Cryptochrom
von Julia Offe (Laborjournal-Ausgabe 11, 2011)
Das „Geheime“ in seinem Namen verdankt das Cryptochrom der Tatsache, dass es lange niemand identifizieren konnte. Erst mehr als hundert Jahre, nachdem Charles Darwin bei Pflanzen Reaktionen auf blaues Licht beschrieb, entdeckten amerikanische Forscher den Blaulichtrezeptor zunächst in
Arabidopsis (
Nature 1993, 11;366(6451):162-6). Doch seither beziehen sich die spektakulärsten Erkenntnisse über dieses Protein nicht auf seine Funktion in Pflanzen, sondern auf die in Tieren.
Cryptochrome sind 50-70 kDa große Flavoproteine. Sie tragen Flavinnukleotide wie FAD als Chromophore, die oxidiert oder reduziert vorliegen und daher als Elektronenüberträger fungieren können. Man findet sie in Pflanzen, Tieren und Bakterien. Die Sequenz der Cryptochrome ist im N-terminalen Teil vollständig derjenigen der Photolyasen homolog, einer Gruppe von Enzymen, die UV-Schäden an der DNA reparieren. Diese Photolyasen kommen in Bakterien, Pflanzen und Tieren bis zu den Beuteltieren vor, nicht aber in Plazentatieren, und benötigen für ihre Reparaturfunktion blaues Licht.
Steuerung der inneren Uhr
Bei Säugern gibt es zwei Cryptochrom-Varianten, Cry1 und Cry2. Am höchsten sind sie in der Retina und im suprachiasmatischen Nukleus (SCN) exprimiert, dem Sitz der den zirkadianen Rhythmus steuernden
master clock. Vor diesem Hintergrund lag es nahe, anzunehmen, dass die Cryptochrome – aktiviert vom Blauanteil im Sonnenlicht – die
master clock jeden Tag neu justieren.
Knockout-Mäuse, denen eine oder beide Varianten fehlten, zeigten ein unerwartetes Verhalten. Das Fehlen von Cry1 verkürzte, das Fehlen von Cry2 verlängerte den zirkadianen Rhythmus der Tiere (
Nature 1999, 398(6728):627-30). Erst wenn beide Varianten fehlen, geht der Rhythmus völlig verloren. Die Cry-Proteine wurden wenig später als starke Inhibitoren des zirkadianen Transkriptionsaktivators CLOCK/BMAL1 identifiziert, womit sie eine zentrale Rolle bei der Steuerung der inneren Uhr spielen dürften. Und diese Funktion ist noch nicht einmal lichtabhängig (
Science 1999, 286(5440):768-71).
Blaues Licht für Magnetsinn
Auch das Cryptochrom bei Tieren ist für blaues Licht empfindlich. Denn nur bei Blaulicht vermittelt es den Reiz beim wohl am wenigsten verstandenen Sinn im Tierreich: dem Magnetsinn. Zugvögel und Meeresschildkröten orientieren sich auf ihren Wanderungen am Magnetfeld der Erde. Dem in der Retina exprimierten Cryptochrom schreiben Biologen bisher die zentrale Rolle als Rezeptor zu.
Doch nicht nur Wirbeltiere, sondern auch wandernde Insekten wie der Monarchfalter können Magnetfelder wahrnehmen. Und einen lichtabhängigen Magnetsinn bei
Drosophila konnten amerikanische Wissenschaftler um Steven Reppert 2008 nachweisen (
Nature, 454(7207):1014-8).