Editorial

„Wir haben nur wenige
Effekte gesehen“

(13.02.2023) Anti-Ageing-Interventionen sind gerade ein heißes Thema. Doch die dazugehörigen Studien lassen noch zu viele Fragen offen, findet Dan Ehninger.
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Lässt sich durch Unterbinden des mTOR- bzw. Wachtums­hormon-Signalwegs oder durch Intervall­fasten das Altern in Mäusen verlangsamen? Dies haben der Bonner Neuro­wissenschaftler Dan Ehninger vom Deutschen Zentrum für Neuro­degenerative Erkrankungen (DZNE) und der Genetiker Martin Hrabe de Angelis vom Deutschen Zentrum für Diabetes­forschung (DZD) und Helmholtz Zentrum München untersucht. Sie verglichen dazu gemeinsam mit einem Wissenschaftler­konsortium Hunderte von Phänotypen mithilfe von multi­dimen­sionaler Phäno­typisierung, einer Reihe von molekularen Markern und Transkriptomik-Profilen. Die Ergebnisse der Studie wurden Ende 2022 in Nature Communications (13:6830) veröffentlicht.

Wie kam die Idee auf, ein neuartiges Modell zur Untersuchung von Anti-Ageing-Effekten zu entwickeln?
Dan Ehninger: Die verfügbaren Daten und unsere eigenen Studien zu Alterungs­prozessen in der Maus haben gezeigt, dass die Lebens­spanne allein ein ungeeigneter Maßstab für das Altern ist. Wesentliche mutmaßliche Prozesse des Alterns – dazu zählen genomische Instabilität, Telomer-Verschleiß, epigenetische Veränderungen, Verlust der Proteostase, veränderte Nährstoff­erkennung, mitochondriale Dysfunktion, zelluläre Seneszenz, Erschöpfung der Stammzellen und veränderte interzelluläre Kommunikation – könnten alle an der Tumor-Entwicklung ansetzen und so die Lebensspanne der Maus verlängern, ohne dabei breitere Effekte auf das Altern zu haben.

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Gab es weitere Gründe?
Ehninger: Vorausgehende Studien zu Alterungs­prozessen haben auch Modelle mit unklarer Relevanz für die Alterung wie beispielsweise Mausmodelle für Progerie-Syndrome oder Zelllinien eingesetzt beziehungsweise Studiendesigns angewendet, mit denen sich die Auswirkungen von Inter­ventionen auf die Alterungsrate nicht untersuchen lassen. Wir haben das in einem Expert Review in der Zeitschrift Molecular Psychiatry im Detail beschrieben (28, 242–255).
Für unsere in Nature Communications veröffentlichte Studie haben wir deshalb eine andere analytische Heran­gehens­weise gewählt. Wir haben allgemeiner über verschiedene Organsysteme hinweg Veränderungen in der Physiologie, Anatomie sowie bei verschiedenen Markern angeschaut und Behandlungs­effekte getestet. Zudem haben wir Mäuse in verschiedenen Altersstadien verwendet.

Welche Schwierigkeiten hatten Sie dabei zu überwinden?
Ehninger: Eine Behandlung kann neben Alterungs-abhängigen auch Alterungs-unabhängige Effekte auf verschiedene Parameter haben. Es reicht beispielsweise nicht, zu zeigen, dass ein Medikament die kognitive Leistungs­fähigkeit im Alzheimer-Modell im Alter steigert. Man muss auch analysieren, ob die kognitive Leistungs­fähigkeit auch vor dem Verlust kognitiver Fähigkeiten verbessert wird, also bei jungen, nicht-erkrankten Mäusen. Ist dies der Fall, haben wir es mit einem Alterungs-unabhängigen Effekt zu tun. Die meisten Marker, die wir untersucht haben, waren bei Mäusen im Alter zwischen drei und fünf Monaten stabil, sodass wir dieses Zeitfenster zur Erkennung Alterungs-unabhängiger Behandlungs­effekte nutzen konnten.

Ihre Veröffentlichung hat fast 50 Autoren …
Ehninger: Für unseren Ansatz brauchten wir vielfältige Expertise – beispielsweise von Kardiologen, Immunologen, Verhaltens­forschern und Pathologen. Für unsere aufwendige, planungs­intensive Studie haben wir über fünf Jahre gebraucht. Wir mussten die Mauskohorten zusammen­bekommen und über die Zeit aufrecht­erhalten. Allein die Entwicklung und Optimierung der Analyse­methoden war ein längerer Prozess. Wir konnten aber auch auf Erfahrungen aus einer Vorgänger­studie mit dem mTOR-Inhibitor Rapamycin zurückgreifen, die wir 2013 im Journal of Clinical Investigation veröffentlicht haben (123(8):3272-3291). In der Studie haben wir den Effekt von Rapamycin auf über 150 molekulare, zelluläre, histo­patho­logische und funktionale Erscheinungs­formen des Alterns in der Maus analysiert.

Konnten Sie in Ihren Analysen denn signifikante Anti-Ageing-Effekte eines gestörten mTOR- bzw. Wachstumshormon-Signallings oder einer Kalorien­restriktion durch Intervallfasten feststellen?
Ehninger: Wir haben wenige Effekte gefunden, die nur in behandelten alten Mäusen, und nicht im gleichen Ausmaß auch in behandelten jungen Mäusen – vor dem Auftreten von Alterungs-abhängigen Veränderungen – zu sehen waren. In diesen Fällen müssen wir noch abklären, was genau dahintersteckt.
Was Tumore angeht, müsste man die Behandlungen in jungen Mäusen untersuchen, in denen Tumore zum Beispiel chemisch oder durch Bestrahlung induziert wurden, da junge Mäuse in der Regel keine Tumore aufweisen. Tatsächlich hemmen viele Langlebigkeits-induzierende Behandlungen die Tumor-Entwicklung auch in solchen Modellen, in denen die Tumor-Pathogenese vom Altern entkoppelt untersucht wurde. Es handelt sich also wahrscheinlich eher um Alterungs-unabhängige und direkte Anti-Tumor-Effekte. Dies haben wir ausführlich in unserem Expert Review in Molecular Psychiatry diskutiert.

Inwieweit ist der Mensch mit der Maus vergleichbar, wenn es um Alterungs­prozesse geht und inwieweit nicht?
Ehninger: Mit unseren Kollegen am DZNE, von der Rheinland-Studie um Monique Breteler und Ahmad Aziz, haben wir verschiedene Parameter wie Blutparameter, immunologische Parameter und klinische Chemie angeschaut. Vergleichbar bei Mensch und Maus sind Veränderungen der Nieren­funktions­werte im Alter. Unterschiede ergeben sich bei metabolischen Parametern wie Blutfetten und Blutglukose. Beim Menschen steigen diese im Alter an, bei der Maus sinken sie. Interes­santerweise haben Mäuse auch keine oder kaum Arteriosklerose im Alter. Das kann aber auch Ernährungs-bedingt sein. Durch eine fetthaltigere Ernährung kommt man vielleicht eher an die Situation im Menschen heran.

Kann die Alterung nach vorliegenden Erkenntnissen überhaupt verlangsamt werden?
Ehninger: Meine Sicht auf die Dinge ist, dass das im Augenblick für keine Behandlung belegt ist. Auch diätetische Restriktion in Form von Intervall­fasten hat nach unseren Erkenntnissen an Mäusen vor allem Alterungs-unabhängige Effekte.

Welche Fragen werden Sie mit Ihrem neuen Modell als Nächstes angehen?
Ehninger: Wir wollen mit geeigneten Mausmodellen und unserem analytischen Ansatz die wesentlichen Alterungs­prozesse („Hallmarks of Ageing“) genauer unter die Lupe nehmen. Uns interessiert, welche Regulatoren in welcher Beziehung zu Alters­erscheinungen stehen. Das kann sehr komplex sein. Jede Alters­erscheinung könnte ihr eigenes Set an Regulatoren haben.Oder es könnte ganze Gruppen von Phänotypen geben, die durch einzelne Regulatoren beeinflusst werden. Hier muss noch viel Arbeit geleistet werden.

In einem bioRxiv-Preprint schlagen Forscher des Pharma­unternehmens Rejuvenate Bio partielle Reprogram­mierungs­maßnahmen vor, um altersbedingte Krankheiten durch die Expression der Yamanaka-Faktoren rückgängig zu machen. Was halten Sie davon?
Ehninger: Ehe man hier über eine an sich heraus­fordernde Translation und Gentherapie nachdenkt, sollte man die Effekte im Mausmodell noch viel genauer unter die Lupe nehmen. Ich würde mehr Parameter in mehr Mäusen analysieren. Ich finde den Ansatz interessant, sehe eine Translation zum Menschen derzeit aber als utopisch an. Beim Menschen würde durch die Reprogram­mierung unter anderem ein hohes Tumorrisiko bestehen.

Was empfehlen Sie aufgrund des bisherigen Kenntnisstandes als Strategie, um die Alterung so weit wie möglich hinaus­zuzögern?
Ehninger: Ich glaube, dass die Biologie des Alterns noch zu sehr im Stadium der Grundlagen­forschung ist, um sagen zu können, welche Aspekte man zur Anwendung bringen kann. Persönlich würde ich Maßnahmen des gesunden Lebens empfehlen wie ausgewogene, nicht übermäßige Ernährung, ausreichend Bewegung und die Vermeidung von Risikofaktoren für kardio­vaskuläre Erkrankungen. Auf diese Weise könnte man schon viel erreichen.

Das Interview führte Bettina Dupont

Bild: DZNE


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Letzte Änderungen: 13.02.2023