Der Verlag, der zu viel wusste
(07.06.2021) Von Google, Amazon und Co. ist man es schon gewohnt, aber auch akademische Verlage schnüffeln ihren Kunden – Wissenschaftlern – hinterher.
Der europäische Internetnutzer kennt es bereits. Sobald man eine Webseite, seien es Nachrichtenportale, Rezeptsammlungen oder Wetterberichte, öffnet, springt einem sofort ein kleines Fenster entgegen. „Wir benötigen Ihr Einverständnis“, heißt es dann oft. Nun hat man zwei Möglichkeiten, entweder genervt auf „Alle akzeptieren“ klicken oder sich die endlose Liste der Cookies mal genauer ansehen. Entscheidet man sich für Letzteres kommt früher oder später auch der ausdauerndste Scroll- und Clickfinger an seine Grenzen.
Nur allzu gern wollen die Webseiten-Betreiber mehr über die Webseiten-Nutzer erfahren. Wofür interessieren sie sich, wer sind sie? Oft werden hierzu sogar Plattform-übergreifende Profile erstellt. Und wofür das alles? Für passgenauere Werbung, hauptsächlich. Dass Facebook, Google und Amazon eine Vorliebe für das Sammeln und Auswerten von Kundendaten haben und diese auch meistbietend verkaufen, ist bekannt und wird von vielen sorg- und klaglos hingenommen. Wie aber sieht es mit akademischen Verlagen aus? Die sind doch seriös, oder nicht?
Kekskrümel zur Nachverfolgung
Schauen wir uns also mal beispielhaft auf der Webseite von Elsevier um. Dank DS-GVO ist das ja problemlos möglich. Unter „analytische Cookies“ finden sich unter anderem:
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Ja, auch akademische Verlage sind keine Ausnahme – auch hier wird spioniert, was das Zeug hält. „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssen (...) feststellen, dass sie nicht allein in der Leitung sind, wenn sie recherchieren. Ihr Informationsverhalten kann minutiös mitgeschnitten werden, egal, wo und an welchem Gerät sie sitzen,“ schrieben Björn Brembs von der Uni Regensburg und Kollegen Ende letztes Jahr in der FAZ. Nicht nur auf den Verlags-Webseiten werden Forscher und Forscherinnen ausgeschnüffelt, auch wenn sie Tools und Services nutzen, die die Verlage zur Verfügung stellen.
Elsevier is where you are ... to support you
Und da hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Denn vielen Verlagen reicht es nicht mehr, wissenschaftliche Literatur zu publizieren. Sie wollen überall mitmischen, im gesamten Forschungsablauf. So hat beispielsweise Elsevier Millionenbeträge für das Literaturverwaltungsprogramm Mendeley und die Publikationsdatenbank Scopus ausgegeben. Auch für das Forschungsdaten-Management hat sich der niederländische Verlag die passende Software eingekauft (PURE wird beispielsweise an der Uni Hamburg eingesetzt). Jedes Mal, wenn Wissenschaftler oder die Univerwaltung diese Tools nutzen, gelangen bedeutungslos erscheinende Informationen in die Hände der Verlage.
Für die Verlage sind diese „Nutzerspuren“ allerdings alles andere als bedeutungslos. „Through the seamless provision of these services, these companies can invisibly and strategically influence, and perhaps exert control, over key university decisions“, schrieben Autoren der Scholarly Publishing and Academic Resources Coalition (SPARC) bereits 2019 in einem Report.
Vorteilhafte Insider-Infos
Und es gebe auch noch direkte Vorteile für die Verlage, führen die Autoren weiter aus. Indem sie bereits frühzeitig in Erfahrung bringen, welche Forscher oder welche Forschungsthemen gerade angesagt sind, könnten die Verlage ihre Geschäftspläne entsprechend anpassen. Zum Beispiel einem talentierten Nachwuchsforscher einen Platz im Editorial Board eines ihrer Journale anbieten. Oder neue Hot-Topic-Journale herausbringen – lange vor der Konkurrenz. Mithilfe der kostenlosen Datenspende von unwissenden Wissenschaftlern können die Verlage ebenso ihr Dienstleistungsportfolio gewinnbringend aufpolieren.
Was kann man gegen die Schnüffelei tun? Wie es scheint, nicht viel. Die Tools im Forschungsalltag nicht zu nutzen, dürfte in manchen Situationen schwierig, wenn nicht sogar unmöglich sein. Klagen? Bringt auch nicht viel. Denn was die Verlage machen, ist (bis jetzt) völlig legal.
Brembs et al. haben daher die Petition „Stop Tracking Science“ ins Leben gerufen, die von mehr als 400 Wissenschaftlern unterzeichnet wurde (Stand: 7.6.2021). „The current development towards science tracking violates fundamental rights and the integrity of an open knowledge society“, heißt es dort. Die Unterzeichner fordern deshalb, dass das Tracken sofort beendet werden muss. Forschungsinstitute sollen Zahlungen an Verlage, die Forschern aus rein kommerziellem Interesse hinterherspionieren, sofort einstellen und mit ihnen auch nicht mehr über beispielsweise Abo-Deals verhandeln. Förderorganisationen wiederum sollen Instituten, die dem nicht nachkommen, Fördergelder verwehren.
Nicht unbedingt schädlich
„Die einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind momentan auf die Nutzung der von Verlagen bereitgestellten Information angewiesen, daher wäre ihr Ausschluss von der Förderung keine geeignete Maßnahme“, schreibt uns hingegen die DFG auf Anfrage. Auch sie ist sich der Problematik bewusst – erst Ende Mai veröffentlichte ihr Ausschuss für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme (AWBI) ein Informationspapier zum „Datentracking in der Wissenschaft“. Darin spricht man zwar auch offen von „Wissenschaftsspionage“, aber, wie uns die DFG weiter mitteilt, „man hält eine Datensammlung nicht per se für schädlich; (…) es müssen (jedoch) neben einer rechtlich zulässigen Vorgehensweise auch ethische Aspekte wie Nachvollziehbarkeit, Transparenz, Widerspruchsmöglichkeiten, die eine Nutzung der Dienste nicht behindern usw., durch die Anbieter gewährleistet sein. Auch sollten die derart erhobenen Daten von der Wissenschaft selbst umfassend genutzt werden können“. Möglicherweise taucht das Thema demnächst sogar im Bundestagswahlkampf auf, wenn es unter anderem um die Regulierung von digitalen Plattformen geht. Die DFG hat es jedenfalls in ihr Impulspapier, das Empfehlungen für politische Akteure zusammenträgt, aufgenommen.
Und sie wird sich auch weiter mit dem Thema befassen, versichert DFG-Pressereferentin Magdalena Schaeffer. Aktuelle Mission: Forschende, die Wissenschaftspolitik und die weitere Öffentlichkeit „für die Problematik der möglichen potentiellen Nachverfolgung von Nutzungsspuren über verschiedene digitale Recherche- und Informationsangebote zu sensibilisieren und aufzuklären“.
In der Zwischenzeit sammeln die Verlage fleißig weiter persönliche Daten von noch nicht sensibilisierten Forschern und Forscherinnen.
Kathleen Gransalke
Bild: Pixabay/Anabel_P
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