Editorial

Experiment ohne wissenschaftliche Begleitung

(27.06.2023) Während sich reproduk­tions­medizinische Praxen über regen Zulauf freuen, sieht es für die universitäre Forschung in diesem Fachgebiet düster aus.
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In den 1960er- bis 1980er-Jahren war die repro­duktions­medizinische Forschung in Deutschland noch federführend. Mit der Entwicklung der assistierten Repro­duktions­techniken konnte ein regelrechter Boom des Forschungsgebiets verzeichnet werden. Was mit viel Schwung begonnen hatte, endete aber schon wenige Jahrzehnte später in einem Schattendasein.

Nach der Emeritierung der ersten Generation in gynäkologischer Endo­krinologie und Repro­duktions­wissenschaften erfolgte inner- und außerhalb der Hochschulen eine Verlagerung des Interessens­gebietes hin zum lukrativsten Teil der Reproduk­tions­medizin – den assistierten Reproduk­tions­techniken. Mit der Gründung von privat geführten Kinder­wunsch­zentren wanderten schließlich auch die führenden Köpfe aus Repro­duktions­medizin und -wissenschaft aus den Universitäts­kliniken ab. Und mit ihnen ging die Expertise – was nachfolgend mit für die Schließungen und Kürzungen der endokrino­logischen und repro­duktions­medizinischen Abteilungen sorgte.

Editorial

Mangelhafte Qualität in Lehre und Versorgung

Bis heute hat sich die Situation noch weiter verschlechtert. Von den 2002 vorhandenen zwölf Lehrstühlen sind nur noch drei erhalten geblieben. Erforderliche Aus- und Weiter­bildungs­möglichkeiten, beispielsweise im Rahmen einer Facharzt­ausbildung, können schon seit vielen Jahren nicht mehr angemessen bereitgestellt werden. Diese werden stattdessen auch von niedergelassenen Expertinnen und Experten angeboten, die Universitäten beteiligen sich allenfalls nur noch.

Ein Blick in die benachbarte Schweiz hingegen zeigt: Es geht auch besser. Dort sind die gynäkologische Endokrinologie beziehungsweise Repro­duktions­medizin an allen fünf Universitäts­spitälern vertreten. Zwar ist die Versorgung nicht immer mit einer Professur verbunden und die Abteilungen sind nicht immer eigenständig, aber es gibt keine flächen­deckende Lücke wie es in fünf deutschen Bundesländern der Fall ist.

Das „Netzwerk Reproduktionsforschung“

Mit der Forderung, die bestehenden Strukturen zu verbessern und die Position der gynäkologischen Endokrinologie und der Repro­duktions­medizin zu stärken, haben sich schon in der Vergangenheit Fachverbände sowie einzelne Vertreterinnen und Vertreter des Faches zu Wort gemeldet. Unabhängig davon schlossen sich 2019 zehn Forscherinnen und Forscher zum „Netzwerk Repro­duktions­forschung“ zusammen, um mit einer Reihe von konkreten Vorhaben die Verbesserung der unbefriedigenden Lage ihres Fachgebiets voranzutreiben.

„Wir müssen mit vielen alten Vorstellungen aufräumen “, sagt Jörg Gromoll vom Centrum Repro­duktions­medizin und Andrologie am Universitäts­klinikum Münster und Mitbegründer des Netzwerks. „Unfruchtbarkeit ist nicht immer die Schuld der Frau, ist von der Natur nicht gewollt und betrifft nicht nur einige wenige“, so Gromoll.

Doch wie könnte die Forschung zur reproduktiven Gesundheit gestärkt werden? Das Netzwerk Repro­duktions­forschung setzt hierbei vor allem auf die Schaffung von Forschungs­programmen und Förder­möglichkeiten für junge Forschende. Ruth Grümmer vom Institut für Anatomie des Universitäts­klinikums Essen und selbst Mitglied des Netzwerks Repro­duktions­forschung betont, wie wichtig die weitere Förderung im Anschluss an die Promotion ist: „Die Universität kann den jungen Menschen oft keine Perspektiven bieten. Deshalb gehen sie letztlich doch in eine IVF-Praxis.“ Folglich ist es langfristiges Ziel, einen repräsentativen und eigenständigen Fachbereich innerhalb der universitären Strukturen zu etablieren.

Zwei Leuchtturmprojekte

Zwei Erfolge kann das Netzwerk schon verbuchen: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert die Errichtung von Nachwuchs­zentren. Die Fördermaßnahme erstreckt sich über einen Zeitraum von sechs Jahren und liegt im zweistelligen Millionen­bereich. Bei der Gestaltung und der Ausschreibung der Stellen konnte das Netzwerk aktiv mitarbeiten – und so sicherstellen, dass nachhaltig wirksame Strukturen geschaffen werden.

Die Hoffnung ist, dass es über solche Leucht­turmprojekte gelingt, die entsprechenden Forschungsgebiete neu an Universitäten anzusiedeln. „Wenn die Nachwuchs­gruppen gute Ergebnisse liefern, haben die Fakultäten auch ein Interesse daran, das auszubauen. So können langfristig auch Professuren entstehen“, erklärt Gromoll.

Als weitere Förder­maßnahme für den wissen­schaftlichen Nachwuchs stellte das Netzwerk einen DFG-Antrag zur Errichtung einer Nachwuchs­akademie. Der Antrag mit Fokus auf Alterungs­prozesse in der Reproduktion wurde Anfang des Jahres bewilligt und schließt auch die Untersuchung von Nachkommen mit ein.

Im gesellschaftlichen Kontext

Was die Förderung durch öffentliche Gelder betrifft, mussten die Mitglieder des Netzwerks feststellen, dass ihr Fach bis dahin auch für die Entschei­dungs­träger bei den Fördergebern wenig sichtbar war. „Zuletzt war Reproduktion weitgehend ein fortlaufendes Experiment ohne wissenschaftliche Begleitung“, kommentiert Gromoll. Demnach scheint in Gesellschaft und Politik erst seit kurzem ein Bewusstsein zu reifen, dass eine konkurrenzfähige Repro­duktions­technik tatsächlich eine Investition in die Gesundheit nachkommender Generationen ist.

„Vielleicht müssen wir uns selbst ankreiden, dass wir nicht in Lage sind, solche Dinge zu kommunizieren“, greift sich Gromoll an die eigene Nase. Wissen­schafts­kommunikation ist aber immer ein Zusammenspiel von verschiedenen Akteuren. In Frankreich wird beispielsweise gerade ein breit angelegtes regierungs­gefördertes Aufklärungs- und Forschungs­förder­programm etabliert. „Dazu gehören Aufklärungs­aktivitäten in der Schule, aber auch Förderung von Forschung“, erklärt Gromoll.

Vernetzung als Ziel

Neben den Vorhaben, universitäre Forschung und Lehre zu fördern sowie Gesellschaft und Politik bezüglich reproduktiver Gesundheit zu informieren und zu sensibilisieren, steht aber auch die Vernetzung der Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler selbst auf der Agenda des Netzwerks für Repro­duktions­forschung. Hierzu soll perspektivisch ein Deutsches Zentrum für reproduktive Gesundheit (DZRG) errichtet werden. Da Unfruchtbarkeit als Volkskrankheit zu sehen ist, liegt es nahe, solch ein koordinierendes Zentrum zu schaffen. Für Infektions­krankheiten sowie Tumor-, Herz-Kreislauf- und andere Erkrankungen gibt es sie schließlich schon länger.

Für die Repro­duktions­medizin ist es bis dahin jedoch noch ein langer Weg, auf dem die Akteure des Netzwerks die Unterstützung aus der Politik sowie den Fachverbänden und -gesellschaften sicher gut gebrauchen können.

Carolin Sage

Dieser hier stark gekürzte Artikel erschien zuerst in ausführlicher Form in Laborjournal 6/2023.

Foto: AdobeStock/SciPro


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Letzte Änderungen: 27.06.2023