Editorial

Leitfaden für angehende Journal-Gründer

(27.11.2023) In Zeiten immenser Publikationskosten und undurchsichtiger Verlagspolitik gründen immer mehr Forscher eigene Journale. Ein Praxisratgeber hilft ihnen dabei.
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Im Juni 2023 erschien im Laborjournal ein Beitrag über den geschlossenen Rücktritt des Editorial Boards der Elsevier-Fachjournale NeuroImage und NeuroImage: Reports (siehe „Das Preisschild am Wissen“). Die Begründung der 42 Handling Editors, Associate Editors, Senior Editors und Editors-in-Chiefs: Sie halten die hohen Publikationsgebühren, die sogenannten Article Processing Charges (APC), der Open-Access-Journale für unethisch und wollten diese nicht mehr mit ihrem größtenteils ehrenamtlichen Engagement mittragen. Als Alternative gründete das Editorial Board mit Imaging Neuroscience ein eigenes, nicht profit­orientiertes OA-Journal. Die APCs sollen dabei so niedrig wie möglich gehalten und Forschern aus einkommensschwachen Ländern sogar ganz erlassen werden.

Diese Geschichte ist kein Einzelfall: Auch Editorial Boards anderer Elsevier-Journale haben der Laborjournal-Recherche zufolge in den letzten Jahren ihre Ämter niedergelegt und stattdessen eine eigene gemeinnützige Zeitschrift mit nur geringen Publikationsgebühren gegründet. Aber geht das so einfach? Immerhin sind die meisten Board-Mitglieder aktive Forscher, die lediglich im Ehrenamt als Editoren arbeiten. Woher kommt das Know-how, das benötigt wird, um eine funktionsfähige, finanziell tragbare Zeitschrift auf die Beine zu stellen?

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In den Händen der Wissenschaftler

Damit pro Jahr hunderte bis tausende Artikel verarbeiten werden können, sind professionelle redaktionelle Betreuung und ausreichende Finanzmittel notwendig; außerdem müssen technische Voraussetzungen erfüllt sei und etwa IT-Systeme zur Verarbeitung der Manuskripte etabliert werden. Und nicht nur die Board-Mitglieder nehmen mit der Neugründung ein großes Risiko auf sich, sondern ganz besonders auch die zukünftigen Autoren. Denn: Ein neues Journal beginnt mit einem Zitierungsindex von null.

Im deutschsprachigen Raum gibt es nun Unterstützung für „Gründungswillige“ durch die Veröffentlichung „Wissenschaftsgeleitetes Publizieren“ des vom Bundesforschungsministerium geförderten Projekts „Scholar-led Plus“. Unter dem Begriff „Scholar-led“ versteht man Projekte, die vorrangig in den Händen von Wissenschaftlern liegen. „Das Projekt ‚Scholar-led Plus‘ unterstützt wissenschaftsgeleitete Zeitschriften durch praxisnahe Handreichungen, bedarfsorientierte Webinare und eine Studie zur Zukunft des wissenschaftsgeleiteten Publizierens. Durch das Projekt sollen Kapazitäten aufgebaut, Wissenslücken geschlossen und das Feld strategisch weiterentwickelt werden“, sagt Marcel Wrzesinski, der das BMBF-geförderte Projekt leitet.

Wrzesinski arbeitet unter anderem als Open Access Officer am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft in Berlin. Derartige OA-Beauftragte unterstützen und beraten die Mitglieder ihrer Einrichtung bei allen Fragen rund um das offene und freie Publizieren von Texten und Daten. Wrzesinski beschäftigt sich in seiner eigenen Forschung mit der Governance und den Infrastrukturen wissenschaftlicher Kommunikation und Distribution. „Hierzu gehören insbesondere Fragen nach der Zukunft wissenschaftlicher Zeitschriften, dem gerechten Zugang zu wissenschaftlicher Literatur und nachhaltigen Geschäftsmodellen für wissenschaftsgeführtes, gebührenfreies Publizieren [scholar-led Diamond OA].“

Praxisorientierter Ratgeber

Als Leiter von Scholar-led Plus ist Wrzesinski auch Herausgeber der kürzlich erschienenen Veröffentlichung zum wissenschaftsgeleiteten Publizieren. Diese adressiert in sechs Handreichungen die Themen: Technik und Infrastrukturen, Urheberrecht und Datenschutz, Arbeitsabläufe und Workflows, Kommunikation und Distribution, Kostenstrukturen und Geschäftsmodelle, Governance und Rechtsform. „Angelegt als praktische Ressource sollen sie Zeitschriften und herausgebende Einrichtungen bedarfs­orientiert anleiten und bei der Weiterentwicklung, Professionalisierung und Verstetigung der Publikationstätigkeit unterstützen“, so Wrzesinski.

Da die 100-seitige Publikation Wissenslücken beim wissenschaftlichen Publizieren schließen und als praktische Handreichung dienen soll, enthält sie viele konkrete Beispiele, die über Links zugänglich sind, Empfehlungen beispielsweise für Software und Mustererklärungen, Checklisten sowie unzählige anschauliche Grafiken. Querverweise ermöglichen es, die Publikation als Nachschlagewerk einzusetzen, und Kästen mit Key Learnings fassen die wichtigsten Botschaften am Ende jedes Kapitels zusammen.

Vielseitiges Autorenteam

„Die vorliegenden Handreichungen sind das Ergebnis eines mehrmonatigen kollektiven Denkens, Diskutierens, Schreibens und Begutachtens von über 50 Personen“, schreibt Wrzesinski im Vorwort der Publikation. Gegenüber Laborjournal erklärt er, dass sich der Bedarf für die entstandenen Handreichungen aus einer Umfrage unter Zeitschriften, herausgebenden Einrichtungen, Fachgesellschaften, Forschungsförderern und Infrastruktur-Einrichtungen ergeben habe. „Die Ergebnisse der Umfrage wurden in einem Workshop mit Expert:innen von Zeitschriften, herausgebenden Einrichtungen, Fachgesellschaften, Forschungsförderern und Infrastruktur-Einrichtungen konkretisiert. Die sechs Themenbereiche der Handreichungen bauen unmittelbar auf diesem Workshop auf.“ Nun sollen die Handreichungen dazu beitragen, einen zentralen Wert der Wissenschaft zu stützen: „Ergebnisse der Forschung als Wissens­allmende auszuweisen.“

Larissa Tetsch

Bild: Pixabay/janeb13


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Letzte Änderungen: 27.11.2023