Gesunde Bräune

Larissa Tetsch


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Illustr.: Juliet Merz

Editorial

(11.03.2020) FREISING: Braune Fettzellen verbrauchen Energie. Die Umwandlung von weißen in braune Fettzellen bietet sich deshalb als Therapieoption bei Übergewicht an. Aber wie wird dieser Vorgang reguliert?

Übergewicht entsteht, wenn dauerhaft mehr Energie aufgenommen als verbraucht wird. Theoretisch sollte es einfach sein, dem entgegenzuwirken: Diät oder Sport. Aber beides wird von vielen Menschen als Einschränkung empfunden oder kann teilweise aus anderen Gründen nicht effektiv umgesetzt werden. Es wäre also äußerst praktisch, würde der Körper das Fett von selbst verbrennen. Was heute wie Science Fiction klingt, könnte zukünftig Wirklichkeit werden – mithilfe von braunem Fettgewebe. Denn dieses erzeugt Wärme, indem es Fett verbrennt.

Während man bis vor zehn Jahren glaubte, dass es diesen Typ von Fettzellen nur bei Winterschlaf haltenden Säugetieren sowie Säuglingen zur Aufrechterhaltung der Körpertemperatur gibt, weiß man heute, dass auch Erwachsene aktivierbare braune Fettzellen besitzen. Entscheidend für die Wärmeproduktion ist das Entkoppelnde Protein UCP1. Es transportiert Protonen über die innere Mitochondrienmembran und zerstört dadurch den durch die Atmungskette über der Membran aufgebauten Protonengradienten. Da nun kein ATP mehr produziert werden kann, wird die bei der Fettverbrennung freigesetzte Energie in Wärme umgewandelt. Braune Fettzellen enthalten im Inneren zahlreiche Fetttröpfchen und Mitochondrien, die ihnen ein gelblich-braunes Aussehen verleihen.

Editorial

Ausgelöst wird ihre Wärmeproduktion durch einen Kältereiz, der den Sympathikusnerv aktiviert, sodass dieser Noradrenalin ausschüttet. Das Hormon bindet wiederum an einen G-Protein-gekoppelten-Rezeptor auf der Oberfläche der braunen Fettzellen und schaltet dadurch eine Signalkaskade an, die zur Aktivierung von Fettabbau und UCP1 führt. „Ein chronischer Stimulus führt zur Rekrutierung von sogenannten ‚beigen’ Fettzellen“, erklärt Martin Klingenspor, Lehrstuhlinhaber für Molekulare Ernährungsmedizin am Else-Kröner-Fresenius-Zentrum der Technischen Universität München in Freising, der sich mit diesem besonderen Typ metabolisch aktiver Fettzellen beschäftigt.

Schlank gebräunt

Genau wie braune können beige Fettzellen Wärme erzeugen, werden aber nur unter bestimmten Bedingungen innerhalb von weißem Fettgewebe ausgebildet – ein Vorgang, der als „Bräunung“ von weißem Fettgewebe bezeichnet wird. „Klassisches braunes Fett liegt in anatomisch definierten Depots, in denen sich nur braune Fettzellen befinden“, beschreibt Klingenspor den Unterschied. „Beige Fettzellen entstehen dagegen aus Vorläuferzellen im weißen Fettgewebe. Außerdem können sich auch schon ausdifferenzierte weiße direkt in beige Fettzellen umwandeln.“

Durch die Förderung dieses Prozesses könnte man ein fettspeicherndes teilweise in ein fettverbrauchendes Organ umwandeln und so möglicherweise Menschen helfen, die unter starkem Übergewicht leiden. Immerhin gibt es Hinweise darauf, dass Menschen mit vielen Wärme erzeugenden Fettzellen weniger zu Übergewicht neigen, während andererseits braunes Fett bei übergewichtigen Menschen und im Alter abnimmt.

Vor einem möglichen therapeutischen Ansatz muss aber genau verstanden sein, wie die Bräunung reguliert wird. Hier haben die Freisinger Forscher in Kooperation mit Bioinformatikern der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Lausanne wichtige neue Erkenntnisse gewonnen (Cell Reports 29: 4099). Dazu nutzten sie einen Ansatz, der über bisherige Studien hinausgeht, wie Klingenspor erläutert: „Molekulare Mechanismen und Transkriptionsfaktoren der Bräunung sind schon vorher untersucht worden. Diese Studien basierten aber alle auf Zellen, in denen gezielt einzelne Gene ausgeschaltet waren. Inwieweit sich natürliche Variationen im Bräunungsverhalten durch die so gefundenen Faktoren erklären lassen, war unklar. Wir haben uns stattdessen die natürliche Bandbreite an Bräunungsneigung bei verschiedenen Maus-Inzuchtlinien zunutze gemacht, um Schlüsselfaktoren und ihr Zusammenspiel in der beigen Fettzellentwicklung zu identifizieren.“

Um den Einfluss des Sympathikusnervs auszuschließen, isolierten die Forscher Vorläuferzellen aus dem weißen Fettgewebe von fünf verschiedenen Maus-Inzuchtlinien und differenzierten diese in Kultur. „Mit den Zellen der fünf Mauslinien haben wir vor sowie nach der Differenzierung eine vergleichende Transkriptomanalyse durchgeführt“, so Klingenspor. So wurde bei den Inzuchtlinien mit geringer Neigung zur Bräunung auch das UCP1-Gen weniger abgelesen. Gleichzeitig konnten Stämme, die mehr UCP1 bildeten, besser auf einen Kältereiz mit einer Erhöhung der Körpertemperatur reagieren. Aus den gewonnenen Daten identifizierten die Forscher weitere, zwischen den Mausstämmen verschieden stark exprimierte Gene, die mit UCP1 als Marker für die Bräunungsfähigkeit korrelierten. Aus der Menge an gebildetem UCP1 ließ sich jedoch nicht ablesen, ob der entsprechende Mausstamm in Experimenten dazu neigte, Übergewicht zu entwickeln. „Das war ein überraschender Befund“, gibt der Ernährungsmediziner zu, „denn man dachte ja, dass beige Fettzellen vor Fettleibigkeit schützen. Wir müssen deshalb diese Ergebnisse dringend in lebenden Tieren überprüfen.“ Für die Plausibilität der Ergebnisse spräche aber, dass Mäuse bei fettreichem Futter weniger Bräunung zeigen: „Das bedeutet, sie benutzen beiges Fett nicht als physiologischen Schutz vor Übergewicht.“

Um die Bräunung des Gewebes anzuregen, verwendeten die Forscher das Antidiabetikum Rosaglitazon. Dieses aktiviert den PPARγ-Rezeptor (Peroxisome Proliferator-activated Receptor), der im Zellkern als Transkriptionsfaktor wirkt und für die Ausdifferenzierung von Fettzellen essenziell ist. Gemeinsam mit seinem Koaktivator (PGC1α, PPARγ-Coactivator 1 Alpha) schaltet er aber auch die Bildung von beigen Fettzellen an. Durch die Differenzierung kommt es zu umfangreichen Veränderungen im Transkriptom: Insgesamt veränderte sich die Expression von über 4.000 Genen, die Hälfte davon war bei allen Inzuchtlinien betroffen. Angeschaltet wurden dabei vor allem Gene für die Bildung von Fettzellen und solche, die mit der Funktion von Mitochondrien, mit Zellatmung und Fettstoffwechsel im Zusammenhang stehen. Gene für Differenzierungs- und Wachstumsprozesse waren dagegen eher abgeschaltet. Nur wenige der an- beziehungsweise abgeschalteten Gene korrelierten aber direkt mit der Fähigkeit zur Bräunung und kamen deshalb als Regulatoren der Umwandlung in Frage. „Wir haben uns auf die Gene konzentriert, die mit der Expression von UCP1 korrelieren“, legt Klingenspor dar. „Diese potenziellen Regulatoren haben wir funktionell weiter untersucht.“

Zuerst regulierten die Forscher die entsprechenden Faktoren mithilfe von RNA-Interferenz herunter und beobachteten dann den Einfluss auf die Expression des UCP1-Gens. Als Reporter diente ihnen ein Luziferase-Reportergen, das unter der Kontrolle des UCP1-Promotors abgelesen wurde. Die Analyse lieferte als wichtigste Treffer drei Transkriptionsfaktoren: die positiven Regulatoren Fhl1 und Mxd1 sowie den negativen Regulator Zfp521. Ein Blick auf die Wärme produzierende Funktion der Zellen bestätigte diese Ergebnisse: „Nach adrenerger Stimulierung konnten wir die Aktivität von UCP1 über den Sauerstoffverbrauch in der entkoppelten Zellatmung quantifizieren.“ Die Herunterregulierung von Fhl1 und Mxd1 reduzierte die UCP1-abhängige entkoppelte Atmung, während geringere Mengen an Zfp521 das Gegenteil bewirkten.

Bunter Faktoren-Cocktail

Anschließend wiederholten die Freisinger Forscher die Transkriptom-Analyse an Zellen, bei denen die drei Schlüsselregulatoren Fhl1, Mxd1 und Zfp521 ausgeschaltet waren. „Viele der Gene, die wir schon in der ersten Analyse gefunden hatten, waren wieder beeinflusst. Eine schöne Bestätigung für ihre Relevanz!“, schlussfolgert Klingenspor. An dieser Stelle kamen die Systembiologen aus Lausanne ins Spiel. Mit ihrer systematischen Netzwerkanalyse identifizierte die Gruppe um Bart Deplancke vier regulatorische Module, die der beigen Fettzellentwicklung zugrunde liegen. Dies lieferte einen umfassenden Überblick über die Vernetzung der beteiligten Transkriptionsfaktoren, wie Klingenspor zusammenfasst: „Wir haben mit unserer systemischen Arbeit einen Cocktail von Faktoren und deren Vernetzung aufgedeckt. Die identifizierten Regulatoren konnten wir einzeln validieren und möchten sie nun als nächstes gemeinsam in lebenden Tieren ausschalten, um zu sehen, wie das die Bräunung beeinflusst. Mit der Genschere Crispr-Cas ist das möglich geworden.“

Bis zur Therapie gegen Fettsucht ist es aber wohl noch ein weiter Weg. Eine Stimulation des Sympathikus geht nämlich mit unerwünschten Nebenwirkungen wie Bluthochdruck und Herzrasen einher. Doch die Freisinger haben schon ein heißes Eisen im Feuer: „Wir konnten 2018 zeigen, dass das Darmhormon Sekretin braunes Fett aktiviert und dadurch ein Sättigungsgefühl erzeugt (Cell 175: 1561).“ Die Ernährungsmediziner untersuchen nun, ob sich die Sekretinausschüttung durch die Aufnahme bestimmter Speisen anregen lässt.

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Martin Klingenspor (6. v. r.) und sein Team untersuchen die Bräunung von Fettzellen. Foto: Friedrich Staufenbiel



Letzte Änderungen: 11.03.2020