Editorial

Präzision
statt Schrotgewehr

(19.01.2023) Optimierte Checkpoint-In­hi­bitoren des LMU-Spin-offs Opsyon demaskieren zielgenau Tumore, die sich vor dem Immunsystem verstecken.
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Gegründet wurde Opsyon von Biochemikerin Nadja Fenn (Projektleiterin, CSO und CEO in Personalunion), Biologe Karl-Peter Hopfner (zuständig für die Protein-Biochemie), Fachärztin für Innere Medizin Marion Subklewe (zuständig für medizinische Aspekte) und Biologin Lorenza Wyder Peters (Business und Patente). Mit dreien hat Laborjournal gesprochen. Über Flinten, gelockerte Bremsen und griechische Krieger.

Bei Opsyon entwickeln Sie Checkpoint-Inhibitoren. Das ist eine umfangreich beforschte und recht breite Gruppe von Krebs­therapeutika. Etliche dieser monoklonalen Antikörper sind bereits zugelassen. Was unterscheidet Ihre Kandidaten, etwa OPS-121, von bereits etablierten Therapeutika?
Karl-Peter Hopfner: Genau, Checkpoint-Inhibitoren sind in der Klinik weit verbreitete und erfolgreiche Moleküle für die Immun­therapie von Krebs. Wie viele Antikörper binden sie mit hoher Affinität an ihre Ziel-Moleküle und blockieren im Prinzip dadurch alle Checkpoint-Rezeptoren eines Typs im gesamten Körper. Das geht mit etlichen Neben­wirkungen einher, denn der Ansatz ist wenig spezifisch. Das Immunsystem an sich agiert aber eigentlich anders, nämlich über Molekül-Wechsel­wirkungen in Zell-Zell-Kontakten. Diese Wechsel­wirkungen sind sehr schwach und funktionieren nur durch die Masse der Interaktionen, die sich eben in diesen Zell-Zell-Kontakten konzentrieren. Statt einer sehr stabilen Interaktion haben wir also Hunderte sehr schwache, die zusammen­genommen aber wieder stabil sind. Das ist die Idee hinter den Molekülen, die wir entwickeln. Wir wollten die Funktion des Immunsystems in einem Konstrukt abbilden.

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Und das erreichen Sie wie?
Nadja Fenn: Wir kombinieren hochaffine Antikörper mit Checkpoint-Inhibitoren. Das Backbone unserer Moleküle sind konventionelle Antikörper, die schon lange in der Klinik sind. In diese Antikörper ist bereits viel Entwicklungs­arbeit geflossen, auf die wir aufbauen können. Wir können für die Produktion auf etablierte Prozesse zurückgreifen, wir wissen viel über die Stabilität des Moleküls und so weiter. Das ist ein enormer Vorteil. An diesen Antikörper fusionieren wir über einen Linker eine Immun-Checkpoint-inhibierende Domäne. Dabei handelt es sich um eine endogene Rezeptor-Domäne, sodass keine Immuno­genität auftritt. Für OPS-121 etwa nutzen wir CD33 als Tumor-Target und den Immun-Checkpoint CD47.
Hopfner: Unsere Moleküle blockieren also nicht den Checkpoint hochaffin, sondern binden hochaffin an Tumorzellen. Und erst wenn die an der Immunzelle sitzen, inhibiert die spezifische Domäne den Checkpoint-Rezeptor. Dadurch konzentrieren wir die Checkpoint-Antwort auf die Tumor­oberfläche und verteilen sie nicht auf den gesamten Körper, wie klassische Checkpoint-Inhibitoren.

Das klingt nach einer Art Baukasten, mit dem man beliebig Antikörper und Inhibitor-Domänen verbinden kann, um neue Moleküle zu erstellen.
Fenn: Ich persönlich bin mit den Begriffen Baukasten oder Plattform immer vorsichtig, denn das klingt so, als würden wir systematisch Hunderte oder Tausende Moleküle fusionieren. Aber unsere Technologie sind ja die neuen Moleküle an sich, nicht der Prozess des Fusionierens. Dennoch: Theoretisch können wir bereits etablierte Antikörper mit beliebigen Checkpoint-Inhibitor-Domänen zu neuen, bispezifischen Molekülen verbinden.

Gibt es auch Nachteile dieser Moleküle?
Marion Subklewe: Checkpoint-Inhibitoren heben sozusagen die Bremse des Immunsystems auf, indem sie die Interaktion zwischen Tumorzelle und Checkpoints auf den T-Zellen blockieren. Gleichzeitig sorgen sie dadurch aber auch für eine unspezifische Aktivierung einer endogenen T-Zell-Antwort, was wiederum zu bekannten Nebenwirkungen wie Autoimmun­erkrankungen unterschiedlichen Ausmaßes führen kann. Das geschieht größtenteils ungezielt und im gesamten Körper. Mit unseren Konstrukten erreichen wir eine höhere Spezifität, weil die Checkpoint-Moleküle nur in solchen immunolo­gischen Synapsen wirken, wohin sie der Tumor-spezifische Antikörper mit hoher Affinität geleitet hat. Allerdings erreichen wir damit nicht die Menge unterschiedlicher Tumor-Entitäten wie klassische Checkpoint-Inhibitoren. Auf dem einen Tumortyp ist ein bestimmtes Oberflächen-Molekül hochreguliert, auf dem anderen nicht. Für diesen Tumortypen müssten wir dann ein neues Molekül aus Antikörper und Inhibitor-Domäne entwickeln.
Hopfner: Das ist ja durchaus der Charme dieser globalen Checkpoint-Inhibitoren, dass sie sehr breit einsetzbar sind. Dadurch lassen sie sich, bezogen auf ihre Anwendbarkeit, vergleichsweise kostengünstig produzieren. Und sie erwischen unter Umständen Tumor-Entitäten, die man vorher gar nicht auf dem Schirm hatte. Das ist Vor- und Nachteil gleichermaßen. Denken wir an ein Schrotgewehr. Wenn ich mit dem feuere, ist die Wahrscheinlichkeit, das eigentliche Ziel zu treffen, sehr hoch. Gleichzeitig kann ich aber auch eine Menge Schaden anrichten, denn vielleicht ist auch etwas dabei, was ich nicht treffen möchte. Unsere Moleküle sind präziser.

Dafür müssen Sie aber vielleicht ein paar Mal mehr feuern, um wirklich alles zu erwischen.
Hopfner: Genau.

Ihr Kandidat OPS-121 soll bei akuter myeloischer Leukämie, AML, eingesetzt werden, also einer hämato­logischen Krebserkrankung. Generell gelten solide Tumoren in der Bekämpfung als kniffeliger. Mit OPS-301 entwickeln Sie ein Molekül zur Anwendung bei Bauchspeichel- und Eierstock­krebs. Wie unterscheiden sich die beiden Kandidaten?
Subklewe: Diese Aussage möchte ich so nicht stehenlassen. All die Entwicklungen im Bereich der Immuntherapie, ob Checkpoint-Inhibitoren, bispezifische Antikörper oder CAR-T-Zellen richten sich gegen B-Zell-Neoplasien, weil wir dort Target-Antigene haben, die nicht Tumor-, sondern Linien-spezifisch sind. Und weil wir gut ohne B-Zellen leben können. Trotzdem führen auch die erfolgreichsten Therapien bei den B-Zell-Tumoren in nur circa der Hälfte der Patienten zu einer dauerhaften Remission. In den Ambulanzen sitzen also immer noch viele Patienten, die keinen Benefit von diesen Therapien haben. Gleichzeitig ist die akute myeloische Leukämie die häufigste Leukämie im Erwachsenen­alter, mit weiterhin schlechten Fünfjahres-Überlebens­raten. Im Rezidiv, also nach Wiederauftreten der Erkrankung, ist eine Heilung nur bei wenigen Patienten möglich. Das Problem des hämatolo­gischen Krebses ist also nicht gelöst, wir haben weiterhin einen hohen Bedarf an der Entwicklung neuer Therapie­optionen.

Danke für die Erläuterung.
Fenn: Ich stimme Frau Subklewe zu, wir haben viel Arbeit in die Entwicklung von OPS-121 gesteckt und ich halte das Molekül für sehr gut. Das Interesse an soliden Tumoren ist ebenso hoch und valide. Was dort problematisch ist: die Wirkstoffe und Antikörper können nur schwer in den Tumor eindringen, zeigen also eine vergleichsweise schlechte Tumor-Penetration. Wir haben uns mit dem Ovarial­karzinom auf eine Krebs­erkrankung fokussiert, bei der viele Makrophagen im Tumor-Micro­environment beteiligt sind. Die wiederum sprechen gut auf unsere Antikörper-Checkpoint-Inhibitor-Moleküle an. Den Antikörper gegen ein bekanntes Tumor-Target haben wir übrigens selbst entwickelt. Im Endeffekt ist der Wirkmechanismus vergleichbar zu dem von OPS-121. Wir haben ein hochaffines Tumor-Targeting und eine nicht so stark bindende Immun-Checkpoint-blockierende Domäne.

Die Buchstaben OPS finden sich sowohl in den Namen Ihrer Wirkstoff-Kandidaten als auch im Firmennamen Opsyon. Was hat es damit auf sich?
Hopfner: Opsyon ist ein Kunstname, eine Gemenge­lage verschiedener Assoziationen. Ops kommt von Opsonieren, wenn also Antikörper an Fremdmaterial binden. Das Y wiederum ist ein klassisches Antikörper-Symbol.
Fenn: Im Wort steckt außerdem das on von Hoplon, dem Schild der altgriechischen Hopliten.
Subklewe: Das zeigt auch unser Logo, ein griechischer Krieger mit Schild und Speer. Der Speer ist zur Attacke, sozusagen das Targeting, und das Schild als Abwehr, der Inhibitor.
Hopfner: Wir haben „Gehirnstürme“ veranstaltet und das kam dabei heraus. Der Name existiert ja auch schon eine Weile, zunächst als interner Projektname, jetzt als Firmenname.

Die Fragen stellte Sigrid März

Steckbrief Opsyon
Gründung: 2022
Sitz: Genzentrum München
Mitarbeiter: 5
Produkt: Checkpoint-Inhibitoren aus hochaffinen Targeting-Antikörpern und schwach bindenden Immun-Checkpoint-blockierenden Domänen

Bild: Pixabay/WarriorCat


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Letzte Änderungen: 19.01.2023