T-Zellen von der Stange
(04.11.2021) Matterhorn Biosciences nutzt spezielle T-Zellen für eine generalisierte Krebstherapie. Das Prinzip dahinter ist auch wissenschaftlich neu.
Das Basler Unternehmen ist eine Ausgründung des Labors für experimentelle Immunologie am Department Biomedizin der Universität Basel sowie des Universitätsspitals. Immunologin und Firmen-CSO Lucia Mori (im Bild) über Tumormetabolite, komplexe Komplexe und prominente Gebirgsformationen.
Frau Mori, Matterhorn Biosciences forscht an MR1-spezifischen T-Zellen beziehungsweise entwickelt eine Krebstherapie auf der Basis dieser Zellen. Was macht MR1 und dagegen gerichtete T-Zellen so besonders?
Lucia Mori: Wir haben 2017 herausgefunden und publiziert, dass diese MR1-T-Zellen Tumoren erkennen, und zwar über einen äußerst ungewöhnlichen Weg [eLife, 6:e24476]. Bislang war die Lehrmeinung, dass nur Peptide, die auf MHC-Molekülen von Tumorzellen präsentiert werden, eine Immunantwort auslösen können. Diese MHC-Peptid-Komplexe werden von spezifischen T-Zell-Rezeptoren erkannt und von den entsprechenden T-Zellen eliminiert. Auch Glykolipide, die auf MHC präsentiert werden, wurden bei uns im Labor bereits als Targets identifiziert. Dann fanden wir die MR1-T-Zellen und erkannten, dass das Universum möglicher Targets für T-Zellen und T-Zell-Rezeptoren nicht auf Proteine und Lipide beschränkt ist.
Sondern? Was erkennen die MR1-T-Zellen?
Mori: Es sind verhältnismäßig kleine Moleküle, Metaboliten. MR1 steht für Major Histocompatibility Complex (MHC) Class-I-Related Molecule 1. Dieses Molekül ähnelt der typischen Struktur der MHC-Klasse-I-Moleküle, mit einer schweren Kette und einer kleineren Untereinheit, dem ß-Mikroglobulin. Die Struktur bildet eine Tasche, in welcher im Fall von MR1 Metabolite gebunden werden. Somit verhält sich dieser Komplex wie ein Antigen-präsentierendes Molekül, quasi als Signal: „T-Zellen hierher, mit dieser Zelle ist etwas nicht in Ordnung“. Ursprünglich dachten wir, dass die MR1-T-Zellen ausschließlich auf bakterielle Stoffwechselprodukte reagieren. Interessanterweise zeigten aber einige MR1-T-Zellen eine Aktivierung auf Zellen, die niemals Bakterien gesehen hatten. Wie war das möglich? Irgendwann wurde uns klar, dass eine Subpopulation unserer MR1-T-Zellen die Tumorzelllinie erkannte, auf der wir zuvor unsere Studien durchgeführt hatten.
MR1 wird auch auf allen Körperzellen exprimiert, auch auf gesunden, wenn auch in deutlich geringerer Menge als auf Tumorzellen. Woher „weiß“ die MR1-T-Zelle, welche Zelle sie angreifen muss? Ist es die Kombination von MR1 und den speziellen Metaboliten, die die Tumorzellen verraten?
Mori: Genauso ist es. Das ist kein einfaches Konzept. Die Idee ist, dass MR1 in gesunden Zellen nur schwach auf der Zelloberfläche exprimiert wird und stattdessen ungefaltet am endoplasmatischen Retikulum verharrt. Erst wenn eine Krebszelle die spezifischen Stoffwechselprodukte produziert, wird das Molekül richtig gefaltet und gelangt mit dem Metabolit an die Zelloberfläche. Die MR1-T-Zellen erkennen dann nur den Komplex aus MR1 und Metabolit.
Unterscheiden sich diese Metaboliten je nach Tumortyp, sodass beispielsweise spezielle MR1-T-Zellen bei unterschiedlichen Krebserkrankungen angewendet werden können?
Mori: Ganz im Gegenteil, und das ist sogar erwünscht. Wir haben Krebs-assoziierte Metabolite identifiziert, die bei vielen verschiedenen Tumoren vorkommen, zum Beispiel sowohl bei Brustkrebs als auch bei Dickdarmkrebs. Das wiederum bedeutet, dass unterschiedliche Tumoren von denselben T-Zell-Rezeptoren und damit auch von denselben MR1-T-Zellen erkannt werden können. Damit schaffen wir die Grundlage für eine sehr breit angelegte Krebstherapie.
Ein weiterer Vorteil ist, dass MR1 nicht so polymorph ist wie die klassischen MHC-Moleküle. Wir verwenden für die Therapie von uns identifizierte T-Zell-Rezeptoren. Die gleichen Rezeptoren erkennen unterschiedlichste Tumoren in verschiedenen Patienten, solange diesen den richtigen Metaboliten auf MR1 präsentieren. Das haben wir bereits für zahlreiche Tumortypen nachgewiesen.
Welche Vorteile ergeben sich für Patienten durch eine solche Therapie, verglichen zum Beispiel mit klassischen T-Zell-Rezeptor-Therapien?
Mori: Wir werden in Zukunft eine Art „T-Zelle von der Stange“ generieren, die wir bei verschiedenen Krebs-Patiententypen anwenden können, solange der Tumor den Metaboliten auf MR1 präsentiert. Wir isolieren T-Zellen aus Spendern, klassifizieren diese und statten sie mit unseren definierten T-Zell-Rezeptoren aus. Dann vermehren wir sie zu großen Mengen für die Therapie. Wenn wir dann anhand einer Biopsie eines Krebspatienten die speziellen Tumormetaboliten charakterisiert haben – das können wir zuverlässig mit einem Massenspektrometer –, greifen wir einfach in unseren Kühlschrank und holen die T-Zellen heraus, deren Targets mit den Zielmetaboliten übereinstimmen. Sie benötigen also keine Patienten-eigenen T-Zellen, die mühsam isoliert, modifiziert und wochenlang expandiert werden müssen. Das dauert nicht nur sehr lange, sondern ist auch sehr kostspielig. Stattdessen nutzen Sie eine maßgeschneiderte, personalisierte T-Zell-Therapie ohne T-Zellen aus dem Patienten.
Wir hoffen, dass die Therapie, die wir vorbereiten, nützlich sein wird, aber sie ist bislang noch nicht für klinische Studien zugelassen. Aus diesem Grund können wir derzeit noch keine Patienten aufnehmen.
Was genau hat all das nun aber mit Bergen zu tun? Denn schließlich tragen Sie ein besonders markantes Exemplar im Namen.
Mori: Der Name stammt tatsächlich von unseren Investoren, Versant Ventures. Sie haben eine Tradition: Unternehmen, die sie unterstützen und mit aufbauen, bekommen Namen von prominenten Bergen. Das Matterhorn verbindet Italien und die Schweiz. Wir Gründer, Gennaro De Libero, Filippo Oliveri und ich, sind Italiener, arbeiten aber in der Schweiz. Das war also die Art und Weise, Gründer und Unternehmen gleichermaßen mit einem Berg zu beschreiben.
Das Gespräch führte Sigrid März
Steckbrief Matterhorn Biosciences
Gründung: 2019
Sitz: Basel
Mitarbeiter: etwa 10
Produkt: MR1-T-Zellen als Basis für eine generalisierte T-Zell-Therapie
Bild: Matterhorn Biosciences (L. Mori) & Pixabay/kristinadobo
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