Editorial

In Gelb reift es
sich besser

(17.01.2023) Pierre Stallforths Team hat einen Naturstoff identifiziert, der wichtige Vorgänge im Mehrzell-Stadium des Einzellers Dictyostelium steuert.
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Dictyosteliums Fruchtkörper auf einer Agarplatte

Unzählige kleine Zellen wuseln unter dem Mikroskop. Plötzlich, wie durch ein lautloses Kommando, streben die Zellen aufeinander zu, verschmelzen und bilden einen zunächst unförmigen Blob. Die formlose Zellmasse erhebt sich auf einem dünnen Stiel und erinnert entfernt an eine Kugel mit einem Nuckel­aufsatz. Auch wenn es so klingen mag: Die hier geschilderten Vorgänge entspringen keineswegs einem Alien-Blockbuster. Auch das Wesen, das hier seine eindrucksvolle Metamorphose vollzieht, ist kein Exot. Es handelt sich um die viel studierte Amöbe Dictyostelium discoideum und ihren normalen Entwicklungs­zyklus.

Dass man auch gut erforschten Modell­organismen neue Erkenntnisse entlocken kann, zeigen die Forschungs­gruppen von Pierre Stallforth und Falk Hillmann am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektions­biologie in Jena nun in ihrer kürzlich erschienenen Studie in PNAS. Die Arbeitsgruppe um Stallforth, Abteilungsleiter am Jenaer Leibniz-Institut und Professor für bioorganische Chemie und Paläo­biotech­nologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, sowie Falk Hillmann, mittlerweile Professor für Biochemie/Biotechnologie an der Hochschule Wismar, interessieren sich jedoch weniger für den komplexen Lebensstil der Amöbe, sondern für ihr Jagdverhalten. Dictyostelium ist nämlich ein geschickter Bakterien­fresser. „Unsere Gruppe hat sich bis vor etwa zwei Jahren hauptsächlich mit Räuber-Beute-Beziehungen beschäftigt – und da ist Dictyostelium ein sehr guter Modell­organismus“, erzählt Rosa Herbst, Co-Erstautorin der PNAS-Studie. Dafür gibt es viele Gründe. Der Schleimpilz ist genetisch gut charakterisiert und manipulierbar, zudem hat sich über die Jahre eine sehr große und offene wissenschaftliche Community aufgebaut, die sich mit Dictyostelium beschäftigt.

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Schleimige Bakterienjäger

Doch worum handelt es sich bei Dictyostelium discoideum eigentlich genau? Entdeckt wurden Vertreter der Gattung Dictyostelium bereits 1869 durch den deutschen Botaniker Oscar Brefeld. Ihre pilzähnliche Morphologie ließ Brefeld eine Verwandtschaft mit den Pilzen vermuten. Aufgrund ihrer schleimigen Oberfläche etablierte sich bald der irreführende Name „Schleimpilz“ für Organismen dieser Gattung. Erst elf Jahre später klärte der französische Botaniker Philippe Édouard Léon Van Tieghem auf, dass sich während ihres Entwicklungs­zyklus einzellige, eukaryotische Amöben zu einem mehrzelligen Organismus zusammen­finden. Im Jahre 1935 beschrieb Kenneth Raper, ein US-amerika­nischer Mykologe, schließlich erstmals die Spezies Dictyostelium discoideum, die sich kurz darauf als Modell­organismus für diverse biologische Fragestellungen etablierte. Raper war es auch, der die eingangs beschriebene Transformation der Amöben erstmals auf Zelluloid bannte. Das intelligent anmutende Verhalten der Mikro­organismen während der Ausbildung ihrer mehrzelligen Form – auch soziale Amöbe genannt – ist eine Reaktion auf akuten Nahrungs­mangel. Dabei verschmilzt eine Vielzahl der einzelligen Amöben zu einem Fruchtkörper, dem Sporokarp. Dessen mit Sporen gefüllte kugelförmige Verdickung, der sogenannte Sorus, platzt bei einer leichten Berührung und schleudert die Sporen in die Umwelt. Daraus schlüpfen dann wieder Amöben, die an ihrem neuen Lebensort auf Bakterienjagd gehen.

Komplex: Prozess und Steuerung

„Wir begannen uns zuerst dafür zu interessieren, welche Stoffe die Beute der Amöben produziert, um sich vor dem Fressfeind zu schützen“, erinnert sich Markus Günther, ebenfalls Co-Erstautor des PNAS-Papers. „Von dort aus haben wir uns dann das Arsenal der Amöben angeschaut, denn die reagieren natürlich auf die Verteidigung ihrer Beute.“

So stieß die Gruppe schnell auf die Stoffgruppe der Polyketide, eine vor allem von Mikro­organismen produzierte heterogene Substanz­klasse, zu der auch medizinisch relevante Naturstoffe wie Tetracyclin oder Erythromycin gehören. „Dictyostelium allein verfügt über 40 Gene, die für eine Polyketid­synthase codieren”, erklärt Stallforth. Deren Produkte erfüllen in Mikro­organismen und niederen Eukaryoten oft wichtige Steuerungs­funktionen. Als besonders Steuerungs-intensiven Prozess identifizierten die Jenaer den komplexen Lebenszyklus der sozialen Amöbe. Insbesondere die Bildung des Fruchtkörpers und die Reifung der Sporen erfordert ein korrektes Timing, so der Biochemiker. Die Gruppe kategorisierte die 40 Polyketid­synthase-Gene zunächst nach ihrer zeitlichen Aktivität während der Fruchtkörper­bildung. Aufgrund ihres Expressions­profils und hohen Transkriptions­levels in der mittleren bis späten Entwicklungs­phase des mehrzelligen Fruchtkörpers kristallisierte sich die Polyketid­synthase PKS5 als interessanter Kandidat heraus.

Um dann sicherzustellen, dass PKS5 tatsächlich in die Steuerung der Fruchtkörper­bildung involviert ist, schalteten Stallforth und Co. das Gen mittels CRISPR/Cas aus. Dabei ließen sich schnell Unterschiede zwischen dem Wildtyp und dem pks5-defizienten Organismus erkennen, wie Herbst beschreibt: „Uns ist aufgefallen, dass die Kapsel der Deletions­mutante nicht gelb ist, wie wir es sonst beim Wildtyp beobachten.“ Zudem fanden die Jenaer vermehrt leere Sporenhüllen im Sorus, was auf einen verfrühten Schlupf der Amöben hindeutete. Brachten sie das Gen daraufhin wieder extra­chromosomal in den Organismus ein oder reparierten das defekte Gen der Deletions­mutante durch CRISPR/Cas-Editierung, bildeten sich wieder gelbe Kapseln und der Schlupf verlief genau nach Zeitpan.

Die Nadel im Heuhaufen

Als das Amöben-Team alle Puzzlestücke zusammen­setzte, bestätigte sich die anfängliche Vermutung, dass PKS5 eine entscheidende Rolle im Entwicklungs­zyklus von Dicytostelium spielt. „Das war wirklich die Meisterleistung der Co-Erstautoren Markus Günther, Christin Reimer und Rosa Herbst, die Funktion dieser Polyketid­synthase und ihre physiologische Relevanz zu identifizieren”, erklärt Stallforth.

Die Isolation des von der Polyketid­synthase 5 produzierten Polyketides erwies sich jedoch als Herausforderung, wie Herbst ausführt: „Diese Stoffe werden nur in geringen Konzentrationen vom Organismus produziert. Davon dann ausreichende Mengen für eine chemische Charakterisierung zu isolieren, ist das größte Nadelöhr.“ Mit einem Trick gelang es der Gruppe um Hillmann jedoch, die Polyketid­ausbeute zu verbessern: Sie brachten das pks5-Gen zusätzlich auf einem extra­chromoso­malen Vektor in die Zellen ein und erhöhten dessen Expression durch die Verwendung des starken actin15-Promoters.

Doch auch mit einer erhöhten Produktionsrate glich die Identifikation der von PKS5 produzierten Substanz der Suche nach der sprichwört­lichen Nadel im Heuhaufen, wie Markus Günther einwirft: „Man hat keine Möglichkeit, vom Gen oder der Struktur des Enzyms auf das Produkt zu schließen. Wir haben also die Polyketid-Profile der pks5-Deletions-Mutante mit der Überexpressions­mutante verglichen und die Substanz so identifiziert.“ Dass sie auf dem richtigen Weg waren, erkannte das Team an einem hervor­stechenden Merkmal des isolierten Polyketides: „Die aufgereinigte Substanz hatte eine intensiv gelbe Farbe“, erinnert sich Herbst.

In In-vitro-Experimenten konnte die Gruppe um Stallforth dann auch die Funktion des isolierten Polyketides namens Dictyoden B bestätigen. „Wir haben Sporen in der Petrischale mit dem Polyketid inkubiert und festgestellt, dass so die Keimung der Sporen unterbunden wird“. Wie genau das Polyketid diese Wirkung entfaltet, ist jedoch noch nicht klar. Günther: „Eine plausible Vermutung ist, dass Dictyoden B das Schlüpfen physikalisch unterbindet.“ So sei die Substanz chemisch betrachtet eine ungesättigte Fettsäure, die die Eigenschaften der Sporenhülle beeinflussen könne. Zudem absorbiert der Stoff UV-Licht, was auch eine Steuerung durch Sonnenlicht denkbar macht.

Funktion im Fokus

Die Studie zeigt erstmals, dass die Steuerung der Fruchtkörper­bildung robuster ist, als vermutet. „Der ganze Prozess ist offenbar sehr redundant gestaltet. Hier darf auch nichts schiefgehen, denn sonst leidet die Fitness des Organismus enorm“, fasst Stallforth zusammen. Zudem etabliere die Arbeit der Jenaer einen neuen Ansatz in der Naturstoff-Forschung, der sich eher auf die ökologische und physiologische Funktion der Substanzen konzentriert als auf ihre potenzielle Nutzung.

In nächster Zeit will die Gruppe um Stallforth nach den Funktionen der weiteren Polyketide von Dictyostelium fahnden. Auch die Synthese­wege der Substanzen sind noch nicht völlig verstanden. Dabei möchten die Forscher und Forscherinnen vor allem Grundlagen schaffen, wie Stallforth abschließend erklärt: „Wir sind nicht auf der Suche nach einer Anwendung für die Naturstoffe. Mit diesem Ansatz findet man oft nur ähnliche Verbindungen zu denen, die wir bereits kennen. Uns geht es darum, die Substanzen in ihrem Umfeld besser zu verstehen.“

Tobias Ludwig

Günther M. et al. (2022): Yellow polyketide pigment suppresses premature hatching in social amoeba. PNAS, 119(43):e211612211

Bild: AG Stallforth

Diese Artikel erschien zuerst in Laborjournal 12/2022.


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Letzte Änderungen: 17.01.2023