Editorial

Zuhören, beraten und
sensibilisieren

(24.02.2022) Diskriminierung während der Schwangerschaft, unbezahlte Laborarbeit? Ein neu gegründetes Netzwerk bietet Unterstützung und ein offenes Ohr.
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Seit November 2021 ist das Netzwerk gegen Macht­missbrauch in der Wissenschaft im Internet mit seiner Website präsent. Es möchte Personen unterstützen, die von Machtmissbrauch in der Wissenschaft direkt betroffen oder Zeuge solcher Vorkommnisse geworden sind. „Wir möchten erst einmal zuhören und kompetente Beratung aus einer neutralen und vor allem Institutions-­unabhängigen Position bieten“, erläutert das Netzwerk­mitglied Daniel Müller. Der Journalist und promovierte Historiker hat mehrere Jahre Erfahrung als Leiter von Graduierten­programmen und als Mitglied im wissen­schaftlichen Personalrat. „Außerdem möchten wir langfristig am System etwas ändern, indem wir die entsprechenden Gremien für problematische Zustände in der Wissenschaft sensibilisieren“, fügt Müller hinzu.

Editorial

Beratung für alle

Die auf der Webseite des Netzwerkes veröffentlichten anonymisierten Fallbeispiele betreffen alle Hierarchie­ebenen. Sie reichen von unbezahlter Arbeit nach Beendigung der Doktorarbeit, über Missbrauch von erschlichenen Informationen, Abstrafung wegen Kritik an der Instituts­leitung oder am Doktorvater bis hin zu Diskriminierung wegen Schwangerschaft.

„Unser Netzwerk will nicht nur Nachwuchs­wissenschaftler:innen beraten, sondern alle Personen im Wissenschafts­bereich, unabhängig von ihrer Position, ihrem Geschlecht und ihrer Herkunft “, berichtet Sandra Beaufaÿs, promovierte Soziologin und Expertin für geschlechter­bezogene Hochschul­forschung.

Empirische Analysen zeigen, dass internationale Wissen­schaftler, Frauen und LGBTIQ nachweislich häufiger durch Mobbing und Machtmiss­brauch gefährdet sind. Beaufaÿs möchte als Netzwerk­mitglied dafür sensibilisieren, dass das wissen­schaftliche Feld auch ein Machtfeld ist, in dem aggressive Kämpfe um Deutungs­hoheiten und Positionen stattfinden. Das Geschlecht und die sozialen Voraussetzungen spielen dabei durchaus eine Rolle. Ein Ohr speziell für Student:innen und wissen­schaftliche Hilfskräfte hat Philosophie- und Germanistik­studentin Sophia Hohmann.

Besser frühzeitig melden

Betroffene können die Netzwerk­mitglieder über die E-Mail Adresse kontakt(at)netzwerk-mawi.de ansprechen. Sie werden gegebe­nenfalls auch an andere Netzwerke und Beratungs­stellen weitergeleitet, sofern diese im konkreten Fall geeigneter sind. „Juristische Unterstützung können und dürfen wir derzeit nicht bieten. Ich rate Betroffenen auf jeden Fall, sich frühzeitig Rat einzuholen, welche Schritte möglich und sinnvoll sind. Zu einem späten Zeitpunkt ist es oft schwieriger einzuschreiten“, erklärt das Netzwerk­mitglied Heinz Fehrenbach. Der Professor für Experi­mentelle Pneumologie hat mehrere Jahre Erfahrung als Ombudsperson.

„Unser Vorteil als Netzwerk liegt darin, dass wir schon einige Erfahrung in diesem Bereich gesammelt haben. Für Betroffene kann es schwer sein, einzuschätzen, ob ihr Fall am besten beim Betriebsrat, beim Gleich­stellungsbüro, bei einer Ombudsperson oder einem Rechtsanwalt, bei einer Mediations­stelle, oder bei Vorgesetzten angesiedelt ist“, erläutert das Netzwerk­mitglied Jana Lasser, PostDoc am Computational Social Science Lab der TU Graz. Sie untersucht die Auswirkungen von Arbeits­bedingungen in der Wissenschaft auf die psychische Gesundheit. In ihrer Zeit als Sprecherin des Max-Planck-Doktoranden-Netzwerks hat sie sich ausgiebig mit Macht­missbrauch in der Wissenschaft beschäftigt (Laborjournal berichtete 2018: „Der richtige Umgang“). „Wir können dazu beraten, wie stark ein Fall bereits eskaliert ist und wo in der betreffenden Institution Ressourcen für die Konflikt­lösung vorhanden sind. Wir können Fälle auch begleiten, damit sie nicht einfach verschleppt und ausgesessen werden.“

Keine Einzelfälle

Viele Betroffene denken, sie wären Einzelfälle. „Die Fallbeispiele auf unserer Website können Betroffene veranlassen, ihren Fall zu verarbeiten oder juristisch etwas zu unternehmen“, rät Müller. „Wir hoffen, dass eine Art Schneeball­effekt entsteht und sich das Wissenschafts­system letztlich ändern lässt. Wir prüfen im konkreten Fall, wie erfolg­versprechend es für die Betroffenen sein könnte, sich zu wehren.“

Auch die Wissenschafts­organisationen sind inzwischen auf das Thema Machtmissbrauch aufmerksam geworden. Die DFG schreibt in ihren aktuellen Leitlinien zur Sicherung guter wissen­schaftlicher Praxis: „Machtmissbrauch und das Ausnutzen von Abhängigkeits­verhältnissen sind durch geeignete organisatorische Maßnahmen sowohl auf der Ebene der einzelnen wissen­schaftlichen Arbeitseinheit als auch auf der Ebene der Leitung wissen­schaftlicher Einrichtungen zu verhindern.“ Hochschulen und Forschungs­einrichtungen, die die DFG-Leitlinien nicht umsetzen, können keine Förderung durch die DFG erhalten.

„Eine der Ursachen für Machtmissbrauch ist sicher der hohe Druck im System, auch für die Betreuenden. Das kann Vorgesetzte, die damit nicht besonders gut umgehen können, zu einem Verhalten verleiten, unter dem ihre Untergebenen zu leiden haben. Nachwuchs­wissenschaftler sind zudem in mehreren Weisen abhängig und ihre Arbeits­situation ist durch die kurzen Vertrags­laufzeiten prekär“, erläutert Lasser. Sie kritisiert, dass es im Wissenschafts­system fast unmöglich sei, Konflikte gütlich zu lösen, da es kein sinnvolles Feedback zur Betreuung gebe. „Die Betreuten trauen sich nicht, negatives Feedback zu geben. So können schlechte Betreuer nichts dazulernen. Zudem sind die Beschwer­dewege häufig obskur, zahnlos oder unpassend. Diese Gemengelage aus hohem Druck, steilen Abhängigkeits­verhältnissen und Mangel an Werkzeugen zur Konflikt­lösung ist sehr explosiv.“

Das Netzwerk braucht dich

Das Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft sucht derzeit weitere Mitglieder, gerne auch juristische Experten: „Ideell kann man uns unterstützen, indem man ein Statement zum Thema Machtmissbrauch auf unserer Website veröffentlicht. Es ist auch möglich, anonym ein Fallbeispiel einzureichen, das dann auf der Website erscheint, um die Vielfalt von Macht­missbrauch zu illustrieren“, so Hohmann. Fallbeispiele werden anonymisiert, damit kein Online-Pranger entsteht. „Vielleicht können wir ja in Zukunft verschiedene Fallsammlungen zusammen­führen und auswerten“, regt Beaufaÿs an. Die Mitglieder zeigen auch Präsenz auf verschiedenen Veranstaltungen, zuletzt bei der Online-Open-Access-Konferenz „Structural Flaws In The Science System – And How To Fix Them“.

„Außerdem verfassen wir gerade ein Positions­papier, in dem wir darlegen wollen, warum es uns braucht und was unsere Standpunkte und Gedanken zum Thema Machtmissbrauch sind. Wir wollen als Netzwerk größer werden, mehr Perspektiven abdecken und uns immer wieder zu Wort melden, wenn es entsprechend aktuelle Themen gibt. Wir möchten auch nach und nach die Thematik Machtmissbrauch in Stellungnahmen und Handlungs­empfehlungen aufarbeiten“, erläutert Lasser.

Rausschmiss mit Signalwirkung

Daniel Müller gibt zum Schluss zu bedenken: „Wir müssen mittelfristig von der Opfer­perspektive wegkommen und über die Täterinnen und Täter sprechen. Wenn man diese 10 Jahre früher aus dem Dienst entfernen könnte, wäre viel gewonnen. Wir müssen den Blick auch auf die Institutionen und deren Verantwortung für die Täterinnen und Täter lenken. Dass selbst Professoren und Max-Planck-Direktoren aus Führungs­positionen entfernt werden können, hat Signalwirkung.“ Da es nicht ausreicht, nur die schwarzen Schafe zu entfernen, möchte das Netzwerk gegen Machtmissbrauch langfristig auch zu einer Veränderung der strukturellen Rahmen­bedingungen beitragen.

Bettina Dupont

Bild: AdobeStock/TATIANA & Netzwerk gegen Machtmissbrauch in der Wissenschaft/Boenig (Logo)


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Letzte Änderungen: 24.02.2022