die patienten­abgeleitete Tumore trugen, eine signifikante Reduktion des Tumorwachstums oder sogar Tumorschrumpfung bewirken konnten. Dabei haben die Mäuse unsere Wirkstoffkandidaten gut vertragen. Jetzt suchen wir die nächsten Investoren für eine Finanzierungsrunde über zwei Millionen Euro, womit wir die präklinische Entwicklung abschließen wollen, um 2026 in die klinische Entwicklung einzutreten.

Wie betreiben Sie Wirkstoffsuche?
Fuchs: Wir kennen unsere Ziel-mRNA und die zu adressierende Punktmutation. Wir „verschieben“ in silico die siRNA über die entsprechende Punktmutation, lassen mithilfe von KI die Backbone-Modifikationen optimieren und testen dann die besten siRNA-Kandi­datenmoleküle in vitro. Nachdem wir die Effizienz und Verträglichkeit in der „Krebsmaus“ und in weiteren Testverfahren überprüft haben, ist unsere Lead-Optimization abgeschlossen. Grandios ist zudem, dass wir unsere Wirkstoffkandidaten mit dem kovalent gekoppelten Delivery-Molekül vollautomatisiert unter standardisierten Methoden mithilfe von Oligo­nukleotid-Synthesizern arznei­mittel­konform herstellen lassen können.

Was war bisher das schwierigste Problem, das Sie bezüglich Ihres Start-ups zu lösen hatten?
Fuchs: Unser schwierigstes Problem ist dauerhafter Mangel an Liquidität. Wir müssen extrem effizient unsere zur Verfügung stehenden Mittel ausgeben. Da hilft uns unsere „virtuelle“ Unternehmensstruktur. Dadurch sind wir schon weit gekommen. Ich denke, wir sind gut darin, Probleme zu erkennen und durch intensives Lesen, Nachdenken und durch Gespräche mit Experten auch ungewöhnliche Lösungswege zu identifizieren und einzuschlagen. Das PRAMOMOLECULAR-Team hat auch gelernt, dass wir alles, was Experten als etabliert ansehen, hinterfragen müssen, da wir neue Wirkstoffkandidaten mit neuem „Mode of Action“ entwickeln. Wir beabsichtigen, für Krebspatienten mit den von uns adressierten Mutationen, für die es bisher keine zielgerichtete Therapie gibt, die klinische Phase 1 und 2a zu kombinieren, um bei guter Verträglichkeit schneller die Wirksamkeit unserer siRNAs im Menschen nachweisen zu können.

Worin ist Ihre Firma besser als die Konkurrenz?
Fuchs: PRAMOMOLECULAR hat geringe Fixkosten und ist extrem flexibel. Unsere Plattformtechnologie ermöglicht Gene-Silencing in Lunge, Herz und Bauchspeicheldrüse einfacher und besser als alles, was wir bisher kennen. Alle zugelassenen siRNAs haben sich bisher als ausgesprochen wirksam und verträglich erwiesen. Aufgrund unserer bisherigen Daten glauben wir, dass das auch auf unsere Wirkstoffmoleküle zutreffen wird. PRAMOMOLECULAR nutzt zudem rationales Design und benötigt keine neue Infrastruktur, um die Wirkstoffe arznei­mittel­konform zu synthetisieren. Darüber verfügen ja bereits unsere Partnerunternehmen, die die Synthese auch hoch­skalieren können.

Worauf sollten Gründer Ihrer Erfahrung nach besonders achten?
Fuchs: Ein Gründer muss ständig dazulernen. Man muss herausfinden, was man selbst machen muss und was man delegieren kann. Eine wichtige Eigenschaft ist, zu erkennen, welches das größte Problem ist, dass das Start-up gerade daran hindert, sich weiterzuentwickeln. Das können Fragen der Strategie, des Teams oder der Technologie sein. Dann muss ich herausfinden, wo ich die Antworten finde. Ganz wichtig ist es, sich nicht nur auf das zu verlassen, was andere sagen. Als wir beispielsweise die ersten Tierversuche geplant haben, mussten wir die Abläufe bis ins kleinste Detail selbst planen und konnten dies nicht einfach einer Auftragsforschungsfirma überlassen, wie wir zuerst gedacht hatten. Dazu mussten wir auch etablierte Abläufe in Frage stellen, da wir innovative Wirkstoffe entwickeln, die neue Anforderungen stellen.

Welche Fehler sollten Gründer unbedingt vermeiden?
Fuchs: Das Schlimmste ist, nicht zu entscheiden. Gründer müssen dann aber auch bereit sein, Verantwortung zu übernehmen – auch für Fehlentscheidungen. Man muss außerdem kommunikationsfähig sein, um dazulernen zu können. PRAMOMOLECULAR diskutiert Technologien und Daten sehr offen, um Einschätzungen von Experten zu bekommen. Wir sind auf vielen Fachveranstaltungen mit Vorträgen – aber auch in Einzelgesprächen – vertreten. Auf diese Weise bekommen wir sehr viele Hinweise, an die wir selbst nicht gedacht hätten.

Was braucht es Ihrer Erfahrung nach, um ein guter CEO zu sein?
Fuchs: Der Aufbau eines Unternehmens ist eine riesige Teamleistung. Ein CEO muss in der Lage sein, die unterschiedlichen Talente, Profile und Ziele seiner Teammitglieder unter einen Hut zu bekommen. Besonders intelligente und leistungsfähige Mitarbeiter haben auch besondere Anforderungen an ihre Arbeitsumgebung. Als CEO muss ich versuchen, ihnen dieses Umfeld zu bieten. In einem innovativen Start-up besteht zudem die Hauptaufgabe des CEOs darin, dafür zu sorgen, dass genügend Liquidität vorhanden ist. Das ist ein wirklich nervenaufreibender Job.

Das Gespräch führte Bettina Dupont

Bild: PRAMOMOLECULAR GmbH


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Letzte Änderungen: 25.04.2024