Editorial

Diagnostik-Pingpong

(31.10.2023) Morbus Fabry ist eine seltene Krankheit. Weil eine Genvariante neu als „gutartig“ eingestuft wird, entzieht man Betroffenen ihre Therapie.
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Ursache von Morbus Fabry ist der Ausfall des Enzyms GLA. Es hydrolysiert die Verbindung der endständigen α-Galaktose von Globo­triaosyl­ceramiden (Gb3). Fehlt das Enzym, können die zu den Glyko­sphingo­lipiden gehörenden Gb3-Moleküle nicht abgebaut werden und reichern sich in den Lysosomen an – daher die Eingruppierung als lysosomale Speicherkrankheit.

Morbus Fabry kommt in zwei Ausprägungen vor: der typischen und der untypischen Form. Die typische Form zeichnet sich durch den mehr oder weniger vollständigen Ausfall des Enzyms GLA aus. Die Symptome reichen von brennenden Schmerzen, Magen-Darm-Beschwerden, Hornhauttrübung, vermindertem oder ausbleibendem Schwitzen bis hin zu lebensbedrohlichen Schäden an Herz, Nieren und Gehirn. Die betroffenen Patientinnen und Patienten sind auf eine Enzymersatz- oder eine Chaperon-Therapie (mit Migalastat) angewiesen. Betroffene mit einer untypischen Form des Morbus Fabry haben in der Regel keine Beeinträchtigung der Herz- und Nierenfunktionen, aber viele andere Symptome. Allerdings akkumulieren nicht alle dieser Patienten Gb3, und vielfach ist die Aktivität von GLA auch nur mäßig beeinträchtigt. Das liegt daran, dass in solchen Fällen die Enzym­aktivität nicht komplett verloren gegangen, sondern nur beeinträchtigt ist.

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Diagnose über Genanalyse

Weil Morbus Fabry sich mit derart vielen verschiedenen Symptomen in unterschiedlicher Ausprägung manifestiert, wird die Krankheit oft erst spät korrekt diagnostiziert. Dies gilt insbesondere für Patienten mit der untypischen Form der Erkrankung. Häufig bringt erst die genetische Analyse die Wahrheit ans Licht. Über tausend Varianten des GLA-Gens sind aktuell beschrieben, von denen viele auch in der gesunden Bevölkerung häufig vorkommen.

Eine Gendiagnostik ist besonders bei Frauen wichtig, denn heterozygote, symptomatische Frauen können eine fast normale Enzym­aktivität aufweisen. Der Grund dafür ist vermutlich, dass das Gen auf dem X-Chromosom liegt. Die Inaktivierung des zweiten X-Chromosoms bei Frauen erfolgt zufällig und kann von Zelle zu Zelle unterschiedlich sein. „Daher schließt eine normale Enzym­aktivitat bei der Frau das Vorliegen eines Morbus Fabry nicht aus”, heißt es in der seit Mitte 2022 gültigen Leitlinie 030-134 der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zur Behandlung der Erkrankung.

Gute oder böse Variante?

Ein heftiger Streit tobt nun aktuell um die Bewertung der Variante p.D313Y des GLA-Gens. Quer durch Wissenschaft, Medizin, Diagnostik und Patientenschaft ist man uneins, ob diese Variante die Symptome der Betroffenen tatsächlich verursacht oder ob die Gründe dafür an ganz anderer Stelle zu suchen sind.

Viele Morbus-Fabry-Experten halten die Variante p.D313Y für gutartig. Sie argumentieren, dass die Betroffenen oft eine ausreichend hohe Enzym­aktivität haben, dass man bei ihnen nicht immer eine Gb3-Speicherung findet und dass diese Variante außerdem in der gesunden Normalbevölkerung sehr häufig vorkommt. Die Prävalenz von p.D313Y liegt um die 0,3 Prozent. Würden alle diese Menschen mit Morbus Fabry diagnostiziert, wäre es keine seltene Erkrankung mehr. Was unter anderem auch zur Folge hätte, dass die Medikamente zur Behandlung der Erkrankung nicht mehr unter die günstigen Rahmen­bedingungen der Orphan-Drug-Verordnung der EU fallen würden.

Mal diese, mal jene Resultate

Andere – ebenfalls nicht wenige – Morbus-Fabry-Experten sind gegenteiliger Meinung. Eine Meta-Analyse der Beschreibung von 211 Fällen mit p.D313Y ergab, dass 27 Prozent eine Enzym­defizienz und 16 Prozent eine Gb3-Anreicherung aufwiesen; zudem kam diese Variante in symptomatischen Patienten häufiger vor als bei Gesunden (Neurol, 99(19): e2188-e2200).

In der ClinVar-Datenbank, die genomische Varianten aller möglichen genetischen Erkrankungen sammelt und bewertet, wird der p.D313Y-Variante in der Version vom 29. September 2022 Folgendes beschieden: „Conflicting interpretations of pathogenicity; Uncertain significance (3); Benign (6); Likely benign (13).“

Warum also streitet man über die Pathogenität von p.D313Y? Weil in Deutschland seit etwa Mitte des Jahres Patientinnen und Patienten mit dieser Genvariante von der Morbus-Fabry-Therapie ausgeschlossen werden. Enzym­ersatz- und Migalastat-Therapie wird ihnen nicht mehr verordnet.

Kastrierte Auskünfte

Zum Hintergrund: Im März 2023 informierte die in Rostock ansässige Gendiagnostikfirma Centogene GmbH die Ärzteschaft über ihre Entscheidung, dass sie p.D313Y als gutartig einstufe. Dies gab sie auf einem Online Advisory Board Meeting bekannt, das die Pharmafirma Takeda organisiert hatte. Takeda stellt eines von drei am Markt befindlichen Enzym­ersatz­produkten her. Kritiker der Veranstaltung sagen, bei dieser Entscheidung seien nicht alle Daten aus allen Publikationen zu dieser Variante berücksichtigt worden.

Tatsächlich gibt Centogene den behandelnden Ärztinnen und Ärzten schon seit 2020 nicht mehr bekannt, wenn sie die p.D313Y-Variante in einer eingesandten Probe findet – weshalb der Arzt dann annehmen muss, dass die betreffende Person an einer anderen Erkrankung leidet.

Bei ihrer Einstufung von p.D313Y als „gutartig“ beruft sich Centogene auf Kriterien des American College of Medicinal Genetics (ACMG). In Zusammenarbeit mit der Association of Molecular Pathology (AMP) stellte die US-Fachgesellschaft Richtlinien auf, um genetische Varianten von Krankheitsgenen unabhängig von spezifischen Erkrankungen zu klassifizieren. Centogene berichtet, man habe diese Parameter auf p.D313Y im GLA-Gen angewandt und diese Variante daraufhin als gutartig bewertet. Betroffene kommen unter Verwendung eben dieser Kriterien jedoch zum gegenteiligen Schluss. Seit April dieses Jahres wurden jedenfalls etliche p.D313Y-Patientinnen und -Patienten aus der Therapie genommen, sagen Vertreter der Morbus Fabry Selbsthilfegruppe e. V.

Die drängende Frage, die sich nun stellt: Ist es medizin­ethisch vertretbar, diesen Patientinnen und -Patienten eine Morbus-Fabry-spezifische Therapie auf der Basis eines Gentests vorzuenthalten, dessen Bewertung umstritten ist – und zwar insbesondere, da die bisherige Therapie die Symptome linderte?

Ärzte stellen sich taub

Rein rechtlich können Morbus-Fabry Patientinnen und -Patienten mit der Variante p.D313Y auf eine Behandlung zumindest mit Migalastat bestehen. Denn nach wie vor erlaubt die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) explizit deren Behandlung.

Also müsse das Chaperon Migalastat solchen Personen auch weiter verordnet werden, sagt dazu eine erboste Betroffene, bei der sich nach Absetzen des Medikaments die Symptome gleich wieder einstellten. Eigentlich gebe es da überhaupt keinen Diskussions­spielraum. Bei den meisten Ärzten stoße man damit jedoch auf taube Ohren.

Karin Hollricher

Bild: AdobeStock/Siam

Dieser hier gekürzte Artikel erschien zuerst in ausführlicher Form in Laborjournal 10/2023.


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Letzte Änderungen: 30.10.2023