Glykomik
von Petra Stöcker (Laborjournal-Ausgabe 04, 2003)
Genomik, Transkriptomik und Proteomik sind die aktuellen "Big Player" der molekularen Biomedizin. Langsam jedoch drängt sich eine neue Technologie in diese Dreieinigkeit: die "Glykomik". Oder auch "Glykobiologie".
Den Namen geprägt hat Raymon Dwek von der Universität Oxford schon 1988. Und entsprechend spricht man auch vom "Glykom", womit in diesem Falle aber nicht der grüne Star gemeint ist. Vielmehr verbergen sich hinter all diesen Schlagworten Zuckerketten – und zwar vor allem die, welche die Zelle im Zuge der Glykosylierung an Proteine und Lipide anhängt. Auf diese Weise "versüßte" Moleküle finden sich sowohl im Zellinneren, als auch als integrale Proteine in der Membran; ebenso auf der Zelloberfläche und als extrazelluläre Proteine in Serum, Harn, Speichel et cetera.
Gegenüber den 4 Nukleotiden, mit denen die DNA mannigfach Informationen kodiert oder den gewöhnlichen 20 Aminosäuren, die sich zu haufenweise verschiedenen Proteinen und Peptiden verbünden, wirken zwar die ungefähr 10 (je nachdem, wer zählt) einfachen, bei Säugetieren verbreitetsten Monosaccharide auf den ersten Blick nicht sonderlich beeindruckend. Der Teufel steckt aber wie immer im Detail.
Detailansichten
Gene kodieren nicht für Zuckerketten, das weiß jeder. Fündig wird man in der DNA-Sequenz aber, wenn man nach Genen für Enzyme sucht, welche Zuckerbausteine anknüpfen, übertragen, wieder abknabbern und mit ihnen das Dasein von Proteinen und Lipiden "versüßen".
Mit der Isolierung des ersten Gens für solch eine Glycosyltranferase in den späten 80ern gelang der erste große Schritt in Richtung Aufklärung des "süßen Geheimnisses". Nun konnte an der Enzymaktivität manipuliert werden und die Bedeutung der Glykosylierung wurde erst richtig bewusst. Denn: wird nicht ordentlich glykosyliert, gibt´s Probleme.
Fehlt beispielsweise ein bestimmter Zucker auf dem Transportprotein Transferrin, welches die Eisenaufnahme in die Zelle steuert, führt dies zu abnormaler Hautfarbe, Leberproblemen, bis hin zu krankhafter Entwicklung der Muskeln mit Ataxie und Krampfanfällen. Dieses Krankheitsbild reiht sich ein in die "Congenital Disorders of Glycosylation" (CDG), also angeborene Erkrankungen der Glykosylierung, bei welchen, soweit bekannt, die N-Glykosylierung betroffen ist.
Bei dieser Entdeckung blieb es natürlich nicht; weitere Fortschritte kamen jedoch in kleinen Schritten, da es an geeigneten Analysemöglichkeiten für komplexe Zuckerstrukturen fehlte. Trotz dieser widrigen Umstände weiß man inzwischen jedoch einiges.
Variable Anhängsel
Ladung, Länge und Sequenz der Zuckerkette eines Moleküls sind keine Konstanten, sondern hängen ab von Art, Gewebe, Alter und Zustand des Organismus. Ein Protein hat mehrere mögliche Glykosylierungsstellen, an die unterschiedlichste Kohlenhydrate gekoppelt sein können, unter Umständen irrwitzig verzweigt. Derartig mit fremden Federn geschmückt kann sich ein kleines Protein zu gigantischer Größe aufplustern und dessen Entschlüsselung wird zum mühsamen Unterfangen.