Editorial

„Wir wollen das Selbstbewusstsein stärken“

(27.04.2023) Seit 2015 gibt es die „Women in Biology“ an der Uni Wien. Sie unterstützen, bauen Netzwerke und zeigen die Ungleichbehandlung von Forscherinnen auf.
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Frauen sind in der Wissenschaft auf höheren Karriere­stufen immer noch unterrepräsentiert und beruflich schlechter vernetzt als ihre männlichen Kollegen. Die Initiative „Women in Biology“ (WoBio) an der österreichischen Universität Wien, in unserem Interview vertreten durch die Zellbiologin Verena Ibl und die Verhaltensbiologin Lisa Horn-Peter, wollen lokal die Verhältnisse in den Lebens­wissenschaften weiter verbessern.

Seit wann gibt es Ihr Netzwerk an der Universität Wien?
WoBio: Zum 650-jährigen Jubiläum der Universität Wien im Jahr 2015 gab es in der Biologie 18 männliche und zwei weibliche Professorinnen. In einer öffentlichen Vortragsreihe für Schülerinnen und Schüler war keine einzige weibliche Vortragende vertreten. Das hat die Meeresbiologin Monika Bright mit weiteren Kolleginnen damals dazu veranlasst, die Initiative „Women in Biology“ ins Leben zu rufen, um die Ungleich­behandlung von Wissen­schaftlerinnen sichtbar zu machen. Unsere Gruppe hat öffentliche Briefe geschrieben, dass es kein gutes Bild für die Uni Wien biete, wenn keine weiblichen Vortragenden eingebunden würden. Wir haben ein Poster mit den Daten der Anstellungs­verhältnisse, Drittmittel­einwerbung und Publikationen von Wissen­schaftlerinnen veröffentlicht, die zeigen, dass Forscherinnen sehr erfolgreich bei der Einwerbung von Geldern und beim Publizieren sind, aber trotzdem, verglichen mit ihren männlichen Kollegen, zu wenige Führungs­positionen einnehmen.

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Wie sieht die Situation heute an der Uni Wien aus?
WoBio: Nach einer Erhebung in „Gender im Fokus 7“ der Universität Wien aus dem Jahr 2021 lag der Frauenanteil bei den Professuren an der Universität Wien insgesamt bei 33 %, ein Anstieg um 10 % gegenüber 2011. Bei den Tenure-Track-Professuren gab es von 2018 bis 2021 einen Anstieg des Frauenanteils von 36 % auf 44 %. Die Gleichstellungs­anstrengungen haben also durchaus Früchte getragen. In den Bio- und Lebens­wissenschaften lagen die Frauenanteile bei den Praedocs bei 61 %, machten aber bei den Professorinnen nur 29 % aus. Männliche Wissenschaftler hingegen stellten 39 % der Praedocs, aber 71 % der Professoren.

Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für den niedrigen Frauenanteil bei den Professuren?
WoBio: Die Daten von „Gender im Fokus 7“ zeigen, dass, obwohl Maßnahmen gesetzt wurden, um Wissen­schaftlerinnen zu fördern, wir 30 % der weiblichen Praedocs verlieren. Hier gilt es zu fragen: warum ist das so? Hier gibt es unter­schiedliche Begründungen: Oft scheiden die Wissen­schaftlerinnen ab der Doktorarbeit aus, da ihre Flexibilität und Mobilität durch Familien­gründung und Familien­verpflichtungen gegenüber ihren männlichen Kollegen etwas abnehmen. Auf dem wissen­schaftlichen Karriereweg spielt das Netzwerk eine große Rolle und es zeigt sich immer häufiger, dass Frauen seltener (aktiv) in Netzwerken tätig sind beziehungsweise diese nutzen. Daher ergibt es sich auch, dass sich für eine Professur in den Lebens­wissenschaften weniger Frauen als Männer bewerben. Erschwerend kommt hinzu, dass die Entscheidungs­prozesse über die Vergabe einer Professur sehr langwierig sind.

Welche Unterstützung bieten Sie in Ihrem Netzwerk?
WoBio: Wir haben ergänzend zu den gut etablierten männlichen Netzwerken ein Netzwerk für Frauen an der Universität Wien gebildet, um eine kritische Masse zu erreichen. Wir wollen Probleme und Unausgewogen­heiten sichtbar machen und betreiben Informations­transfer. Vor allem für die weiblichen Studierenden veranstalten wir Rollenmodell­seminare, für die wir Frauen aus verschiedenen Karrierestufen in der Wissenschaft und seit Neuestem auch außerhalb der Wissenschaft einladen. Sie berichten über ihre Karriere und geben Ratschläge für die Karriereplanung.
Frauen tendieren dazu, mehr mit sich zu hadern als Männer. Durch die Rollenmodell­seminare wollen wir das Selbst­bewusstsein der Teilnehmerinnen stärken und ihnen die zahlreichen Karriere­möglichkeiten aufzeigen. Es lohnt sich, aktiv Rückschläge zu überwinden. Manchmal muss man einfach auch das Glück haben, zur richtigen Zeit das geforderte Leistungsprofil zu haben. Berufungs­training bieten wir nicht an, da die Universität Wien hierzu gute Förderung offeriert.

Welche weiteren Angebote gibt es?
WoBio: Wir veranstalten regelmäßig Meetings und Workshops und machen die Leistungen unserer Mitglieder auf unserer Website und in den sozialen Medien bekannt. Außerdem haben wir einen Familienraum als Rückzugsort in der Fakultät eingerichtet, den Eltern und ihre Kinder kurzfristig nutzen können, zum Beispiel zum Spielen, Schlafen, Stillen, Windeln­wechseln, oder wenn während Prüfungen oder Vorlesungen die Kinder vorübergehend betreut werden müssen, zum Beispiel von den Großeltern. Es gibt dort sehr viele Spielsachen, einen Schreibtisch und Internetanschluss. Der Raum wurde sehr gut angenommen und die Resonanz an der Fakultät war nach anfänglicher Skepsis sehr positiv, wie bei vielen unserer Angebote.

Welche Erfahrungen haben Sie selbst mit ihrem Netzwerk gemacht?
WoBio: Unser Netzwerk hat uns gezeigt, dass wir nicht allein sind. Mit „Women in Chemistry“ (WoChem) der Uni Wien haben wir am Internationalen Frauentag einen Filmstreaming-Event inklusive einer Podiums­diskussion während der Coronazeit veranstaltet. Durch die gemeinsame Organisation haben wir andere Wissen­schaftlerinnen und ihre Tätigkeiten kennengelernt. Daraus haben sich ein gemeinsamer Antrag und eine gemeinsame Publikation ergeben. Auf dem Gruppenleiterinnen-Niveau ist Netzwerken der größte Vorteil der WoBio. Wir planen deshalb weitere Veranstaltungen, bei denen wir unsere wissen­schaftlichen Projekte vorstellen und sichtbar machen. Inzwischen sind wir eine bekannte Kraft und haben auf der Fakultäts-Website eine eigene Webseite, und damit auch eine Multiplikatoren­funktion. Zusammen mit vier anderen Initiativen haben wir 2022 für die Uni Wien einen Diversitätspreis gewonnen.

Wie kann man bei Ihrem Netzwerk Mitglied werden?
WoBio: Grundsätzlich steht unser Netzwerk allen Karrierestufen offen, also Graduierten, Postdocs, Gruppen­leiterinnen und Professorinnen. Die fortgeschrittenen Karrierestufen sind im Augenblick stärker vertreten. Das Angebot unserer Grassroots-Initiative ist kostenfrei. Interessentinnen können beitreten, indem sie sich in unsere Mailingliste eintragen. Wir freuen uns auf eine aktive Teilnahme an unseren Treffen. Bei den Themen Diskriminierung und Belästigung vermitteln wir Kontakte zu Hilfsangeboten.

Was sind die Pläne Ihres Netzwerks für das Jahr 2023?
WoBio: Wir wollen nach der Coronazeit wieder möglichst viele Präsenz­veranstaltungen durchführen. Vor Ort sind die persönliche Ebene und die aktive Teilnahme an den Diskussionen stärker ausgeprägt. Wir wollen Meetings zu sensibilisierenden Themen veranstalten und alle mit ins Boot holen, Männer und Frauen. Am 4. Mai veranstalten wir einen WoBio‘s Welcome Day im neuen Biologie-Gebäude der Uni Wien mit einem Vortrag einer Genderexpertin und -trainerin, um zu diskutieren, wie wir dem Gender Bias entgegen­wirken können. Im Herbst ist ein weiterer Workshop vorgesehen, um Gremien­mitglieder zu erreichen. Wir planen zudem, das Mentoring für die jüngeren Wissen­schaftlerinnen bezüglich Karriere und Netzwerken auszuweiten.

Das Interview führte Bettina Dupont
 
Bild: Pixabay/u_ys074yedl6 & Women in Biology (Logo)


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Letzte Änderungen: 27.04.2023