Editorial

Sonar in der Nase

(04.07.2023) Zur Echoortung stoßen Zahnwale hochfrequente Laute aus. Wie funktioniert das in der Tiefsee, wenn kaum noch Luft in ihrer Lunge verbleibt?
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Zahnwale wie Schweinswale, Schwertwale, Pottwale und Delfine sind versierte Jäger. Ihre Beute spüren sie unter Wasser selbst in Finsternis auf. Dazu benutzen sie ein Echo­ortungs­system, wie es auch von Fledermäusen bekannt ist: Die Wale produzieren hochfrequente und energie­reiche Klicklaute, die von der Melone – einem Organ aus verschiedenen Fettgewebs­schichten hinter ihrer Stirn – gebündelt und ins Wasser abgegeben werden. Im Wasser breiten sich die Ultraschallwellen mit hoher Geschwindigkeit aus, bis sie auf ein Hindernis stoßen und als Echo zurückgeworfen werden. Die Schallwellen des Echos nehmen die Wale über Fettgewebe im Unterkiefer auf, das sie an ihr Innenohr weiterleitet. Das Walgehirn berechnet aus den Echos dann eine Karte der Umgebung. Daneben nutzen Zahnwale ihre Stimme auch für die Kommunikation mit Artgenossen. Diese Kommunikationslaute sind tiefer und leiser als ihre Ortungslaute.

Editorial

Ursula Siebert, Leiterin des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtier­forschung (ITAW) der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover erforscht unter anderem den anthropogenen Einfluss auf den Gewöhnlichen Schweinswal (Phocoena phocoena). Dieser lebt als einziger Wal Deutschlands in Nordsee und Ostsee und ist in letzterer akut vom Aussterben bedroht. Zum Verhängnis wird ihm vor allem sein feines Gehör: Anthropogene Geräusch­emissionen – beispielsweise Lärm von Schiffs­schrauben, Bohrungen am Meeresboden und im schlimmsten Fall Sprengungen von Weltkriegs­bomben – schädigen das Gehör der Meeressäuger und lassen sie orientierungslos zurück (siehe auch „Wenn Lärm tötet“ in LJ 6/2022).

„Um die Effekte anthropogener Aktivitäten einschätzen und reduzieren zu können, müssen wir die grundlegende Akustik der Wale besser verstehen“, ist Siebert überzeugt und hat deshalb in jahrelanger Arbeit gemeinsam mit zwei dänischen Kollegen Methoden entwickelt, um die Lauterzeugung bei Zahnwalen zu untersuchen. Die Ergebnisse hat das Team aus Siebert sowie dem Walbiologen Peter Teglberg Madsen von der Universität Aarhus, an der Siebert eine Gastprofessur innehat, und Coen Elemans, der an der Universität Süddänemark die Lautproduktion von Vögeln und Säugetieren erforscht, nun prominent veröffentlicht.

Akuter Luftmangel

Seit vierzig Jahren ist bekannt, dass Zahnwale für die Lauterzeugung eine spezielle Struktur nutzen, die in ihrer Nase sitzt und den menschlichen Stimmlippen ähnelt, wie Siebert zusammenfasst: „Physikalisch funktioniert das Lauterzeugungssystem von Zahnwalen wie der Kehlkopf von Menschen, aber auch wie der Stimmkopf von Vögeln. Auch Wale nutzen also Luft, um Töne zu erzeugen.“ Der Säugetier-Kehlkopf besitzt paarig angeordnete, elastische Stimmlippen, die der Strom der Atemluft in Schwingung versetzt. Dadurch entstehen Töne, die durch die Verkürzung der Stimmlippen mithilfe von Muskeln in ihrer Höhe moduliert werden.

Zahnwale stehen hier aber vor einem Problem: Ihre Beute finden sie in Wassertiefen von bis zu 3.000 Metern. „Bereits in tausend Metern Tiefe ist der Druck so hoch, dass die Luft in den Lungen der Wale auf ein Prozent des Volumens zusammen­gepresst wird, das sie an der Oberfläche hat“, verdeutlicht die Tierärztin. Wie Zahnwale unter diesen Bedingungen einen ausreichenden Luftstrom erzeugen, war lange rätselhaft. Auch das deutsch-dänische Forschungsteam musste zehn Jahre an ihrer Technik feilen, um die Bewegung der Zahnwal-Stimmlippen mithilfe eines Endoskops und einer Hoch­geschwin­digkeits­kamera aufzeichnen zu können.

Schwingende Lippen

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, wie die Stimmlippen in Schwingung versetzt werden können: Entweder werden sie von schnellen Muskelbewegungen angetrieben oder sie werden passiv durch den Luftstrom bewegt. Im Kehlkopf der Säugetiere geschieht Letzteres; bei hohem Umgebungs­druck wie etwa in der Tiefsee ist das aber schwierig. Aktive Muskel­bewegungen wären dagegen vom Luftdruck in der Lunge unabhängig.

Um den Einfluss von Muskel­aktivität und neuronaler Kontrolle auszuschließen, präparierten die Forscher zuerst den Stimmlippen­apparat toter Großer Tümmler (Trusiops truncatus). In deren Nasenraum erzeugten sie dann künstlich einen hohen Luftdruck, der die Stimmlippen in Bewegung versetzte, die sie wiederum mit einer Hoch­geschwin­digkeits­kamera aufzeichneten. Bei sechs Individuen konnten sie auf diese Weise tatsächlich hochfrequente Klicklaute auslösen. Die Kamera­aufnahmen zeigten, dass der Luftstrom die Stimmlippen in eine selbsterhaltende Schwingung versetzte. Die Klicks waren immer dann hörbar, wenn die Stimmlippen zusammentrafen, aber nicht, wenn sie sich öffneten. Auch zur Weiterleitung der beim Zusammentreffen der Stimmlippen erzeugten Druckwellen an die Melone und die Aussendung ins Umgebungswasser erwies sich Muskelaktivität als unnötig. Lautstärke und Klickrate ließen sich allein über den Luftdruck in der Nase steuern.

Unterschiedliche Stimmlagen

Weitere Untersuchungen an trainierten Großen Tümmlern in Gefangenschaft und verschiedenen Arten frei schwimmender Zahnwale zeigten, dass die Meeressäuger mit ihrem Stimmapparat neben hochfrequenten Echo­ortungs­lauten auch tiefe Kommuni­kationslaute erzeugen, die wie eine Mischung aus Pfeif-, Grunz- und Knallgeräuschen klingen. Ihre Stimmlippen können also wie die des Menschen in verschiedenen Registern vibrieren. Die Grundvoraussetzung dafür ist eine unterschiedliche Steifheit verschiedener Gewebe­schichten, die die Forscher bei den Stimmlippen der Wale nachweisen konnten.

„Bisher war diese Fähigkeit außer beim Menschen nur von Krähen bekannt“, sagt Siebert. Bei Zahnwalen existieren drei Register: In der Strohbass­funktion sind ihre Stimmlippen kurz, dick und maximal entspannt. Sie schwingen schon bei geringem Luftstrom. Dies geschieht mit niedriger Frequenz, kurzen Öffnungszeiten und langen Schließphasen. Das Resultat sind tiefe, knarrende Geräusche. In der Modalfunktion schwingen ebenfalls die gesamten Stimmlippen, sind aber etwas langgezogen. Auch sind die Verschluss- und die Öffnungs­phasen eher ausgeglichen. Die erzeugten Schwingungen sind hochfrequenter als in der Strohbass­funktion, aber der Luftstrom ist noch immer gering. Zusätzlich gibt es noch die Falsett­funktion, bei der die Stimmlippen der Wale deutlich langgezogen und steifer sind. Sie schwingen nicht mehr als Ganzes, sondern nur noch an ihren Rändern. Auch ist die Öffnungsphase stets länger als die Schließphase und der Luftstrom ist deutlich erhöht.

Die Kommunikationslaute in der Modalfunktion entsprechen im Wesentlichen der Bruststimme des Menschen, die für normales Sprechen und Singen verwendet wird. „Zum Jagen setzen die Wale dagegen die Strohbass-Stimmlage ein“, verweist Siebert auf ein wesentliches Ergebnis der Studie. Deren Grundfrequenz ist typischerweise niedrig, aber das Frequenz­spektrum reicht bis in den Ultraschall­bereich. „Für den Strohbass müssen die Wale ihre Stimmlippen nur kurz öffnen, sodass nur wenig Luft zur Erzeugung des Tons benötigt wird. Für die Jagd in großen Tiefen ist das ideal.“

Laute(r) Vorteile

Tatsächlich ist der Lautbildungs­apparat so effizient, dass weniger als 50 Mikroliter Luft ausreichen, um einen Klick zu erzeugen. Ein Mindestmaß an Luft muss jedoch stets zur Verfügung stehen. Auch hierfür haben die Wale eine Lösung gefunden: „Die Luft kommt nicht wie bei uns oder bei Vögeln aus der Lunge“, weiß Siebert. „Stattdessen stammt sie aus Luftsäcken, die sich in der Nase der Zahnwale befinden. Sobald die Lunge bei großem Umgebungs­druck kollabiert, sammelt sich die Luft in den nasalen Muskelsäcken und kann für die Echoortung genutzt werden.“

Dieses System hat noch einen weiteren Vorteil, wie die Walforscherin erklärt: „Durch die Nutzung nasaler Luftsäcke kann ein wesentlich höherer Druck bei der Laut­erzeugung aufgebaut werden, als wenn die Lunge beteiligt wäre.“ Denn zu hoher Druck könnte die Lunge schädigen. Die Lufträume der Nase sind dagegen durch Knochen­strukturen vor mechanischer Einwirkung geschützt. „Bei den Echo­ortungs­lauten können Zahnwale deshalb einen Druck erzeugen, der fünfmal so hoch ist wie der eines Trompeters“, bringt Siebert einen Vergleich.

Infolgedessen sind Klicklaute allerdings auch sehr laut. Kann das für die empfindlichen Ohren von Zahnwalen nicht zu Problemen führen? „Das könnte es“, stimmt die Walforscherin zu. Doch erneut ist die Verlagerung des Laut­erzeugungs­systems in die Nase von Vorteil. Denn die Schallquelle ist somit so angeordnet, dass der Schall gebündelt nach vorn abgegeben wird und die geräusch­empfindlichen Ohren geschützt sind. Weil der Mundraum frei bleibt, können die Wale während der Echoortung außerdem zeitgleich Beute fangen und fressen. Und da an beiden Seiten der Nase je ein paariges Stimm­lippen­system sitzt, können die Tiere sogar gleichzeitig Echoortungs- und Kommunikationslaute produzieren – ähnlich wie Vögel mit ihrem Stimmkopf gleichzeitig zwei unterschiedliche Töne erzeugen können.

Die einzigartige Akustik der Zahnwale hat also sicher dazu beigetragen, dass die Meeressäuger in Tiefen vordringen, in denen ansonsten nur speziell angepasste Wirbellose und einige Fische überleben. Dadurch konnten sie sich neue Nahrungs­quellen erschließen. Heutzutage sind sie dort allerdings nicht mehr sicher, mahnt Siebert. Denn inzwischen ist mit dem Menschen ein weiteres Säugetier in die Tiefsee vorgedrungen, vor dessen Lärm sich Wale nicht schützen können.

Larissa Tetsch

Madsen P. et al. (2023): Toothed whales use distinct vocal registers for echolocation and communication. Science, 379(6635):928-33

Dieser Artikel erschien zuerst in Laborjournal 6-2023.

Bild: Pixabay/Pexels


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Letzte Änderungen: 04.07.2023