Editorial

Professor Gierlich und Dr. med. Schnorrsky

(08.07.2019) Im Jahr 2000 persiflierte unser Autor Felix Loeb unter diesem Titel die "Klinischen Abenteuer eines Biologen".
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Es war einmal, es ist noch nicht so lange her – und es wiederholt sich noch immer von neuem... Es war also einmal ein Biologe. Aus dem Schwarzwald kam er, war gerade Doktor geworden und hatte eine Familie gegründet. Jetzt galt es, sich einen Platz im Leben zu erkämpfen...

Forschungsideen waren da. die Promotion in einem angesehenen Journal untergebracht. Also: Frisch beworben! Aber ach: Keine Postdoc-Stelle. keine Habil-Stelle, nichts. Auch ein DFG-Stipendium wurde ihm verweigert.

Dies schmerzte. Denn unser Freund hatte ein großes Stück seiner Libido in die Hoffnung verschwendet, er könne ein ihn heiß interessierendes Thema in Übersee bearbeiten. Und in der Industrie? An einen Industrieposten war damals ohne eine gesunde Dosis Vitamin B nicht zu denken. Die Bewerbungsunterlagen kamen ungeöffnet zurück.

Editorial

Nur aus Kliniken kamen Angebote. Wohlgemut nahm unser Schwarzwälder eine Klinikstelle an. Schließlich, sagte er sich. wird die Suche nach Arbeit umso schwerer, je länger man ohne eine ist. Er reiste nun also hin in jene Stadt, in der Karneval die wichtigste kulturelle Veranstaltung ist – und kein Wald auf Kilometer im Umkreis. Aber man kann ja nicht alles haben. Hauptsache, die Wissenschaft stimmt!

Zur Klinik. Warum hatte die unseren Biologen eingestellt? Wegen der psychologischen Einsichten des Klinikchefs. Massimo Gierlich wusste, dass Geld zwar viel, aber nicht alles bedeutet – vor allem bei jenen Kollegen nicht, die ebenfalls privatliquidieren dürfen. Da hat jeder Geld, auf ein paar Millionen mehr oder weniger kommt es nicht an. Ansehen bringt vielmehr die Wissenschaft, vor allem diejenige mit diesen ungemein modernen molekularbiologischen Techniken. Gierlich wollte also nicht nur popeliger Millionär sein – nein, er wollte „mein Expressionsvektor“ und „unsere cDNA Bank" sagen können. Er wollte das Bier und den Ruhm.

Nun lag aber Gierlichs Begabung mehr im brachialpolitischen. Auch würde eher ein Brahmane einem Paria den Hintern putzen, als dass ein Chefarzt die Pipette zur Hand nähme. Und wozu auch? Wozu hat man diese eifrigen Assistenz- und Oberärzte? Dem Nachwuchs eine Chance geben!

Und so hatten sich Gierlichs Mitarbeiter am Klonieren, an cDNAs, an PCR probiert... Doch das war nicht so einfach gewesen, wie man es sich als Mediziner mit halbjähriger Doktorarbeit und Physikums-Schmalspurbiologie vorstellt. Nichts hatte funktioniert, nicht einmal die PCR. Der Fall war klar: Ein Biologe musste her.

Schließlich ist etwas Praktisches um so einen Biologen! Der weiß, worum es geht, kennt die Methoden, kann heiße Themen aufreißen und Veröffentlichungen lesen. Und das Forschungsrisiko trägt er auch. Wenn nichts rauskommt, wer ist dann blöd? Richtig, der Biologe! Und man selber ist auf jeden Fall ein toller Wissenschaftsmanager!

Aus diesen Gründen hatte also Gierlich unseren Biologen eingekauft. Selbstständig sollte er forschen, wurde ihm gesagt. Und weil auch DFG-Anträge einen Mediziner zieren, hatte Gierlich vorgeschlagen gemeinsam einen Antrag zu schreiben.

Der Nachwuchsforscher freute sich. mit Feuereifer und Erfolg baute er das Labor auf und etablierte die Methoden. Denn er wollte etwas vorweisen für seinen Antrag.

Nun gab es aber ein Problem. Seine Steile war eine Drittmittelstelle. Und wer auf einer Drittmittelstelle sitzt, darf keinen eigenen DFG-Antrag stellen. Doch die Lösung fand sich schnell: Sie hieß Egon Schnorrksy und war Oberarzt. Dazu muss man wissen, dass an einer Klinik Chefärzte zwar die erste Geige spielen, Oberärzte aber die zweite – und zusammen bilden sie die Führungsclique der Abteilung. Ein normaler Sterblicher hat kein Mitspracherecht – schon gar nicht, wenn es um sie selber geht. Und Biologen sind normale Sterbliche. In einer Klinik sowieso.

Des Weiteren muss man wissen, dass Oberärzte Chefarzt werden wollen –und dazu verhilft ihnen (unter anderem) wissenschaftlicher Ruhm. Den zu erarbeiten, ist aber schwierig – erstens sowieso und zweitens, weil man die lästigen Patienten am Hals hat. In dieser Not hatte die zweite Geige Schnorrsky an den Biologen gedacht. „Der tut das, was er kann, nämlich experimentieren – und ich tue das, was ich kann, nämlich schreiben."

Und so überraschte Schnorrsky den Biologen mit einem halbfertigen DFG-Antrag. Darin hatte Schnorrsky zwar des Biologen neue Methoden verwurstet, aber Sinn machten seine Ausführungen trotzdem keinen – denn, wer keine Methoden ausarbeiten kann, kann auch nicht darüber schreiben.

Großmütig sah der Schwarzwälder darüber hinweg. In der Annahme, dass es sich um einen gemeinsamen Antrag handele, überarbeitete er das Werk und schrieb wesentliche Teile neu. Als der Antrag schließlich fertig war, teilte man ihm mit, dass es strategisch schlecht wäre, wenn er als Mitantragssteller erwähnt werde. Dies sah der Biologe allerdings nicht ein.

Da wurde der Antrag einfach ohne sein Wissen weggeschickt. Autor war Gierlich, Mitautor Schnorrsky. Auf die Nachfrage des verblüfften Biologen versicherte Gierlich, dass er dessen Beitrag immer schätzen würde. Womit sich der Biologe zufriedengab, denn er war noch sehr jung.

Die Gutachter forderten schließlich nachzuweisen, dass man die Methoden auch beherrsche. Kein Problem. Unser Biologe hatte ja die Techniken im Griff. Er stellte Daten in einem dreißig Seiten langen Protokoll zusammen, und sein Gönner Schnorrsky ließ dieses den Gutachtern zukommen. Überhaupt drängte Schnorrsky seinen Chef Gierlich immer mehr beiseite, und bald war der Biologe nicht mehr dem Chef unterstellt, sondern Schnorrsky.

Nach nur acht Monaten wurde der Antrag genehmigt. Nun legte der Biologe los. Alleine wurschtelte er vor sich hin, hielt Ansprachen an den Inkubator und umarmte die Pipette. Schnorrsky beschränkte sich darauf, gelegentlich vorbeizuschauen, übers Wetter zu reden und Dias zu erbetteln. Wissen-schaftliche Gespräche führte unser Biologe nicht – weder mit Schnorrsky noch mit Gierlich. Entweder fehlte den beiden die Zeit, die Ahnung oder beides.

Irgendwann kam dem Biologen die Sache jedoch verdächtig vor: „Bin ich denn nur Schnorrskys Datenlieferant?“ Als er sich dann einmal weigerte, Schnorrsky Daten zu liefern – die sprichwörtliche Schwarzwälder Gutmütigkeit grenzt nämlich direkt an den Schwarzwälder Dickkopf – schaltete Schnorrsky umgehend Gierlich ein. Sein Argument: Der Biologe habe ja bislang keine Paper abgeliefert, also könne er womöglich keine schreiben, also müsse er die Daten abliefern.

Aber ein Paper brauche Zeit, das könne man nicht einfach hervorzaubern, wandte der Biologe ein. Zumal das Thema neu für ihn sei. Außerdem sei der Antrag zu gleichen Teilen von Schnorrsky und ihm erstellt worden – und ohne seine Vorarbeit wäre er ziemlich sicher abgelehnt worden.

Doch daran konnte sich Gierlich nicht mehr erinnern. Und es gehöre auch nicht zur Sache: Schnorrsky habe den Antrag früher angefangen gehabt, also auch das Recht auf die Ergebnisse.

Der „frei" forschende Biologe wurde also de facto zum Messknecht.

Das behagte dem nicht. Aber die Stelle hinzuschmeißen, konnte er sich nicht leisten: Das zweite Kind war unterwegs. Und in seiner Arbeit hing er von Schnorrsky ab. Das biologische Material konnte nämlich nur Schnorrsky besorgen, nur der hatte Zugang zu den Patienten.

Der Biologe musste schweigen und mit den Zähnen knirschen.

In seinem Innern tobte jedoch ein Sturm, und er sagte zu sich: „Wirtschaftskriminalität wird strafrechtlich verfolgt, aber wer kümmert sich eigentlich um die Wissenschaftskriminalität? Da werden Steuergelder von Leuten verbraten, die weder Ahnung noch Erfahrung haben. Langjährige Wissenschaftler mit Eigeninitiative müssen nach der Pfeife angeblich omnipotenter Ärzte tanzen. Und wenn sie's nicht tun, stehen sie auf der Straße. Das motiviert! Wie viel wissenschaftliches Potential wird wohl durch die Absahner- und Viehbauernmentalität dekadenter Führungspersonlichkeiten vernichtet? Die deutsche Wissenschaft krankt an den sozialen Strukturen und der Dekadenz ihrer Führungskräfte. Nicht mal konstruktive Kritik ist möglich, die Herren fühlen sich ja ohne Fehl und Tadel. Dieser Gierlich weiß doch nicht mal, wie er eine Pipette halten muss, aber kraft seines Medizinerdaseins hält er sich für allwissend. Anstößig ist, wenn einer sich in Paraguay einen Doktortitel kauft – nicht anstößig ist, wenn jemand einen DFG-Antrag auf seinen Namen hält, zu dem er keinen einzigen wissenschaftlichen Beitrag, ja nicht einmal eine logische Formu-lierung geleistet hat."

So ungefähr wallte es in dem Biologen – und wenn er aus lauter Wut noch ins falsche Eppi pipettiert hatte, dann ging es erst richtig los: „I bin doch nit de Kaschper für die...“

Und so rannen sie hin, die drei Jahre des Vertrags. Am Ende hatte der Biologe zwei Kinder – und Schnorrsky und Gierlich einen Namen als Molekularmediziner. Darauf schien es jedenfalls hinauszulaufen.

Die Wirklichkeit sah dann doch trister aus – und lief so ab: Zu kündigen konnte sich der Biologe nicht leisten, aber veräppeln lassen wollte er sich auch nicht – Selbstachtung und so. Der Ausweg? Die Experimente heimlich scheitern lassen und sich auf eine Karriere außerhalb der Wissenschaft vorbereiten. Und so geschah es...

Schwer zu sagen, ob dieser Fall typisch ist. Die typisch deutsche klinische Forschung jedenfalls ist ziemlich schlecht. Und das muss ja irgendwelche Gründe haben.

Felix Loeb



Letzte Änderungen: 08.07.2019