Editorial

„Das Verbot,
Menschen zu klonen, ...

(14.02.2023) … bedeutet nichts mehr“. Denn inzwischen gebe es Verfahren, die von der Gesetzgebung nicht erfasst sind, erklärt der Embryologe Michele Boiani.
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Einem englisch-US-amerikanischen Team um Magdalena Zernicka-Goetz gelang es, einen Maus-Embryo alleine aus Stammzellen zu züchten.

Im August 2022 berichtete das Team um Magdalena Zernicka-Goetz, dass es aus embryonalen Stammzellen der Maus und extra­embryonalen Zellen Embryonen außerhalb der Gebärmutter erzeugen konnte (Nature, 610: 143-53). Die Zellen waren ex vivo in der Lage, sich selbst zu einem Embryo mit extra­embryonalem Dottersack zu organisieren (siehe Bild). Wissenschaftler um Jacob Hanna publizierten eine ähnliche Arbeit in Cell (185(18): 3290-306.e25). Hier entstanden künstliche Maus-Embryonen aus kultivierten embryonalen Stammzellen. Sie wuchsen in einem Kultursystem, das die Bedingungen im Uterus simulieren soll. Bei beiden Arbeiten entwickelten sich die Embryonen über den achten Tag hinaus und bildeten bereits Organ-ähnliche Strukturen. Was macht die beiden Studien aus Israel und aus Kalifornien aus Ihrer Sicht besonders? Und sind die Methoden auch auf den Menschen übertragbar?
Michele Boiani: In beiden Fällen wurden synthetische Embryonen aus Zelllinien erzeugt, die keine Beziehung zur Meiose hatten. Die Meiose ist der wesentliche Punkt, den meines Erachtens viele übersehen; sie ist die Schlüssel­eigenschaft der Keimbahn. Diese Forschungs­arbeiten verleihen den Säugetieren die Fähigkeit zu einer Art asexueller Fortpflanzung über Zellen aus der Mitose anstatt Zellen aus der Meiose. Das sollte mehr ethische Fragen aufwerfen als das Klonen durch Kerntrans­plantation in Eizellen, denn zumindest die alten Klone gingen von einer meiotischen Zelle – der Eizelle – aus.
Beide Arbeiten sind beeindruckend, besonders die Studie von Jacob Hannas Gruppe finde ich sehr interessant, weil uns in der Schule beigebracht wurde, dass höhere Säugetiere durch die Gebärmutter und die interne Entwicklung im Körper der Mutter definiert sind. Hannas Gruppe ging es nämlich auch darum, die Gebärmutter zum Teil durch ein In-vitro-System zu ersetzen. Die erzeugten Embryonen sind nicht nur künstlich, sondern sie sind auch in der Lage, sich außerhalb der Gebärmutter zu entwickeln – bis zu einem Stadium, das etwa dem Mittelpunkt der Trächtigkeit in der Maus entspricht. Dazu sage ich aber auch: Wir sprechen über ein Maus-Modell. In der Maus läuft die gesamte embryofetale Entwicklung in etwa drei Wochen ab. Beim Menschen hingegen bleiben nach drei Wochen noch rund acht Monate.

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Man könnte aber auch sagen: Was in der Maus acht Tage dauert, entspricht beim Menschen dem Ende des ersten Trimesters. Denn man könnte diese Zeitskalen ja auch relativ betrachten.
Boiani: Da wäre ich sehr zurückhaltend, wir sprechen hier wirklich von ganz unterschied­lichen Organismen. Ja, wir sehen hier ein Proof of Principle: Wir sind heute in der Lage, Embryonen aus embryonalen Stammzellen oder aus anderen pluripotenten Stammzellen zu erzeugen, sogar ohne einen meiotischen oder gametischen Hintergrund. Und in der Maus werden wir deren Entwicklung sicher noch viel weiter bekommen. Schon jetzt hatten diese Feten einen Herzschlag. Ich gehe davon aus, dass Jacob Hanna es mit seiner Gruppe schafft, auch deren komplette Entwicklung außerhalb der Gebärmutter zu erreichen. Allerdings in der Maus – mit sehr kurzer Entwicklungszeit und sehr kleinen Feten!

Möglicherweise lassen sich aber auch aus menschlichen Stammzellen Embryonen erzeugen. Wie verändert sich dabei eigentlich die juristische Situation im Vergleich zur Forschung an menschlichen Embryonen, die aus Gameten hervor­gegangen sind?
Boiani: Für humane embryonale Stammzellen sind die Möglichkeiten in Deutschland sehr begrenzt. Die Gewinnung dieser Stammzellen ist in Deutschland sowieso verboten, weil Sie dazu einen Embryo zerstören müssten. Reguliert ist das im Stammzell­gesetz. Humane embryonale Stammzellen darf man nur noch nutzen, wenn sie vor einem Stichtag im Jahr 2007 gewonnen wurden.
Eine ganz andere Regulierung gilt für die iPS. Das sind ja keine embryonalen Stammzellen im Sinne der biologischen Herkunft, sondern sie werden aus somatischen Zellen erzeugt. In vielen Aspekten ähneln sie den embryonalen Stammzellen, sie fallen aber nicht in den Geltungsbereich des Embryonen­schutzgesetzes. Mit diesen iPS darf man daher alles Mögliche tun. Man könnte sogar humane iPS auf tierische Embryonen übertragen. Inwiefern das sinnvoll oder ethisch vertretbar ist, wäre noch mal eine andere Frage, und Ethik­kommission und Tierschutz­behörde müssten dem zunächst zustimmen. Aber juristisch gibt es für iPS sehr weitreichende Anwendungs­möglichkeiten.

Sie erwähnten bereits das Klonen: Eine somatische Zelle liefert das Erbgut, doch man brauchte zusätzlich eine auf natürliche Weise entstandene Eizelle.
Boiani: Tja, wissen Sie, ich komme genau aus diesem Gebiet des somatic cell nuclear transfer. Geklonte Mäuse standen am Anfang meiner Laufbahn. Es gab eine große Sorge, dass damit Missbrauch betrieben werden könnte. In Deutschland ist das Klonen von Menschen natürlich verboten, ganz klar! Zudem brauchte man ja auch immer die Eizelle als Empfänger des somatischen Kerns, und an eine humane Eizelle heranzu­kommen, ist auch ziemlich kompliziert. Heute aber könnten wir genau das ohne Eizelle umsetzen. Okay, die Verfahren sind anders: Im einen Fall haben Sie das Cytoplasma der Eizelle, im anderen Fall einen Cocktail sogenannter Reprogram­mierungs­faktoren. Aber am Ende haben Sie Erbgut geklont, nur mit verschiedenen Methoden.
Ich finde es daher ein bisschen heuchlerisch, wenn einige Leute mit diesen Begriffen spielen. Für mich sind die Embryoiden nichts anderes als Klonen im Verborgenen. Die ethische Gemeinschaft hat vor zwanzig Jahren gegen das Klonen protestiert, und jetzt wird uns das Klonen wieder auf dem Teller serviert, und niemand sagt etwas. Um es klarzustellen: Ich bin nicht gegen das Klonen, ich bin gegen die Heuchelei. Ich verstehe nicht, wie man die Transplantation des somatischen Zellkerns in die Eizelle abweisen, aber mit dem Bau von Embryo-ähnlichen Strukturen aus Zelllinien einverstanden sein kann. Ich kann heute die Gameten als Produkte der Meiose einfach überspringen und die Fortpflanzung von meiotisch-sexuell auf mitotisch-asexuell umstellen. Das Verbot, Menschen zu klonen, bedeutet nichts mehr, denn ich habe eine alternative Methode, die sogar effizienter ist, weil man nicht erst Eizellen entnehmen muss. An humane iPS heranzu­kommen, ist nämlich vergleichsweise einfach.

Demnach wäre es also legal, über humane iPS menschliche Embryoide zu erzeugen und deren Entwicklung im Labor zu untersuchen?
Boiani: Ich bin kein Jurist, aber nach meiner Interpretation wäre das möglich. Denn iPS sind keine embryonalen Stammzellen. Beide sind sich in vielen Aspekten sehr ähnlich und vielleicht sogar äquivalent, aber sie stammen nicht aus einem Embryo und fallen nicht unter das Embryonen­schutzgesetz. Nach meinem Kenntnisstand wäre es daher nicht verboten, Embryoide aus humanen iPS im Labor zu erzeugen.

Nun haben Sie betont: Einen Menschen aus umprogram­mierten Körperzellen herzustellen, sei derzeit nicht vorstellbar. Aber machen wir ein Gedanken­experiment: Wenn diese Methode nun sicher wäre und vielleicht sogar sehr viel zuverlässiger als andere Techniken zur Kinder­wunsch­erfüllung – warum wäre es eigentlich verwerflich, wenn Menschen auch auf diese Weise Nachkommen zeugen?
Boiani: Menschen, die einen unerfüllten Kinderwunsch haben, leiden. Und ich bin ganz dafür, dass wir diesen Menschen helfen, eine Familie zu gründen. Das finde ich nicht verwerflich. Aber es gibt immer eine Abwägung zwischen Nutzen und Risiken. Wenn es sicher wäre, hätte ich wenige Bedenken. Aber es ist sehr, sehr unsicher nach allem, was wir wissen. Und deshalb wäre es beim aktuellen Kenntnis­stand unverantwortlich, solche Embryonen auf den Menschen zu übertragen. Ich befürchte, wir sind dabei, eine alternative Art der Reproduktion zu schaffen, die August Weismann Angst machen würde. Die Angst vor den Klonen aus Eizellen wie vor zwanzig Jahren erscheint lächerlich, verglichen mit den heutigen Möglichkeiten.

Das Gespräch führte Mario Rembold

Bild: Amadei, G. et al.

Dieses hier gekürzte Interview erschien zuerst in ausführlicher Form im aktuellen Laborjournal (Heft 1-2/2023).


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Letzte Änderungen: 14.02.2023