Editorial

„Praktisch ein
Berufsausübungsverbot“

(03.04.2023) Das WissZeitVG soll erneuert werden. Die vorgeschlagene 3-Jahresregel hält GBM-Präsident Volker Haucke für einen ganz schlechten Kompromiss.
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Sie haben kürzlich als Präsident der Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie gemeinsam mit anderen Fachgesell­schaften aus den Natur- und Lebenswissen­schaften eine Stellungnahme zur geplanten Novellierung des Wissenschafts­zeitvertrags­gesetzes (WissZeitVG) veröffentlicht. Wie kam es dazu?
Volker Haucke: Im Koalitionsvertrag der Bundes­regierung ist festgehalten, dass das WissZeitVG novelliert werden soll. Dazu hat auch öffentlicher Druck beigetragen – Stichwort #IchBinHanna (siehe dazu auch den LJ-Essay der Initiatoren: „#IchBinHanna – Warum prekäre Arbeit der Wissenschaft nachhaltig schadet“) – denn zunehmend wird auch in der Öffentlichkeit diskutiert, dass die Situation des wissen­schaftlichen Nachwuchses in Deutschland kompliziert ist. Insbesondere in den Geistes- und Sozial­wissen­schaften haben viele Promovierende sehr schlecht bezahlte Stellen. Das ist zwar in den Natur- und Lebens­wissenschaften meist besser, aber auch hier sind die Vertrags­laufzeiten oft zu kurz, um ein Projekt fertigzustellen oder die nächste Karrierestufe zu erreichen. Das zu ändern, hat sich die Bundesregierung auf die Fahnen geschrieben und am 17. März in einem Eckpunkte­papier vorgestellt, was sich zukünftig ändern soll. Das sind mehrere Punkte, aber was uns in den Lebens­wissenschaften besonders umtreibt, ist die Tatsache, dass die Postdoc-Zeit auf drei Jahre befristet werden soll und danach in einer Dauer­beschäftigung münden müsste.

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Münden müsste, bedeutet: wer anschließend keine Dauerstelle findet, ist draußen?
Haucke: Exakt! Und unter uns gesagt, ich gehe davon aus, dass das in den meisten Fällen genau so passieren wird.

Und wenn man nun noch einen zweiten Postdoc machen möchte?
Haucke: Das geht dann in Deutschland nicht mehr, zumindest nicht auf einer klassischen befristeten Postdoc-Stelle.

Aktuell gilt nach dem WissZeitVG die 6+6-Regel. Man hat also sechs Jahre Zeit für die Promotion und im Anschluss noch einmal sechs Jahre für einen oder mehrere Postdocs. Schafft man die Doktorarbeit in weniger als sechs Jahren, kann man die Postdoc-Phase um diese Zeit verlängern. Vergleicht man diese Zahlen mit der geplanten Regelung, ist das ja eine ganz drastische Kürzung.
Haucke: Ja, so sehen wir es auch! Für uns kommt diese neue Regelung sogar einem Berufs­ausübungs­verbot gleich, denn ohne Dauerstelle – und die sind in unserem Wissenschafts­system ohne zusätzliche Finanzmittel selten – darf man nach diesen drei Jahren in Deutschland seinem Beruf quasi nicht mehr nachgehen.

Tatsächlich ist die geringe Anzahl von unbefristeten Stellen ein weiteres Problem an den Hochschulen. Auch diesen Missstand möchte das WissZeitVG ja eigentlich beheben. Können Sie sich nicht vorstellen, dass Postdoc-Stellen durch die neue Regelung zukünftig häufiger entfristet werden?
Haucke: Meine Einschätzung ist, dass das höchst selten passieren wird. Und selbst wenn es geschehen sollte, tun sich damit andere Probleme auf. Denn jede Stelle lässt sich nur einmal entfristen und ist somit für neue Postdocs verloren. Das wäre katastrophal für den Wissenschafts­betrieb und wahrscheinlich auch kein Gewinn für die entfristeten Wissenschaftler.

Das müssen Sie jetzt doch etwas genauer erklären!
Haucke: Das erkläre ich Ihnen sehr gerne. Wir müssen hier nämlich zwei Dinge trennen. Unbefristete Stellen fehlen vor allem im akademischen Mittelbau, von dem unter anderem ein wichtiger Teil der Lehre an deutschen Universitäten gestemmt wird. Im internationalen Vergleich liegen wir, wenn man das Verhältnis Lehrende zu Studierende anschaut, beispielsweise um etwa einen Faktor 3 zurück. Postdocs haben aber mehrheitlich den Wunsch in der Forschung zu bleiben und den Karriereweg des Gruppenleiters und später des Professors einzuschlagen.

Und dass sich Wissenschaftler nach drei Jahren Postdoc-Zeit gleich auf eine unbefristete Professorenstelle bewerben, halten Sie für unrealistisch?
Haucke: Auf jeden Fall! Nach nur drei Jahren eigenständigen wissenschaftlichen Arbeitens ist man dazu in der Regel einfach noch nicht in der Lage. Hinzu kommt, dass die meisten Forschungs­projekte in den Natur- und Lebens­wissenschaften weitaus länger laufen als drei Jahre. In drei Jahren kann ein Postdoc also nicht einmal ein Projekt vernünftig abschließen, er kann deshalb auch nicht publizieren und erst recht kein eigenes Thema etablieren. Wenn man ehrlich ist, sind das dann drei verlorene Jahre. Und auch für das Projekt selbst ist es natürlich schlecht, wenn es mittendrin einen Wechsel gibt.

Wenn die Nachteile so deutlich sind, wie erklären Sie sich, dass diese Regel überhaupt geplant wurde?
Haucke: Das kann man nur verstehen, wenn man annimmt, dass nicht alle Entscheidungs­träger das Wissenschafts­system wirklich kennen. Manche denken, Wissenschaft sei eine Beschäftigung wie jede andere und warum sollte es dort dann nicht auch Verträge wie überall sonst geben. Wenn man über den Wissenschafts­betrieb nichts weiß, ist das erstmal nicht unvernünftig. Aber so funktioniert das System eben nicht. Die Postdoc-Phase ist eine Phase wissen­schaftlichen Arbeitens, in der man Experimente macht, große Datenmengen sammelt und analysiert und an Publikationen arbeitet, die einen letztlich berufbar machen. In dieser Zeit muss man wissen­schaftliche Standards etablieren und das dauert seine Zeit.

Wie lange, denken Sie, sollte man diesem Prozess denn Zeit geben?
Haucke: An unserem Institut (Anm. der Redaktion: das Leibniz-Forschungs­institut für Molekulare Pharmakologie in Berlin) arbeiten Postdocs und auch unabhängige Gruppenleiter, die schon einen Postdoc hinter sich haben. Letztere bekommen bei uns einen Vertrag für fünf Jahre mit der Verlängerungs­möglichkeit für weitere vier Jahre. In dieser Zeit können sie ihr eigenes wissen­schaftliches Programm entfalten. Das sind die Leute, die sich anschließend erfolgreich auf eine Dauerprofessur bewerben.

Und eine andere Lösung sehen Sie nicht?
Haucke: Wenn man bereits die Zulassung zur Promotion extrem beschränken würde, sodass nur noch die Besten ihres Jahrgangs promovieren können, würde die Postdoc- und Gruppen­leiterphase ihren kompetitiven Charakter verlieren. Das würde allerdings auch das Angebot an jungen Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftlern, die in der Industrie oder außerhalb der akademischen Welt arbeiten wollen, massiv reduzieren. Wollen wir das wirklich? Ich finde, die Leute sollten die Wahl haben und erst einmal forschen und dabei herausfinden, ob das etwas für sie ist. Das weiß man nämlich nicht, bevor man es ausprobiert hat.

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat nach der Evaluierung der letzten Novellierung des WissZeitVG gefordert, dass nach der Promotion Befristungen direkt an einen Tenure Track gekoppelt sein sollen (siehe dazu auch „Die wesentliche Ziele wurden verfehlt“ auf LJ online). Wäre das aus Ihrer Sicht eine Lösung?
Haucke: Es löst leider das Problem überhaupt nicht, wenn sich der Tenure Track an eine nur 3-jährige Postdoc-Phase anschließt. Das ist einfach zu früh. Die Postdoc-Zeit ist eine sehr wichtige Zeit, in der sich inhaltlich viel tut, in der man sich von anderen absetzen, Erfahrungen sammeln und vor allem publizieren muss. Wenn man dann dafür bereit ist – und das kann bei jedem auch je nach Fachgebiet unterschiedlich lange dauern – kann man sich, bestenfalls an einer anderen Einrichtung, auf eine Stelle mit Tenure Track bewerben, um damit eine eigene Gruppe zu gründen.

Also brauchen wir mehr Tenure-Track-Stellen?
Haucke: Auf jeden Fall, vor allem in der auf den Postdoc folgenden Phase des wissen­schaftlichen Werdegangs!

In der Stellungnahme sprechen Sie auch davon, dass die geplante 3-Jahresregel Frauen besonders benachteiligen würden. Wie ist das zu verstehen?
Haucke: Ich sage mal so, was brauchen Sie als Wissenschaftlerin mit Kindern am meisten? Doch wohl Zeit! Eine 3-Jahresregel mit anschließendem Weiter­beschäftigungs­verbot würde also Mütter, aber auch Väter, die sich bei der Kinder­betreuung einbringen, besonders hart treffen.

Das klingt alles sehr frustrierend! Wo sehen Sie denn Möglichkeiten, die Arbeitsbedingungen von Nachwuchs­wissenschaftlern zu verbessern?
Haucke: Ehrlich gesagt ist das Hauptproblem die starke Unter­finanzierung unserer Universitäten. Viele Universitäten scheuen sich davor, Dauerprofessuren in Tenure-Track-Stellen umzuwandeln, weil sie Angst haben, dies könnte ihren Fachbereich schwächen. Wir brauchen deshalb mehr Geld, um neue Tenure-Track-Stellen, aber auch mehr unbefristete Stellen im Mittelbau zu schaffen, um damit auch den Wissenschaftlern Perspektiven zu bieten, die an der Uni bleiben möchten, ohne eine Professur anzustreben. Das ist ein strukturelles Problem, das wir nicht mit dem WissZeitVG lösen, sondern mit Unterstützung, Geld und politischem Willen.

Und das WissZeitVG sollte eigentlich eine solche Unterstützung sein?
Hauke: Ich glaube, wir verstehen alle, dass Nachwuchs­forscher Perspektiven brauchen und auch verdient haben. Und dass der Weg zur Professur ein Konkurrenz­geschäft bleiben muss, empfinden zumindest auf der wissenschaftlichen Seite auch alle. Aber was vielen jungen Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftlern fehlt, ist Planbarkeit. Und die Planbarkeit bekommt man nicht, indem man den Leuten an irgendeinem Punkt die Karriere einfach abschneidet, wie es die Politik jetzt definiert. Die derzeit geplante 3-Jahresregel ist in meinen Augen ein Paradebeispiel für einen schlechten Kompromiss: Er zerstört das Wissenschafts­system und die Chancen unserer Nachwuchs­wissenschaftler gleichermaßen.

Das Gespräch führte Larissa Tetsch

Volker Haucke ist Präsident der Gesellschaft für Biochemie und Molekular­biologie, Direktor am Leibniz-Forschungs­institut für Molekulare Pharmakologie in Berlin und Professor für Molekulare Pharmakologie am Institut für Pharmazie an der Freien Universität Berlin.

Bild: Pixabay/BRRT (Kalender) & Leopoldina


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Letzte Änderungen: 02.04.2023