Editorial

Taschen-Detektor
für kleine Moleküle

(08.03.2023) Ethanolamin mit einem Nanoporen-Sequenzierer zu detektieren, klingt recht abenteuerlich. Mit dem passenden Aptamer ist es gar nicht so schwer.
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Kaum lacht die Frühlingssonne, herrscht vorm Kindergarten wildes Treiben. Die kleinen Rabauken zu zählen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Indirekt lässt sich ihre Anzahl aber schnell berechnen, denn an der Garderoben­leiste hingen morgens noch zwanzig Mäntelchen und jetzt nur noch zwei.

Genau wie die Kinder im Kindergarten kann man auch Moleküle indirekt zählen, solange auf jedes Molekül genau ein „Mäntelchen“, etwa ein Aptamer, passt. Aptamere sind maßgeschneiderte Oligo­nukleotide mit einer dreidimensional gefalteten Struktur, die Zielmoleküle sehr spezifisch binden. Dass Aptamere aus Nukleotiden bestehen, macht sie prinzipiell kompatibel für Sequenzier-basierte Methoden und Geräte. Diese Eigenschaft nutzte Hans-Peter Deigners Team am Institute of Precision Medicine der Universität Furtwangen für die Detektion und Quantifizierung kleiner Moleküle.

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Ein interessanter Biomarker

Mit der Nanoporen-Technologie, bei der die Probe durch winzige Poren wandert, sequenziert man DNA oder RNA. Beim Durchtritt ändert sich die an der Pore gemessene Spannung für jede Nukleobase um einen spezifischen Wert. Der Nanoporen-Sequenzierer zeichnet die Spannungs­änderung auf und leitet aus dem Profil die Sequenz ab – die gezählten Reads geben zusätzlich Aufschluss zur Konzentration.

Mit Nanoporen-Sequenzierern lassen sich aber prinzipiell auch kleine Moleküle detektieren, die durch die Pore schlüpfen. Der Aufwand, für jedes Molekül beziehungsweise jeden Analyten ein robustes Protokoll zu entwickeln, wäre aber erheblich und es gäbe keine Erfolgsgarantie. Aussichtsreicher ist es für den gewünschten Analyten ein geeignetes Aptamer zu designen. Mitunter existiert dieses sogar schon, beispielsweise ein 42 Nukleotide langes Aptamer, das Ethanol­amin erkennt (Anal Chem, 87(1):677-85). Ethanol­amin (EA) kommt in diversen Körper­flüssigkeiten vor, etwa in Blut (2 µM), Cerebro­spinal­flüssigkeit (14 µM) oder Speichel. Zu geringe EA-Pegel gehen mit Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson einher, zu hohe mit Bauchspeichel­drüsenkrebs – Ethanolamin könnte daher ein interessanter Biomarker sein.

Paarbildung mit Aptamer

Deigners Gruppe, zu der auch Forscher und Forscherinnen von den Universitäten Tübingen und Halle-Wittenberg sowie den Fraunhofer Instituten IZI in Leipzig und Rostock gehörten, hat sich ein Aptamer-basiertes Nanoporen-Verfahren ausgedacht, mit dem man Ethanol­amin indirekt quantifizieren kann. Als Messinstrument dient ein MiniON-Nanoporen-Sequenzierer, der Aptamere registriert, die nach der Inkubation mit einer Ethanol­amin-Probe keinen Partner abbekommen haben. Da die Konzentration der eingesetzten Aptamere bekannt ist, lässt sich aus der Zahl erfolgreicher Paarungen die Menge der Ethanol­amin-Moleküle bestimmen.

Für die Messung werden zunächst Streptavidin-beschichtete Magnet­kügelchen (Beads) mit 3‘-biotinylierten Oligos beladen, die eine zum Aptamer komplementäre Sequenz aufweisen. Die Oligos sind zwar wesentlich kürzer als das Aptamer, aber lang genug, um spezifisch unter geeigneten Puffer­bedingungen mit diesem zu hybridisieren. Mithilfe des Überstands ermittelt man die Bindeeffizienz der Aptamere, die Beads inkubiert man danach mit der Ethanol­amin-haltigen Probe. Aufgrund ihrer hohen Affinität für Ethanol­amin lösen sich die Aptamere von den komple­mentären Oligos (strand displacement) und falten sich zu einem Quadruplex-Gebilde, dessen Haarnadel­strukturen Ethanol­amin umarmen. Die Aptamer-EA-Komplexe sind aber nicht weiter von Interesse – entscheidend ist, was an den Kügelchen hängen bleibt.

Sperrige Struktur bremst

Je nach EA-Gehalt der Probe gehen einige Aptamere leer aus und bleiben am komple­mentären Oligo-Strang und somit an den Kügelchen haften. In einem Puffer, der keine Hybridi­sierungen zulässt, trennt man die Aptamere von den Oligos, anschließend trägt man dreißig Mikroliter der erhaltenen Proben­flüssigkeit tröpfchenweise auf die Flusszelle des Nanoporen-Sequenzierers auf. Für den Sequenzierlauf, der circa eine halbe Stunde dauert, hat das Team die Einstellungen des Sequenzierers optimiert. Statt eines sogenannten pre-Processings nutzte es die Rohdaten (bulk file) des Sequenzieres, um mithilfe der Open-Source-Software Nanotrace auswertbare Signale zu erhalten. Eine Kalibrierkurve mit Proben bekannter Aptamer-Konzentrationen lieferte schließlich den letzten nötigen Baustein für die Berechnungen.

Zwischen 50 nm und 2,5 µM sind die Signale proportional zur Aptamer-Konzentration – der entsprechende medizinisch relevante Ethanol­amin-Gehalt der Proben liegt zwischen 5 und 20 µM. Anders als man das von so kurzen Oligos erwarten würde, wandern die Aptamere nur mit einem moderaten Tempo von höchstens 30 bis 40 Molekülen pro Minute durch die Nanoporen und erzeugen dabei einen charak­teristischen Dreier-Peak als Signal. Die Gruppe vermutet, dass die Aptamere durch ihre sperrige Quadruplex-Struktur ausgebremst werden.

Andrea Pitzschke

Quint I. et al. (2023): Ready-to-use nanopore platform for ethanolamine quantification using an aptamer-based strand displacement assay. bioRxiv, DOI: 10.1101/2023.02.27.530168

Bild: Pixabay/Uki_71 (Jeans) & gemeinfrei (Ethanolamin)




Letzte Änderungen: 08.03.2023