Editorial

Manipulierter isoelektrischer Punkt

(29.11.2023) Die Proteinreinigung mit der AEX-Chromatografie klappt besonders gut, wenn der pI des Proteins höher ist als sieben. Was liegt also näher, als ihn etwas zu frisieren?
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Auch das Diabetes-Medikament Liraglutid (genauso wie Semaglutid) gehört zu den GLP1-Rezeptor-Antagonisten.

Immer öfter taucht das Kürzel „-mab“ in Medikamentenlisten auf. Unter den von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zugelassenen Produkten finden sich 114 Neuentwicklungen und 41 Generika mit diesem Suffix – in der Datenbank zu klinischen Studien wimmelt es geradezu davon. Alle repräsentieren monoklonale Antikörper (mAb) und haben eine Entstehungsgeschichte mit vielen Hürden hinter sich. Bevor therapeutische Antikörper oder andere Biotherapeutika auf den Markt kommen, müssen sie bewiesen haben, wirksam und sicher zu sein. Aber was nutzt der beste Wirkstoff, wenn er nicht in ausreichender Menge und Qualität hergestellt werden kann?

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Aufwendige Putzprozedur

Monoklonale Antikörper werden in Säugerzellen exprimiert und müssen danach gereinigt werden. Eine hohe Expressionsrate ist ein guter Start, doch viele Zielmoleküle gehen bei der Isolierung verloren. Meist beginnt die Putzerei mit der Affinitäts­chromatografie an einer Protein-A-Matrix. Das gewonnene Eluat enthält angereicherte Antikörper. Die sind aber selten sauber genug und durchlaufen meist weitere Reinigungsschritte, etwa eine Anionenaustausch-Chromatografie (AEX-Chromatografie), um unerwünschte Proteine der Wirtszelle (HCP) sowie Viren loszuwerden.

Schwierig wird die Reinigungsprozedur, wenn die isoelektrischen Punkte (pI) von Zielprotein und Proteinverunreinigungen ziemlich nah beieinanderliegen. Bei der AEX-Chromatografie hat man dann meist die Wahl zwischen hoher Ausbeute oder hoher Reinheit. Wer zunächst auf eine hohe Ausbeute setzt, kommt um weitere Reinigungsverfahren kaum herum. Der Verlust von Zielmolekülen verlagert sich in diesem Fall nur auf die späteren Reinigungsschritte. Aber muss man die Reinigungsprozeduren immer dem Zielprotein anpassen? Ein Team von Sanofi-Aventis in Frankfurt am Main um Thomas Langer stellt in einem bioRxiv-Manuskript eine Methode zur Diskussion, die genau umgekehrt funktioniert.

Strategisches Wirkstoff-Design

Der Grundgedanke: Die isoelektrischen Punkte von Zielprotein und Proteinverunreinigungen sollten möglichst weit auseinanderliegen, um die Effektivität der AEX-Chromatografie zu erhöhen. Die pI der Verunreinigungen zu manipulieren, scheidet als Option aus. Den pI des Zielproteins kann man hingegen schon beim Produktdesign mit entsprechenden Aminosäuren anpassen. Da dieser Eingriff die Bioaktivität und Sicherheit des Wirkstoffs beeinflussen kann, muss man dabei strategisch vorgehen.

Einzelne Aminosäuren von Wirkstoffen auszutauschen, ist in der Pharmabranche nichts Ungewöhnliches, dient aber meist dazu, Protein­aggregationen zu verhindern. Langers Gruppe wollte damit jedoch die Reinigung eines Antikörpers optimieren, den sie für die Behandlung von Diabetes Typ 2 entwickeln. Den unter Diabetes-Typ-2 leidenden Patienten fehlt die stimulierende Wirkung des Hormons Glucagon-like Peptid 1 (GLP1) auf die Insulin­sekretion. Bekannt ist, dass exogen verabreichte Glucagon-like-Peptid-1-Rezeptor-Antagonisten (GLP1-RA) die Insulin­sekretion anregen und den Blutzuckerspiegel normalisieren können.

Die Frankfurter konstruierten ein Fusionsprotein mit zwei Varianten von GLP1-RAs am N-Terminus. Auf GLP1-RA folgt eine Fc-Domäne des humanen Immunglobulins, die die Halbwertszeit der Fusion im Plasma erhöhen soll. C-terminal ist eine Variante des Fibroblasten-Wachstumsfaktors 21 (FGF21) platziert. Gelangt FGF21 in den Blutkreislauf, wirkt es als endokrines Hormon, das verschiedene pharmakologische Effekte verursacht, etwa Gewichtsverlust, erhöhte Sensitivität gegenüber Insulin sowie Verbesserung der Triglycerid- und Cholesterinwerte im Plasma.

Bis zu 15 Lysin-Reste extra

Um den isoelektrischen Punkt zu erhöhen, integrierten die Forschenden verschieden lange Lysin-Reste in das Fusionsprotein GLP1-RA-Fc-FGF21. Die Protonierung der Lysine trägt zur positiven Ladung des Proteins bei saurem pH-Wert bei. Acht, zwölf oder 15 Lysin-Reste platzierten sie im Linker zwischen GLP1-RA und der Fc-Domäne, ein Pack aus sechs Lysin-Resten brachten sie am C-Terminus unter. Als Kontrolle diente ein Fusionsprotein mit sechs Glutamat-Resten am C-Terminus. Die berechneten pI der verschiedenen Proteinvarianten reichten von 6,15 beim ursprünglichen Fusionsprotein bis zu 8,39 bei der Variante mit 15 Lysin-Resten im Linker. Die Glutamat-reiche Variante hatte einen pI von 5,32.

Überraschend war die Beobachtung, dass die Varianten mit den Lysin-Resten im Linker nur schwach von CHO- und HEK293-Zellen exprimiert wurden. Brachten die vielen für Lysin codierenden AAA-Tripletts die Expressions­maschinerie ins Stottern? Offensichtlich nicht, denn auch das alternative Codon AAG brachte keine nennenswerte Verbesserung. Dennoch ging die Arbeit weiter, denn im Fokus stand schließlich die Optimierung der AEX-Chromatografie.

Lage und Länge optimieren

Das Team variierte die Menge der auf die Säule aufgetragenen Probe sowie den pH-Wert der Säule und maß jeweils die Menge der vom Wirt stammenden Proteinverunreinigungen (HCP) im Durchfluss. Je besser die HCP an die Matrix binden, desto geringere Mengen tauchen im Durchfluss auf, in dem das Wunschprotein aufgefangen wird. Dass der Durchfluss ziemlich stark mit den HCP verunreinigt war, wenn das Team eine zu große Menge der Proteinmischung auf die Säule auftrug, war nicht überraschend – ist die Kapazität der Säulenmatrix überschritten, marschieren die nicht gebundenen Proteine schnurstracks durch die Säule hindurch. Mit kleineren Beladungsmengen verringerten sich die HCP im Durchfluss, die Konzentration des Fusionsproteins war aber auch niedriger. Die besten Ergebnisse erzielte die Gruppe mit pH-Werten von 8,5 bis 9. Bei diesen wurden auch Viren am effektivsten entfernt, die primär über elektrostatische Kräfte an die Matrix binden.

Bis auf die Varianten mit C-terminalen Glutamat-Resten waren die Fusionsproteine bioaktiv. Das Team weist aber darauf hin, dass man die genaue Lage und Länge der Lysin-Reste je nach Zielprotein empirisch optimieren muss.

Andrea Pitzschke

Capito F. et al. (2023): Feasibility of improving manufacturability based on protein engineering. BioRxiv, DOI: 10.1101/2023.11.23.568267

Bild: RCSB PDB




Letzte Änderungen: 29.11.2023