Editorial

Milliarden-Spende
Peer Review

(12.05.2023) Peer Review geschieht ehrenamtlich. Der monetäre Wert der eingesetzten Arbeitszeit ist jedoch enorm. Grund genug, nach einem sparsameren System zu suchen.
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Der Peer Review gilt als Herzstück der wissenschaftlichen Qualitätskontrolle. Egal, ob Publikationen, Evaluationen oder Förderanträge – stets zerbrechen sich Kolleginnen und Kollegen Ihres Fachs die Köpfe über deren jeweilige Substanz, um abschließend ihre Daumen darüber zu heben oder zu senken.

Die Begutachtung im Rahmen eines Peer Reviews gilt daher als Ehrensache. Ja mehr noch, die meisten Forscherinnen und Forscher begreifen sie gar als inhärenten Teil ihrer Dienstpflicht – auch wenn Juristen dies formal verneinen. Wie auch immer, unter dem Strich opfern sie auf diese Weise viel von ihrer wertvollen Zeit, um der Wissenschaft das Begutachtungswesen letztlich als große, selbstlose Spende zu überreichen.

Editorial

Zeitaufwand unbekannt

Welchem Betrag diese „Spende“ der Forscherinnen und Forscher an das System entspricht, haben vor einigen Monaten die drei Psychologen Balazs Aczel, Barnabas Szaszi (beide Budapest) und Alex O. Holcombe (Sydney) abgeschätzt. Schon der Titel ihrer Publikation lässt die Dimension erahnen: „A billion-dollar donation: estimating the cost of researchers’ time spent on peer review“ (Res. integr. peer rev. 6: 14). Ihr Abstract startet denn auch:

"Umfang und Wert der Peer-Review-Arbeit von Forschern sind für die Wissenschaft wie auch für die Veröffentlichung in Fachzeitschriften von entscheidender Bedeutung. Allerdings wird diese Arbeit zu wenig anerkannt. Zudem ist ihr Ausmaß unbekannt. Und zu selten werden alternative Wege zur Organisation der Peer-Review-Arbeit in Betracht gezogen."

Mit diesem Statement zog das Trio los, um „auf der Grundlage öffentlich zugänglicher Daten […] eine Schätzung des Zeitaufwands von Forschern und des gehaltsbezogenen Beitrags zum Peer-Review-System von Zeitschriften“ zu liefern. Also nur für die Begutachtung von zur Veröffentlichung eingereichten Manuskripten!

Geschätzte 15.000 Jahre Peer Review

Ihre Ergebnisse fassten sie dann folgendermaßen zusammen:

"Wir fanden, dass im Jahr 2020 die Gutachter weltweit über 100 Millionen Stunden mit Peer Reviewing verbrachten – was mehr als 15.000 Jahren entspricht. Der geschätzte monetäre Wert der Zeit, die die Gutachterinnen und Gutachter alleine in den USA für die Begutachtung aufwendeten, betrug 2020 über 1,5 Milliarden US-Dollar. Für in China tätige Gutachterinnen und Gutachter liegt die analoge Schätzung bei über 600 Millionen US-Dollar, für die Kolleginnen und Kollegen im Vereinigten Königreich bei fast 400 Millionen US-Dollar."

So gesehen entspricht also allein schon die Begutachtung von Manuskripten innerhalb eines Jahres einer Milliarden-Spende der Forschungsgemeinde! Wobei die Autoren sogar noch einschränken:

"Es ist sehr wahrscheinlich, dass unsere Ergebnisse zu niedrig angesetzt sind, da sie nur einen Teil aller Zeitschriften weltweit widerspiegeln."

Und sie machen zum Abschluss nochmals klar:

"Die Zahlen verdeutlichen den enormen Arbeits- und Zeitaufwand, den Forscherinnen und Forscher für das Publikationssystem aufbringen. Und sie machen deutlich, wie wichtig es ist, über alternative Möglichkeiten der Strukturierung und Bezahlung von Peer Reviews nachzudenken."

Über Alternativen wird längst nachgedacht

Oder man reformiert das Peer-Review-System gleich komplett von Grund auf. So wie es unser "Wissenschaftsnarr" beispielsweise gerade im Zusammenhang mit der breitflächigen Etablierung von Preprints vorschlägt – siehe seine Kolumne „Heilsbringer oder apokalyptische Reiter“. Und wie man überdies die ebenso aufwendigen Peer-Review-Verfahren bei der Verteilung von Fördergeldern eindampfen könnte, hatte er ja zuvor schon im Visier – siehe „Werden Sie Forschungsförderer!“ oder „Liebe DFG, verlost doch Eure Fördergelder!“.

Nur ein Beispiel, dass über Alternativen zum aktuellen Peer-Review-System schon längst nachgedacht wird. Auch wenn die Autoren dies im obigen Papers leider selbst nicht tun.

Ralf Neumann

(Illustr.: PinClipart)

 

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Letzte Änderungen: 11.05.2023