Editorial

Beihilfe zum Mord

(21.08.2023) Der „Schwarze Tod“ hat seit dem Mittelalter an Gefährlichkeit zugelegt. Erreger aus dänischen Pestopfern helfen bei der Ursachenforschung.
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Auf dem Ødekirkegård im dänischen Sejet im Mittelalter begraben, kürzlich in Kiel analysiert.

Die durch das Bakterium Yersinia pestis verursachte Pest war über viele Jahrhunderte der Inbegriff der tödlichen Seuche – so sehr, dass wir heute umgangs­sprachlich noch immer vieles als „Pest“ bezeichnen, was uns mehr als lästig ist. Die Krankheit tritt in zwei Erscheinungs­formen auf: Die Beulenpest entsteht, wenn der Erreger über eine Wunde, beispielsweise den Biss eines infizierten Flohs in den menschlichen Körper gelangt. Eine Lungenpest entwickelt sich dagegen nach dem Einatmen der Erreger, also bei der Weitergabe von Mensch zu Mensch durch Tröpfchen­infektion. Unbehandelt haben beide Formen eine sehr hohe Sterblichkeit. Seit wirksame Antibiotika zur Verfügung stehen, wird die Pest zwar in vielen Teil der Welt nicht mehr als Bedrohung gesehen, doch auch heute noch gibt es lokale Ausbrüche – vor allem in Afrika und Asien. Und auch der Pesterreger wird durch Antibiotika-Resistenzen immer schwerer zu behandeln.

Aus diesem Grund gibt es neben der andauernden Faszination für die schreckliche Infektions­krankheit auch ganz praktische Gründe, den Pesterreger zu erforschen. So analysieren Forscher wie Daniel Unterweger vom Max-Planck-Institut für Evolutions­biologie in Plön und dem Institut für Experimentelle Medizin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) sowie Almut Nebel und Ben Krause-Kyora vom Institut für Klinische Molekular­biologie der CAU zu Kiel mit ihren Arbeitsgruppen alte DNA (aDNA) aus den Knochen von Pestopfern, um mehr über die genetische Ausstattung von Yersinia pestis zu erfahren und diese über die Jahrhunderte miteinander zu vergleichen.

Editorial

Pest ist nicht gleich Pest

Drei große Pest-Pandemien sind geschichtlich dokumentiert: die spätantike Justinianische Pest im 6.-8. Jahrhundert, die spätmittel­alterliche Pest, die ihren Anfang im 14. Jahrhundert nahm und mit sporadischen Ausbrüchen bis ins 18. Jahrhundert andauerte und bei der der „Schwarze Tod“ in manchen europäischen Regionen die Hälfte der Bevölkerung auslöschte, sowie die moderne Pest, der am Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert 15 Millionen Menschen zum Opfer fielen. Auch heute ist der Pesterreger in der Umwelt verbreitet und kann aus tierischen Reservoirs wieder auf den Menschen überspringen.

Y. pestis gehört zu den Entero­bakterien und ist vor rund 7.000 Jahren aus Y. pseudo­tuberculosis hervorgegangen – einem Erreger, der beim Menschen starke Durchfälle verursachen kann. In den Jahrtausenden seiner Existenz hat sich der Pesterreger stark gewandelt, indem er neue Gene erworben und andere verloren hat. Entscheidend für den Erfolg des „Schwarzen Tods“ war beispielsweise der Erwerb des Gens ymt, das erstmals die Verbreitung über Flöhe und damit die Entstehung der Beulenpest ermöglichte. Die durch Tröpfchen­infektion verursachte Lungenpest hängt hingegen vom Gen pla ab, das für einen Plasminogen-Aktivator codiert. Auch dieses Gen wurde irgendwann in der Frühphase seiner Evolution vom Pesterreger aufgenommen. Interessanterweise sind Y.-pestis-Stämme, die pla nach der mittelalterlichen Pestepidemie verloren haben, mit der Zeit wieder aus dem Genpool verschwunden, was darauf hindeutet, dass pla einen Wettbewerbsvorteil für das Bakterium darstellt.

Erreger aus dänischen Opfern

Während die genetischen Veränderungen von der Jungsteinzeit bis ins Mittelalter relativ gut erforscht sind, weiß man wenig darüber, wie sich das Bakterium in der Neuzeit und der Moderne weiter­entwickelt hat. Daten dazu hat nun ein Forschungsteam um Unterweger, Nebel und Krause-Kyora geliefert. „Wir wollten wissen, wie sich der Pesterreger über Jahrhunderte evolutions­biologisch verändert hat und wie dabei die Bakterien­stämme entstanden sind, die die letzte große Pestpandemie im 19.-20. Jahrhundert hervorgerufen haben“, erklärt Unterweger, der die Studie als Letztautor verantwortet hat. Insgesamt hat das Team Genome von Y.-pestis-Stämmen über eine Zeitspanne von über 5.000 Jahren analysiert, wobei 255 Bakterienstämme aus der Moderne stammten.

Gemeinsam mit Kollegen der Abteilung für Forensische Medizin der Süddänischen Universität Odense wurden im Rahmen der Studie außerdem die Überreste von 42 Verstorbenen, die zwischen dem 11. und 16. Jahrhundert auf zwei dänischen Gemeinde­friedhöfen bestattet worden waren, auf DNA des Pesterregers untersucht. „Aus dieser Zeit waren zwar schon Genome bekannt, jedoch nicht sehr viele und von vergleichsweise wenig Orten“, so Unterweger. „Die Aussagekraft einer vergleichenden Genomstudie, wie wir sie gemacht haben, steigt aber, je besser die Bakterien-Isolate die einzelnen Zeitabschnitte und verschiedene geografische Bereiche abdecken.“ Aus den Knochen der dänischen Pestopfer konnten zwei Y.-pestis-Genome rekonstruiert werden, die jeweils von einem der Skelette der beiden Friedhöfe stammten. „Die zwei Isolate haben uns geholfen, die existierenden Genome aus der Zeit um Isolate von einer weiteren geografischen Region zu erweitern“, freut sich der Studienleiter.

Prophage im Gepäck

Bereits vor der Studie gab es Hinweise darauf, dass die Pestpandemie der Moderne durch Bakterien­stämme aus der phylogenetischen Gruppe 1.ORI verursacht wurde. Diese besitzen ein genetisches Element, das Stämmen aus anderen phylogenetischen Gruppen fehlt: den YpfΦ-Prophagen. „Ob der Prophage wirklich bei der Entstehung der modernen Pest eine Rolle gespielt hat, wurde bisher aber noch nie systematisch in einer so großen Genomsammlung, die eine so große Zeitspanne abdeckt, untersucht“, so Unterweger. „Neue Methoden­entwicklungen ermöglichen es, immer mehr ältere Genome zu sequenzieren. Dies erfordert, bestehende Hypothesen an der wachsenden Genomsammlung zu testen.“

Der YpfΦ-Prophage tötet seinen Wirt nicht, sondern verlässt diesen nach seinem Zusammenbau über porenartige Kanäle in der Zellwand – sogenannte Sekretine. Er ist mit dem CTX-Prophagen verwandt, der die Virulenz des Cholera­erregers Vibrio cholera vermittelt. „In unserer Studie zeigen wir, dass allen bekannten Y.-pestis-Stämmen vor dem 19. Jahrhundert der YpfΦ-Prophage im Genom fehlte", fasst Johanna Bonczarowska zusammen, Erstautorin der Studie und inzwischen Postdoc am Institut für Klinische Molekular­biologie in Kiel. Nur bei modernen Pesterregern aus der 1.ORI-Gruppe war das Element im Genom nachweisbar. Da sich der YpfΦ-Prophage bei weiteren Entero­bakterien in der Umwelt finden lässt, ist wahrscheinlich, dass Y. pestis ihn über horizontalen Gentransfer aufgenommen hat.

Pest oder Cholera?

Die Y.-pestis-Stämme mit Prophage waren außerdem auffallend häufig Isolate aus Menschen oder aus Tieren, die oft mit Menschen zusammen vorkommen. Das deutet darauf hin, dass der Prophage das Infektions­geschehen beeinflussen könnte. In seiner DNA findet sich die Information für das Zonula-occludens-Toxin (ZOT), das in ähnlicher Form auch vom CTX-Prophagen codiert wird und maßgeblich für die Entstehung der Gastro­enteritis bei einer Cholera-Erkrankung verantwortlich ist. ZOT lockert die Verbindung der Darmepithelzellen untereinander und macht die Darmbarriere dadurch durchlässig. „Der Erwerb neuer genetischer Elemente kann zu neuen Symptomen der Infektion führen“, erklärt Unterweger. „Diese manchmal irreführenden Krankheits­zeichen können die rechtzeitige Diagnose der Pest erschweren und damit die überlebenswichtige schnelle Behandlung verzögern.“

Erst im Jahr 2007 waren in Afghanistan Menschen an einer durch Y. pestis ausgelösten Gastro­enteritis gestorben, bei der durch eine verzögerte Diagnose die richtige Behandlung erst zu spät eingeleitet werden konnte. „Wie wir auch während der Corona-Pandemie erfahren haben, können kleine Veränderungen eines Krankheits­erregers den Verlauf einer Pandemie beeinflussen“, sagt Unterweger und sein Kollege Ben Krause-Kyora fügt hinzu: „Wenn wir verstehen, wie der Erreger in der Vergangenheit – manchmal durch Evolutions­sprünge – seine Schädlichkeit steigern konnte, hilft uns dies dabei, neue Formen der Krankheit zu erkennen und künftige Pandemien zu verhindern.“

Larissa Tetsch

Bonczarowska J. et al. (2023): Ancient Yersinia pestis genomes lack the virulence-associated YpfΦ prophage present in modern pandemic strains. Proc Biol Sci, 290(2003):20230622

Bild: Unit of Anthropology, ADBOU, SDU


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Letzte Änderungen: 21.08.2023