Editorial

Luftgefüllte Nano­spreng­kapseln

(05.07.2023) Kleiner und effektiver als gasgefüllte Mikrobläschen sind beim Ultraschall Gasvesikel. Diese eignen sich auch, um Tumore zu zerstören.
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Ob Nierenschwäche oder Schwangerschaft, Ultraschall­untersuchungen verraten viel über das Körperinnere, ohne dass Biopsie­nadeln oder Skalpelle gezückt werden müssen. Kombiniert mit Kontrastmitteln aus der Nanotechnologie wären sie jedoch ungleich sensitiver, denn Nanopartikel reagieren viel empfindlicher auf Schallwellen und liefern entsprechend detailliertere Daten.

Die winzigen Partikel eignen sich aber nicht nur als Kontrastmittel, sondern auch als „Lieferdienst“ für Medikamente. Dazu muss man sie jedoch in den Körper beziehungsweise in gewünschte Organe oder Gewebe einschleusen können. Zudem sollten sie ungefährlich sein und zumindest eine Weile den Herausforderungen des Lebens, sprich Körpertemperatur, Immunabwehr, Abbau­mechanismen sowie aggressiven Körper­flüssigkeiten, widerstehen können.

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Winzige Alternative

Bisher verwendete man meist Lipid-umhüllte Gasbläschen als Kontrastmittel für Ultraschall. Diese haben aber aufgrund der Oberflächen­spannung meist einen recht großen Durchmesser von etwa einem Mikrometer. Mikhail Shapiros Team am California Institute of Technology schaute sich daher in der Trickkiste der Natur nach einer deutlich kleineren Alternative im Nanometer­maßstab um. Dabei stieß die Gruppe auf Gasvesikel (GV), mit denen einige Photosynthese treibende Wasser-Mikro­organismen, beispielsweise Cyanobakterien, ihre Schwimmhöhe kontrollieren.

GVs sind zylinder­förmige, an den Enden spitz zulaufende, mit Luft gefüllte Hohlräume, die von einer außen hydrophilen und innen hydrophoben Proteinhülle umgeben sind. Sie lassen sich rekombinant aus Bakterien gewinnen. Bereits 2018 hatte Shapiros Mannschaft ein Konstrukt aus dem GV-Gen-Cluster des Cyano­bakteriums Anabaena flos-aquae sowie Chaperon-Genen von Bacillus megaterium hergestellt und in Salmonella typhimurium verfrachtet. Mithilfe von Ultraschall detektierte das Team anschließend S. typhimurium, die GVs exprimierten, in einem Säugetier­modell (Nature, 553:86-90). Bald darauf kam Shapiros Gruppe auf die Idee, die isolierten Gasvesikel als molekulare Sprengköpfe zu verwenden, die zum Beispiel Krebszellen zerfetzen können (bioRxiv, DOI: 10.1101/620567 & „Zelllyse mit Schallkanonen und Minisprengköpfen“ in LJ 5/2023).

Besser als das Original

Als Kontrastmittel für Ultraschall­messungen sind die zylindrischen gut 500 Nanometer langen und 85 Nanometer dicken GVs aber zu sperrig. Die Gruppe konstruierte daher eine Miniversion, die deutlich wendiger ist und im Organismus eine entsprechend höhere Reichweite hat als natürliche GVs. Gasvesikel entstehen aus Protein­bausteinen, die sich zunächst in einem löslichen Komplex ähnlich einem Kristalli­sationskeim sammeln, und danach einen Doppelkegel (Bikonus) mit spitzen Enden bilden, der schließlich zu einem Zylinder mit der endgültigen Größe verlängert wird. Das Team blockierte kurzerhand die Verlängerung des Bikonus, indem es das hierfür zuständige Gen gvpN des GV-Clusters entfernte.

Unter dem Transmissions­elektronen­mikroskop sahen die Forscher und Forscherinnen danach bikonische Partikel (Bicones) mit einem Durchmesser von circa 40 Nanometern und einer Länge von 70 Nanometern. Die Bicones rangieren damit zwischen Adeno-assoziierten Viren und Lentiviren, ihr Volumen ist fast hundertmal kleiner als das der ursprünglichen GVs. Die Wandung der Bicones ist nur zwei Nanometer dick und damit ähnlich dünn wie die der GVs, aufgrund ihrer viel kleineren Größe sind sie aber wesentlich stabiler. Shapiros Team maß ihre Druck­belastbarkeit mit dem sogenannten BURST-Imaging-Verfahren, das einen unterschiedlich starken Schalldruck auf eine Probe ausgeübt und das Signal beim Kollabieren erfasst (Nature Methods, 18:945-52).

Tumore leuchten

Die Bicones sind luft- aber nicht wasser­durchlässig. Dank ihrer winzigen Ausmaße müssten sie selbst engmaschige Körper­strukturen passieren können, etwa die für manche Krebsgewebe typischen löchrigen Blutgefäße. Um dieser Hypothese nachzugehen, implantierten die Kalifornier subkutan Tumore in Mäuse und ließen diese auf fünf Millimeter Größe anwachsen. Danach injizierten sie eine Lösung, die Bicones enthielt, in die Schwanzvene. Beim anschließenden BURST-Imaging erschienen in dem Tumor innerhalb einer Stunde Bicones. Dass diese Beobachtung kein Artefakt war, bestätigten Versuche mit Mäusen, die fluoreszenz­markierte Bicones gespritzt bekommen hatten. Ihre aufgeschnittenen Tumore leuchteten besonders stark.

Die Bicones drangen auch in gesundes Gewebe beziehungsweise Organe von Mäusen ein und erreichten nach zwei Stunden Leber, Milz und Nieren. Dass sie dort allmählich wieder verschwanden und nach 48 Stunden kaum mehr zu erkennen waren, deute, so die Kalifornier, auf ihren lysosomalen Abbau und die Ausscheidung über die Nieren hin. Dieses Zeitfenster könnte man nutzen, um mit den Bicones etwa Krebsgewebe gezielt mechanisch zu schädigen oder Wirkstoffe in das Gewebe zu transportieren und dort freizusetzen.

Implosion im Krebsgewebe

Dass diese Idee Hand und Fuß hat, zeigen In-vitro-Experimente der Gruppe mit Bicones, die sie durch einen Ultraschall­impuls in einer Plastikröhre implodieren ließen. Als Sensor enthielt die Röhre eine Lösung des Farbstoffs 8-Anilino­naphthalen-1-Sulfonsäure (ANS), der verstärkt aufleuchtete, nachdem er an das hydrophobe Innere der kollabierten Bicones binden konnte. Platzen die Bicones durch einen Ultraschall­impuls, entstehen winzige Luftblasen, die sich ausdehnen und zu einer großen Blase verschmelzen, die schließlich implodiert und in viele kleine Blasen zerfällt. Bei dieser sogenannten instabilen Kavitation (inertial cavitation) wird ausreichend Energie freigesetzt, um etwa Krebsgewebe in der Nähe der Kavitation zu zerstören. Je nach Schalldruck, der deutlich unter dem für medizinische Ultraschall­diagnosen zulässigen Höchstwert liegt, implodiert nur ein Bruchteil der Bicones und dient als Initiationskeim für die Kavitation – es sollte also auch möglich sein, die „Sprengung“ wiederholt durchzuführen.

Um die Lebensdauer der Bicones im Blutkreislauf zu erhöhen, statteten die Forscher und Forscherinnen diese mit einem Schutzmantel aus Methoxy­polyethylen­glykol (mPEG) aus. Die mPEG-Hülle verdoppelt zwar den Durchmesser der Bicones, er liegt aber immer noch unter hundert Nanometern. In Mäusen erreichten die mit mPEG gepanzerten Bicones eine doppelt so lange Halbwertszeit (50 Minuten statt 25 Minuten) im Vergleich zu Bicones ohne mPEG.

Tumore lassen sich aber noch gezielter über durchlässige Blutgefäße adressieren. Hierzu dekorierte das Team die Bicones mit iRGD-Peptiden, die an vermehrt in Blutgefäßen von Tumoren exprimierte Integrine binden. Humane Krebszellen leuchteten nach zweistündiger Inkubation mit farbstoff­markierten Bicones zehn- bis zwanzigmal stärker, wenn sie mit iRGD-Peptiden dekoriert worden waren.

Noch recht aufwendig herzustellen

Die rekombinanten Bicones lassen sich auch einfach modifizieren, um ihre Funktion in eine gewünschte Richtung zu lenken. Die Gruppe verknüpfte dazu die Gene GfpJ sowie GfpS des GV-Clusters mit einem Flag- oder einem SpyTag, die exprimierten Fusionsproteine wurden fest in der Hülle der Bicones verankert. Der SpyTag bindet kovalent an seine Partnerdomäne SpyCatcher, wodurch man die Bicones sehr einfach mit einem Label versehen kann, etwa dem fluoreszierenden SpyCatcher-mNeonGreen.

Für eine breite Anwendung der Bicones ist ihre Herstellung und Reinigung aber noch etwas zu aufwendig. Von der Transformation von E. coli BL21 über die Induktion mit IPTG bis zur Protein­gewinnung aus lysierten Zellen läuft noch alles nach dem allseits bekannten Schema. Heikel wird es erst danach. Die Lysate werden zwei Stunden bei 600 g zentrifugiert, anschließend durchläuft der Überstand fünf Runden Zentrifugation (800 g, über Nacht!) und Resuspension in PBS. Die Ummantelung mit mPEG erfordert nochmals vier nächtliche Zentrifugations-Runden. Angesichts der Aussicht, Tumore gezielt mit den Bicones zerstören zu können, ist dieser Aufwand aber immer noch recht überschaubar.

Andrea Pitzschke

Ling B. et al. (2023): Truly tiny acoustic biomolecules for ultrasound imaging and therapy. bioRxiv, DOI: 10.1101/2023.06.27.546773

Bild: Pixabay/Chrom72



Letzte Änderungen: 05.07.2023