Isolierung ohne Stress

(13.01.2021) Um an genetisches Material für die RNA-Seq zu kommen, sollten Pflanzen­forscher die RNA besser direkt aus den Zellkernen extrahieren statt aus den Protoplasten.
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Ein Stück Weihnachts­stollen kann man auch im neuen Jahr noch hungrig hinunter­schlingen. Wer es aber sanft und genussvoll im Mund zerlegt, nimmt die einzelnen Zutaten mit ihren unter­schiedlichen Aromen und Texturen wahr und erkennt Zusammen­hänge: Nüsse schmecken hart, Rosinen weich, die Kruste sitzt außen und ist über­durch­schnittlich süß.

Ganz ähnlich verhält es sich mit Transkriptom-Analysen mehr­zelliger Organismen. Wer aus der Probe die gesamte RNA extrahiert, bekommt ein Durch­schnittsbild. Die Einzelzell-Transkriptom-Analyse verrät hingegen, welche individuelle Zelle einzelne Gene rauf- oder runter­gefahren hat. Mit der Einzelzell-Analyse ist es möglich, Zellcluster mit ähnlichen Expressions­mustern zu erkennen, etwa regulatorische Netzwerke oder Zelltypen.

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Knackiger Cocktail

Dafür muss man aber erst einmal an das Innere der einzelnen Zellen heran­kommen, was bei Pflanzen­zellen gar nicht so einfach ist. Ihre Zellwände sind äußerst stabil und müssen mit einem Enzym­cocktail geknackt werden. Dieser löst jedoch eine Stress­reaktion aus, die zu entsprechend verzerrten Expressions­mustern führen kann. Die Dosierung des Enzyms und die Dauer des Verdaus variieren je nach Spezies und Gewebe, ebenso wie das Aufkommen an Stören­frieden wie Plastiden, Vakuolen und Sekundär­metaboliten. Zudem sind die isolierten Zellwand-losen Protoplasten so empfindlich wie rohe Eier und erfordern eine äußerst sensible Behandlung.

Sascha Sauers Gruppe am Max-Delbrück-Zentrum für Molekulare Medizin sowie der Humboldt-Universität in Berlin hatte offen­sichtlich genug von dem Eiertanz mit den Protoplasten. Sie entwickelte eine Technik, mit der man die RNA nicht aus dem Zytoplasma, sondern direkt aus dem Zellkern herausholt. Muss man nur die Zellkerne isolieren, die eine recht einheitliche Größe haben, kommen dem Experi­mentator keine störenden Kompar­timente oder Metabolite in die Quere. Zudem lässt sich die Integrität der Zellkerne sehr einfach über­prüfen, damit nur intakte Kerne für die RNA-Seq verwendet werden. Einziger Wermuts­tropfen: Labore ohne Hightech-Ausstattung bleiben auf der Strecke.

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Arabidopsis und anderes Grünzeug

Das ursprünglich für Arabidopsis entwickelte Verfahren funktioniert auch mit Blüten diverser Zierpflanzen sowie mit Tomaten­blättern und anderem Grünzeug. Los geht’s mit circa einem Gramm schock­gefrorenem Material, das im Mörser zermalmt und in fünf Milliliter Honda-Puffer (2,5 % Ficoll 400, 5 % Dextran T40, 0,4 M Sucrose, 10 mM MgCl2, 1 µM DTT, 0,5 % Triton X-100, 1 Tablette/50 ml cOmplete Protease-Inhibitor-Cocktail, 0,4 U/µl RiboLock, 25 mM Tris-HCl, pH 7.4) gelöst wird.

Die Zellmembranen lysieren hierdurch, während die Kernmem­branen intakt bleiben. Zerlegt wird das Gewebe bei vier Grad Celsius rein mechanisch in einem sogenannten MACS Dissociator, der jede Probe gleich intensiv bearbeitet und abgelöste Partikel in die umgebende Flüssigkeit freisetzt (ein Video dazu gibt’s hier). Die entstandene Suspension aus Zell­trümmern und Kernen wird durch ein 70-µm-Sieb filtriert und danach sechs Minuten bei 1.000 g sanft zentrifugiert. Anschließend resuspendiert man das Pellet, das die Kerne enthält, erneut in Honda-Puffer und filtriert die Suspension durch ein 35-µm-Sieb, das intakte runde Kerne gerade noch hindurch­lässt. Die Zellkerne werden danach zentrifugiert und in PBS-Puffer in Gegenwart von RNAse-Inhibitoren und DAPI inkubiert. Mithilfe eines FACS-Geräts werden die DAPI-gefärbten Zellkerne schließlich sortiert und landen in 4-prozentigem BSA, das mit dem DNA-bindenden Farbstoff NucBlue versetzt ist, mit dem man intakte und beschädigte Kerne unter­scheiden kann.

Ein Kern pro Well

Die erhaltene Suspension zweifarbig markierter Kerne wird danach auf einen Chip mit barcodierten, winzigen Vertiefungen (Nanowells) transferiert. In jedem Nanowell hat im Idealfall eine Zelle beziehungs­weise ein Zellkern Platz. Welche Positionen korrekt besetzt wurden, verrät die zum Gerät gehörende Imaging-Station. Im Schnitt erhielten die Berliner 1.000 Kerne pro Chip, die sie anschließend in den einzelnen Wells mit 50 Nanolitern RT-PCR-Mix versetzten. Mithilfe des Nanowell-spezifischen Barcodes konnten sie die revers transkri­bierten Reaktions­produkte konzentrieren und wieder vereinen, um sie anschließend in eine barcodierte cDNA-Bibliothek zu über­führen, die sie schließlich sequenzierten.

Durch den Barcode konnte die Gruppe die sequenzierten Transkripte den Zellkernen zuordnen, aus denen sie stammen. Die Berliner Forscher stießen in den Transkriptom-Daten auf einige bisher unbekannte (Cluster-spezifische) Markergene, deren Echtheit sie mithilfe transgener Pflanzen und Reportergene belegten.

Andrea Pitzschke

Sunaga-Franze D. et al. (2020): Single-nuclei RNA-sequencing of plants. BioRxiv, DOI:10.1101/2020.11.14.382812

Bild: kaibara87 (CC-BY-2.0)