Meer schwappt über
in die Medizin
(15.12.2022) Algen, Quallen und Krebse produzieren medizinisch interessante Substanzen. Das küstennahe Bündnis BlueHealthTech möchte sie nutzbar machen.
Mit Wissen aus der Meeresforschung Osteoporose frühzeitig diagnostizieren? Klingt abwegig, funktioniert aber. Wie? Das erzählte uns Stefan Kloth, Geschäftsführer der Kieler Osteolabs, Anfang 2019: „Die Meeresforschung beschäftigt sich auch mit dem Element Calcium, welches z. B. in Korallen eingelagert wird. Die Einlagerung von Calcium in Korallen hat den Mitgründer Anton Eisenhauer auf die Idee gebracht, sich analog mit der Einlagerung von Calcium im menschlichen Skelett zu beschäftigen“ („Dem Knochenschwund auf der Spur“, LJ Online, 14.02.2019).
Bei Osteoporose kommt es zum Abbau von Knochengewebe, was sich in einem veränderten Verhältnis von leichten (42Ca) zu schweren Calcium-Isotopen (44Ca) in Blut oder Urin niederschlägt. Darauf aufbauend entwickelte das Osteolabs-Team Frühtests für zu Hause und die ärztliche Praxis, die seit einiger Zeit auf dem Markt sind. Ganz aktuell arbeitet das GEOMAR-Spin-off an einem Blutfrühtest zur Erkennung von Knochenmetastasen bei Prostatakrebs. Auch dieser Test basiert auf den Calcium-Isotopen-Verhältnissen.
Norddeutsches Bündnis
„Das Wissen der Meeresforschung birgt noch viele ungenutzte und verborgene Potenziale für Anwendungen in den Life Sciences und der Medizin“, ist sich Osteolabs-Mitgründer Eisenhauer sicher. Genau aus diesem Grund hat sich die norddeutsche Forschungs-Community rund um Kiel zu einem neuen Verbundprojekt namens BlueHealthTech zusammengeschlossen. Koordiniert wird das Ganze von, genau, Anton Eisenhauer, der dabei seine Erfahrung als GEOMAR-Wissenschaftler und Osteolabs-Entrepreneur mit einbringen kann. Denn beim Bündnis machen nicht nur Forschungseinrichtungen wie das GEOMAR, das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein und die Uni Kiel mit. Beteiligt sind auch ortsansässige Firmen wie eben Osteolabs aus Kiel oder die Büsumer Bluebiotech, die sich auf die Zucht von Mikroalgen wie Rhodomonas und Phaeodactylum für die Aquaristik, Aquakultur und als Nahrungsergänzung spezialisiert hat.
Bereits im November 2021 erhielt das Verbundprojekt grünes Licht vom Bundesministerium für Forschung und Bildung. Inkludiert ist dabei auch eine Förderung von zunächst 8 Millionen Euro bis 2024, nach einer erfolgreichen Zwischenevaluation könnten weitere 7 Millionen bis 2026 fließen. „Ich hätte es mir nicht besser ausmalen können“, fassten die ersten Evaluatoren ihren Eindruck nach einem Jahr BlueHealthTech schonmal zusammen. „Wir sehen viel Potenzial“.
Lausiger Produzent
Unter anderem beim Projekt Pro-ASTAX, das erst vor wenigen Wochen gestartet ist. ASTAX steht hier für Astaxanthin, ein Antioxidans, das für die Behandlung von Krebs interessant sein könnte. Es gibt jedoch ein Problem. Die Mikroalge Haematococcus pluvialis, auch Blutregenalge genannt, stellt das rötlich-violette Carotinoid zwar natürlich her, allerdings nicht kontinuierlich und effektiv. Nun liegt es am Pro-ASTAX-Team, die Bedingungen für die Kultivierung der Mikroalge im industriellen Maßstab zu verbessern.
Übrigens: Vor drei Jahren berichtete uns das damals noch nicht gegründete Start-up Bicomer aus Bielefeld über seinen Ansatz zur nachhaltigen Astaxanthin-Produktion. Es greift dabei auf Corynebacterium glutamicum zurück, mit dem das Carotinoid im Fermenter hergestellt wird („Buntes aus Bakterien“, LJ Online, 12.12.2019).
Wasserbewohner produzieren aber nicht nur Antioxidantien, sondern allerhand interessante und potenziell nützliche Substanzen. Braunalgen etwa stellen Alginate her, Quallen spezielle Varianten von Collagen und Krustentiere Chitin. All diese Substanzen (oder ihre Abkömmlinge im Fall von Chitin) „eignen sich sehr gut zur Entwicklung von Trägermaterialien“, sagt Sabine Fuchs in einer Pressemitteilung. Die Leiterin der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Uniklinikums Schleswig-Holstein koordiniert das BlueHealthTech-Teilprojekt „BlueBioPol“, das sich mit marinen Biopolymeren beschäftigt und diese fit machen will für die Medizin. Zum Beispiel als Grundlage für therapeutisch genutzte Hydrogele in der regenerativen Medizin.
Gele mit neuen Eigenschaften
Fuchs interessiert sich dabei besonders für die Regeneration von Knochen und Knorpel bei Erkrankungen wie der Osteoarthritis. Vor ihrem Einsatz als Knochenheiler werden den marinen Biopolymeren allerdings erst noch ganz neue Eigenschaften verpasst. „Indem wir bestimmte funktionale Nanomaterialien in die Hydrogele einbringen, erhalten sie neue Funktionen. So können sie zum Beispiel responsiv werden und auf äußere Reize wie Licht, Temperatur oder elektrische Signale reagieren“, erklärt Projektpartner Fabian Schütt von der Uni Kiel.
Wie das funktionieren kann, demonstrierten Fuchs, Schütt und Kollegen in einem im Juni veröffentlichen Paper (Mar Drugs, 20(6):402). Bekannt ist, dass Chitosan zusammen mit anionischem beta-Glycerophospat ein Temperatur-sensitives Hydrogel bildet, das bei niedrigen Temperaturen flüssig und somit injizierbar ist, sich bei höheren Temperaturen aber verfestigt. Das ist schonmal gut, noch besser wird’s, wenn man zu diesen beiden Zutaten noch Collagen vom Typ 1 hinzufügt. Das verbessert die Biokompatibilität, die Zelladhäsion und die Geliereigenschaften des gesamten Gels. Mit diesem Gel-Trio als neuartiges Delivery-System konnten Fuchs und Kollegen eine weitere vielversprechende Substanz aus dem Meer für die regenerative Medizin therapeutisch nutzbar machen: Fucoidan.
Einflussreicher Zucker
Fucoidan wird von Braunalgen wie Fucus vesiculosus, dem Blasentang, produziert, die es in ihren Zellwänden einlagern. Auch menschliche Zellen sprechen auf den Vielfachzucker an. So soll Fucoidan eine ganze Reihe von zellulären Prozessen beeinflussen, wie den RNA-Metabolismus, die Protein-Synthese, Protein-Transport und sogar die Regulation des Zellzyklus. Forscher berichten von antiviraler Aktivität, einem positiven Einfluss auf das Mikrobiom und sogar von „anticancer activities“ (Mar Drugs, 17(10): 571). Ob es auch die Regeneration von Knochen und Knorpel unterstützt, wird sich nun mit dem neuartigen Hydrogel zeigen.
Die Hoffnung beim BlueBioPol- wie auch anderen Projekten des BlueHealthTech-Bündnisses ist, dass viele der Ideen und Entwicklungen in Ausgründungen münden. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Osteolabs hat’s ja bereits vorgemacht.
Kathleen Gransalke
Bild: Pixabay/Pexels
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