Editorial

Medizin-Nobelpreis 2023: mRNA-Therapeutika

(02.10.2023) Katalin Karikó und Drew Weissman verwendeten in therapeutischen mRNA-Molekülen modifizierte Basen und retteten so Millionen Menschenleben.
editorial_bild

Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, wann ein Nobelpreis für die Entwicklung RNA-basierter Impfstoffe vergeben wird. Nun war das schwedische Nobelpreis-Komitee sehr schnell und hat nur drei Jahre nach Zulassung der beiden mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 zwei Forscher ausgezeichnet, die bereits in den 1990er-Jahren die Grundlagen für diese Technologie erarbeitet haben. Dass gerade diese zwei von den vielen an der Entwicklung der mRNA-Impfstoffe beteiligten ausgewählt wurden, ist besonders erfreulich, weil sie über lange Zeit für ihre Forschung belächelt wurden. Zu unwahrscheinlich schien es, dass ein so instabiles Molekül wie RNA sich als Therapeutikum eignen könnte.

Die Rede ist von der Ungarin Katalin Karikó und ihrem US-amerikanischen Kollegen Drew Weissman, deren Experimente mit chemisch modifizierter mRNA 2005 zu einer heute als bahnbrechend bewerteten Publikation (Immunity, 23(2): 165-75) geführt haben. Karikó studierte und promovierte in Ungarn und wechselte nach einem Postdoc in Philadelphia an die University of Pennsylvania. Bereits lange vor der COVID-19-Pandemie brachte sie ihr Wissen rund um mRNA-Therapeutika beim Mainzer Pharmaunternehmen BioNTech ein, dem sie bis 2022 als Vizepräsidentin angehörte. Heute hat sie Professuren an der Szeged University in Ungarn und in Pennsylvania inne. Drew Weissman absolvierte ein Medizinstudium in Boston, bevor auch er an die University of Pennsylavia wechselte, der er noch immer angehört.

Editorial

Warum überhaupt RNA?

Die Frage, warum man für Impfstoffe ausgerechnet RNA einsetzen sollte, scheint heute anachronistisch. Aber tatsächlich war diese Idee lange Zeit ziemlich umstritten. Sie kam auf, weil die existierenden Methoden zur Produktion von Impfstoffen gegen virale Krankheitserreger in vielerlei Hinsicht unbefriedigend waren. So nutzte man meist inaktivierte oder abgeschwächte Virenpartikel oder – eine spätere Weiterentwicklung – virale Vektoren, die die Information für ein Antigen trugen und in die Zielzelle einbrachten, wo es dann produziert wurde. Alle diese Verfahren hatten aber den Nachteil, dass sie von Zellkultursystemen abhängig und damit aufwendig waren – und vor allem langsam. Beim Ausbruch einer Pandemie mit einem unbekannten Erreger oder einer neuen Erregervariante fehlt aber vor allem Zeit. Deshalb gab es immer wieder Überlegungen, Nukleinsäuren für therapeutische Zwecke direkt in Zielzellen einzubringen.

In den 1980er-Jahren war es möglich geworden, mRNA durch In-vitro-Transkription ohne die Verwendung von Zellkulturen herzustellen. Ein weiterer Vorteil war, dass sich die Sequenz der gewünschten RNA leicht verändern ließ. Die Idee, eines RNA-Impfstoffs, der in die Zielzelle eingebracht sein Antigen sozusagen selbst produziert, beziehungsweise von der zellulären Maschinerie produzieren lässt, war erst einmal bestechend einfach.

Das perfekte Team

Allerdings ist RNA extrem instabil und wird im Körper durch RNasen schnell abgebaut. Außerdem aktiviert sie in ihrer ursprünglichen Form das Immunsystem, was für den Wirt gefährlich werden kann. Auch das Einbringen von RNA in tierische Zellen ist trickreich. Karikó, die in den 1990er Jahren als Assistenzprofessorin in Pennsylvania daran arbeitete, mRNA für die Produktion von therapeutischen Proteinen in Zellen und Geweben nutzbar zu machen, ließ sich davon nicht entmutigen. Als 1997 der Immunologe Drew Weissman nach Pennsylvania kam, merken die beiden Gruppenleiter, dass sie ähnliche Forschungs­interessen hatten und sich fachlich perfekt ergänzten. Weissman arbeitete mit dendritischen Zellen, den Wächterzellen des Immunsystems, die nach dem Kontakt mit einem Erreger oder Impfstoff die erforderlichen Immunantworten einleiten. Gemeinsam konzentrierten sich die Forscher auf die Frage, wie verschiedene RNA-Typen mit dem Immunsystem interagieren. Das langfristige Ziel war die Entwicklung einer mRNA-Plattform für therapeutische Anwendungen.

Karikó und Weissman wunderten sich darüber, dass in vitro transkribierte RNA im Körper Entzündungsreaktionen auslösten, dies bei körpereigener mRNA aber nicht der Fall war. Als Ursache dafür identifizierten sie chemische Modifikationen der Nukleotid-Basen, die bei natürlicher mRNA häufig vorkommen, bei in vitro transkribierter aber fehlen. Sobald die Wissenschaftler chemisch modifizierte Basen in ihre Versuchsmoleküle einbauten, nahm deren Immunität drastisch ab. Diesen Effekt publizierten sie 2005 und zeigten mit zwei weiteren Studien, dass die Modifikationen außerdem die Proteinproduktion verbesserten.

Durchhalten wird belohnt

Damit hatten sie zwei wesentliche Probleme auf dem steinigen Weg zur mRNA-Impfstoffentwicklung gelöst und fast könnte man sagen – der Rest ist Geschichte: Kurz nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie wurden unabhängig voneinander von den Firmen BioNTech/Pfizer und Moderna zwei mRNA-Impfstoffe gegen das SARS-CoV-2-Oberflächenprotein Spike entwickelt, bei denen jede einzelne Base chemisch modifiziert war. Die Entwicklung verlief in Rekordgeschwindigkeit – vom Ausbruch der Pandemie im Dezember 2019 bis zur Zulassung der Impfstoffe im Herbst 2020 verging weniger als ein Jahr – und bis heute haben diese beiden Impfstoffe alleine wohl Millionen von Menschenleben gerettet.

Natürlich gab es noch unzählige andere Probleme auf dem Weg zu mRNA-Impfstoffen zu lösen: beispielsweise die Aufnahme der RNA in die Zielzellen, um die sich andere Forscher verdient gemacht haben. Doch die Geschichte von Karikó und Weissman zeigt eindringlich, dass sich eine anfangs verlachte Idee am Ende durchsetzen und eine kaum beachtete Publikation zu einem Meilenstein werden kann, wenn man sich nicht entmutigen lässt. Heute wissen wir, dass wir dem Forscher-Duo Karikó und Weissman nicht nur mRNA-Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten verdanken, sondern dass die gleiche Technologie auch in der Krebstherapie oder zum Verabreichen von therapeutischen Proteinen zum Einsatz kommen kann. Sie wird also sicher noch unzählige weitere Leben retten – auch ganz ohne neue Pandemien.

Larissa Tetsch

Bild: Ill. Niklas Elmehed (Nobel Prize Outreach)


Weitere Medizin-Nobelpreisträger der vergangenen Jahre


- Medizin-Nobelpreis 2017: Circadianer Rhythmus

Die drei frischgebackenen Nobelpreisträger Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young erklären der Welt, wie unsere innere biologische Uhr tickt.

- Medizin-Nobelpreis 2016: Zelluläres Müll-Recycling

Wir geben zu: Den Autophagie-Pionier Yoshinori Ohsumi vom Tokyo Institute of Technology hatten wir als frischgebackenen Nobelpreisträger nicht ganz oben auf unserer Liste …

- Kurs Stockholm: Nobelpreis für Neuro-Navi

John O'Keefe und das Ehepaar May-Britt und Edvard Moser erhalten den Medizin-Nobelpreis 2014.

 



Letzte Änderungen: 02.10.2023