Schwierige Karrierewege
(25.01.2021) Eine Befragung von fast 9.000 Wissenschaftlern zeigte, dass die berufliche Situation vor allem von Postdocs noch immer unbefriedigend ist.
Zu den erfreulicheren Ergebnissen der Befragung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) gehört, dass sich seit der Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes 2016 die Vertragslaufzeiten verlängert haben. Die Befristungsquote im Mittelbau liegt allerdings bei 87 % und hat sich damit kaum verändert. Unter den noch nicht Promovierten streben 20 % eine Professur an, unter den Postdocs sogar knapp 43 %. „Insgesamt verbleiben nach anderen Erhebungen aber nur 15 % der Promovierten in der Wissenschaft und nur 3% erhalten eine Professur“, gibt die habilitierte Mikrobiologin Gesche Braker, Geschäftsführerin des Postdoc-Zentrums der Universität Kiel zu bedenken. Entsprechend niedrig fällt in der DZHW-Umfrage die berufliche Zufriedenheit der Postdocs aus.
Auch aus der Sicht der befragten Professor(innen) sind die Hauptprobleme des wissenschaftlichen Nachwuchses eine unsichere Karriereperspektive und nicht wettbewerbsfähige Einkommensmöglichkeiten. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) setzt sich daher mit einer Petition für Dauerstellen für Daueraufgaben in der Wissenschaft ein. „Diese gibt es im deutschen Wissenschaftssystem anders als in Großbritannien, Frankreich, den USA und vielen anderen Ländern kaum. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler klagen zurecht, dass diese Strukturen die persönliche Lebensplanung bis hin zur Familiengründung massiv erschweren“, so Andreas Keller, Stellvertretender Vorsitzender und Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung der GEW.
Ausstieg aus der Wissenschaft
Ähnliche Klagen hört man seit vielen Jahren. Lohnen sich Postdoc-Tätigkeit und Promotion dann überhaupt? „Für wen die Beschäftigungssicherheit oberste Priorität hat, sollte sich nach der Promotion um eine unbefristete Beschäftigung außerhalb von Hochschulen und Forschungseinrichtungen bemühen“, rät Keller. Außerdem empfiehlt er eine GEW-Mitgliedschaft, um einen Beitrag zur Durchsetzung der Reform von Karrierewegen und Personalstrukturen zu leisten, aber auch um eine individuelle Rechtsberatung in Anspruch nehmen zu können.
„Wer eine akademische Karriere in den Blick nimmt, sollte auf jeden Fall eine Postdoc-Phase von zwei bis vier Jahren bis zum nächsten Karriereschritt einplanen“, rät Braker. „Wer aus der Wissenschaft aussteigen will: je früher der Ausstieg gelingt, desto besser. In den Natur- und Biowissenschaften ist Postdoc-Erfahrung von ein bis zwei Jahren auch außerhalb der Wissenschaft oft gern gesehen, wenn man hinterher begründen kann, wie man sich in der Zeit noch weiterentwickelt hat“, fügt sie hinzu. Außerhalb der Wissenschaft sei die Postdoc-Phase von geringem Karriere-Mehrwert, wenn sie nicht übergangsweise gedacht sei und im Sinne der Berufsplanung eingesetzt werde, bestätigt Maike Reimer vom Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung.
„In unseren Beratungen nennen Postdocs als Karriereziel oft eine unbefristete Beschäftigung im wissenschaftlichen Mittelbau“, berichtet Braker. „In diesem Bereich gibt es aber nur begrenzte Stellenkapazitäten, beispielsweise Funktions- oder Koordinationsstellen, oder Stellen mit dem Schwerpunkt Lehre. Häufig sind die Vergabeverfahren aber nicht transparent und eine berufliche Weiterentwicklung nur begrenzt möglich.“
Richtig schwierig werde es für die, die eine langjährige Postdoc-Zeit absolviert haben, sich kurz vor oder nach der Habilitation befinden oder eine Juniorprofessur innehatten. „Dann wird man als sehr spezialisiert und als dem wissenschaftlichen System verhaftet angesehen“, erläutert Braker, die auch Mitautorin der Studie „Perspektiven nach der Promotion – Berufswege außerhalb der Wissenschaft: Arbeitgeber im Gespräch“ ist.
Gute Aussichten unmittelbar nach der Promotion …
Die frisch Promovierten sind in einer besseren Lage. „In den meisten naturwissenschaftlichen Fächern und insbesondere in den Life Sciences ist die Promotion auch für die außeruniversitäre Karriere immer noch förderlich, oft sogar eine Voraussetzung“, erklärt Ludmilla Aufurth, Karriereberaterin an der Freien Universität Berlin. „In der Beratung beobachte ich, dass Master-Absolventen mitunter Schwierigkeiten haben, Stellenangebote zu finden, die keine Promotion voraussetzen. In Gesprächen mit Promovierten habe ich festgestellt, dass diese den Übergang in den außeruniversitären Arbeitsmarkt auch nicht unbedingt als leicht empfinden“, so Aufurth.
Brauchen die Bewerber deshalb für eine Tätigkeit außerhalb der Wissenschaft Zusatzqualifikationen? Nicht unbedingt, meint Aufurth. „Die ‚fehlenden’ Qualifikationen sind oft recht überschaubar“, so die Karriereberaterin. „Es gibt von der Agentur für Arbeit geförderte Weiterbildungen, die mögliche Lücken schließen. Ob sie nötig sind, hängt eher von der aktuellen Arbeitsmarktsituation ab. In der Regel sind Unternehmen und Kandidat(innen) für hochqualifizierte Jobs in der Lage, diese Lücken im Arbeitsalltag zu schließen“, so Aufurth. Bei angespanntem Arbeitsmarkt können solche Weiterbildungen allerdings die Chancen der Bewerber erhöhen. „Natürlich sollte man sich grundsätzlich nur auf Stellen bewerben, wenn das Profil in etwa passt. Aber es gibt Zeiten und Situationen, in denen man die im Jobprofil gestellten Anforderungen ‚übererfüllen’ muss, um überhaupt eine Chance zu haben. Und dann gibt es Zeiten – wie jetzt – in denen es sich lohnen könnte, auch mal etwas zu wagen“, fügt sie hinzu.
... und für Mediziner
Für Mediziner ist die Situation derzeit entspannt, da sie einen aufnahmefähigen Arbeitsmarkt außerhalb der Wissenschaft vorfinden. „Neue Herausforderungen werden sich durch die neu etablierten Clinician-Scientist-Programme ergeben, in deren Rahmen während der Facharztausbildung Patientenversorgung und Forschung gleichberechtigt nebeneinander betrieben werden sollen“, erläutert Braker. „Die Clinician Scientists werden zwar durch Freistellungen für die Forschung oder Zugang zu Ressourcen und Qualifizierungsangeboten unterstützt, befinden sich aber in direkter Konkurrenz mit anderen, nicht ärztlich tätigen Wissenschaftler(innen)“, berichtet Reimer.
In den Natur- und Lebenswissenschaften sei die Lage schwieriger, da die Wege nicht so vorgezeichnet seien. „Hier gilt es, selbst künftige Berufsfelder zu explorieren und mit den eigenen Zielen und Prioritäten abzugleichen“, erklärt Braker.
Bewerben trotz Coronakrise
Wie sieht die Stellensituation in der Coronakrise aus? „Die derzeitigen Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft werden, sofern möglich, verlängert, zum Beispiel durch die Anpassung durch die WissZeitVG-Befristungsdauer-Verlängerungs-Verordnung aufgrund der COVID-19-Pandemie. Auch Förderorganisationen wie die DFG haben reagiert und die Förderdauer verlängert“, berichtet Braker.
Soll man sich momentan überhaupt bewerben? Auf jeden Fall, raten die Karriereexpertinnen. „Besonders in Medizin, Medizintechnik, Biotechnologie, Pharmazie ist ja aktuell eher mit zusätzlichen Stellen zu rechnen“, berichtet Aufurth. „Wenn man die Stellenportale momentan durchsieht, sind höchstens geringe Auswirkungen der Pandemie festzustellen“, bemerkt Braker. „Schwieriger wird es vorauszusehen, wie sich die Pandemie langfristig auf den Stellenmarkt auswirken wird, aufgrund von Insolvenzen und des Schuldenberges des Bundes und der Länder“, fügt sie hinzu. Natürlich seien Einbrüche in anderen Branchen zu verzeichnen, beispielsweise in der Automobil- und Flugzeugindustrie, die beide wichtige Abnehmer der Chemieindustrie seien, räumt Aufurth ein. „Aktuell gehen Arbeitsmarktexperten aber noch davon aus, dass sich der Arbeitsmarkt zumindest für Hochqualifizierte nach der Coronakrise recht schnell wieder erholen wird.“
Bettina Dupont
Bild: Pixabay/Free-Photos