Editorial

„Dort wo die saftigsten Ananas gedeihen“

(16.03.2023) Da zieht’s die Biotech- und Pharmafirmen hin. In einer Anhörung wollte die Politik wissen, wie Deutschland auch zum Ananasland werden könnte.
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Zu wenig Patente, zu wenige Start-ups – zu wenig wird rausgeholt aus der hervorragenden Grundlagenforschung. Im Vergleich mit anderen Ländern, allen voran den USA, hinkt Deutschlands Biotech- und Pharmabranche meilenweit hinterher. Woran liegt’s? Das wollte die Politik in einer öffentlichen Anhörung im Wirtschaftsausschuss Anfang März von Finanzexperten und den Biotech-/Medtech-Verbänden wissen. Der Einladung in den Deutschen Bundestag folgten unter anderem Dorothee Stamm vom Bundesverband Medizintechnologie (BVMed), Viola Bronsema von BIO Deutschland und Biotech-Gründer/-Investor Andreas Eckert.

Unter anderem sollten die Sachverständigen beurteilen, ob es Sinn ergibt, einfach nur mehr Geld ins System zu kippen und abzuwarten. Einen solchen Vorschlag hatte etwa die CDU-Fraktion gemacht. Genauer ging es dabei um einen sogenannten Biotech Future Fonds, ausgestattet mit nicht weniger als 1 Milliarde Euro. Mehr Geld ist natürlich immer gut, aber es sollte mit Bedacht eingesetzt werden, meinte dazu Jörg Schaaber von der BUKO Pharma-Kampagne. Denn „neue Medikamente werden vorzugsweise für die lukrativsten Indikationen auf den Markt gebracht, nicht aber da, wo es die größten therapeutischen Lücken gibt.“ Antibiotika beispielsweise oder Medikamente gegen tropische Krankheiten. Hier gilt es, genau hinzuschauen und vor allem zunächst vorhandene Finanzierungslücken, insbesondere bei der Anschlussfinanzierung und beim Wagniskapital, zu schließen.

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Zu langsam und kompliziert

Viel wichtiger als Fördermilliarden, und da waren sich alle Sachverständigen einig, ist es, die Rahmenbedingungen für die Branche zu verbessern. Denn da liegt in Deutschland noch einiges im Argen. So bemängelt etwa der Bundesverband der Deutschen Industrie: „Speziell für den ‚Studienstandort Deutschland‘, gemeint ist die klinische Forschung für innovative Arzneimittel, Therapien, Impfstoffe, bestehen sehr hohe bürokratische Hürden: z. B. führen 52 Ethik-Kommissionen und 38 Universitätsmedizinen zu einer uneinheitlichen Praxis bei der Genehmigung von Studien.“ Genehmigungsverfahren im Schneckentempo und zu viel Bürokratie steht auch bei BIO Deutschland, BVMed und Finanzwissenschaftler Berthold Wigger auf der Zu-verbessern-Liste ganz weit oben.

Letzterer hat noch einen Stolperstein für die Biotech- und Pharmabranche ausgemacht: „Die Belastung mit Unternehmensteuern trägt maßgeblich zu Standortentscheidungen forschender Unternehmen bei.“ Abgesehen davon, zeigt er sich besorgt darüber, dass sich immer weniger junge Menschen für ein naturwissenschaftliches Studienfach interessieren. Ein noch größerer Fachkräftemangel wäre die Folge.

Nationaler Rat der Biotechnologie

Bürokratie-Abbau, schnellere Genehmigungsverfahren, steuerliche Anreize – die notwendigen Maßnahmen werden von den Sachverständigen klar benannt. BIO Deutschland spricht sich außerdem für die Schaffung eines nationalen Biotechnologierates aus. Einen solchen gibt’s beispielsweise schon in Norwegen und seit letztem Jahr auch in Rheinland-Pfalz. Letzterem gehört unter anderem Helle Ulrich an, wissenschaftliche Direktorin des Mainzer Institute of Molecular Biology. Dass ausgerechnet Rheinland-Pfalz so konsequent auf Biotechnologie setzt, ist kein Zufall, hat man doch mit Biontech in den letzten Jahren ziemlich gute Erfahrungen gemacht.

Auf bundesweiter Ebene könnte ein solches Biotechnologie-Gremium ebenfalls viel erreichen, ist sich BIO Deutschland sicher. „Um die Innovationspotenziale der Biotechnologie einschätzen, wertschätzen und ausschöpfen zu können, ist ein Biotechnologierat, der die Bundesregierung berät, ein sinnvoller und wichtiger Schritt. Insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass dadurch die gesellschaftliche Akzeptanz für diese oft falsch verstandene Technologie nachhaltig gesteigert werden kann“, schreibt der Verband in einer zuvor veröffentlichten Stellungnahme.

Auch Finanzexperte Wigger hält einen solchen „Technologierat“ für eine gute Idee, schränkt aber ein, dass dieser nicht dafür da sein sollte, einfach nur Unternehmen auszuwählen, die gefördert werden. „Vielmehr sollte er dazu beitragen, jene Hindernisse zu identifizieren, die der Entwicklung wissensintensiver neuer Industrien im Wege stehen und Vorschläge entwickeln, diese Hindernisse zu beseitigen.“

Saftige Biotech-Zukunft?

Obwohl während der Anhörung oft von „German Speed“ zu hören war, wird sich die Hindernis-Beseitigung wohl noch eine Weile hinziehen. Kommt sie zu spät für die deutsche Biotech-Industrie? Investor und Sachverständiger Andreas Eckert sagt vielleicht. „Deutschland besitzt zwar eine überdurchschnittlich starke Pharmaindustrie, doch diese füllt ihre Entwicklungspipeline längst international. Sie kauft die Ananas dort, wo sie am saftigsten gedeihen, auf den ausländischen Forschungsmärkten. Dort haben sich starke Ökosysteme etabliert, die neben günstigen Kapitalkosten oft regulatorische und andere Wettbewerbsvorteile besitzen“, erläutert er in einer zuvor veröffentlichten Stellungnahme. Viola Bronsema von BIO Deutschland ist da optimistischer. In der Anhörung im Wirtschaftsausschuss spricht sie von Deutschland als „zukünftig führendem Biotech-Standort der Welt“.

Der Ball liegt nun erstmal in den Händen der Politik. Dann wird sich zeigen, wer von den beiden Sachverständigen recht behalten hat.

Kathleen Gransalke

Bild: Pixabay/stux


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Letzte Änderungen: 16.03.2023