Editorial

Hauptsache informiert

(23.01.2024) Das Buch „Die Wahrheit über unsere Drogen“ setzt auf Information ohne erhobenen Zeigefinger. Damit spricht es hoffentlich auch Jugendliche an.
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Bücher über Drogen gibt es viele. Wer etwa in der Jugend mit dem Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ der heroinabhängigen Christiane F. an das Thema herangeführt wurde, wird wohl zumindest um dieses Rauschmittel einen großen Bogen machen. Seit seinem Erscheinen Ende der 1970er-Jahre wurden unzählige weitere Bücher zum Thema veröffentlicht, ganz zu schweigen von Fernsehsendungen und den Unmengen an (seriösen und unseriösen) Informationen, die sich im Internet finden lassen. Auch in Schulen haben Drogenberatung und Prävention längst ihren Platz gefunden. Braucht die Welt also ein neues Buch über Drogen?

Vermutlich schon, denn längst dreht sich beim Drogenkonsum nicht mehr alles um Heroin: So konsumierten nach dem vom Bundesgesundheitsministerium herausgegebenen „Epidemiologischen Suchtsurvey“ von 2021 im Jahr zuvor in Deutschland immerhin 4,5 Millionen Erwachsene bis 64 Jahre Cannabis und damit nahezu zehn Prozent dieser Altersklasse. Damit ist Cannabis derzeit noch die am häufigsten konsumierte illegale Droge in Deutschland – „derzeit“ nicht weil der Konsum abnimmt, sondern weil die Bundesregierung eine Legalisierung der Droge beschlossen hat. Bei Jugendlichen sind dagegen längst andere Rauschmittel „in“ wie etwa Lachgas, und selbst vermeintlich harmlose Genussmittel wie Nikotin und Alkohol sind Drogen mit dem Risiko für schwere Nebenwirkungen.

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Autoren-Dreamteam

Vielleicht war ja die geplante Legalisierung von Cannabis ein Anlass für das dritte Buch von #DerApotheker, der mit „Die Wahrheit über unsere Medikamente“ bereits einen Bestseller veröffentlicht hatte. Für „Die Wahrheit über unsere Drogen“ holte er sich den Biologen und Toxikologen Carsten Schleh ins Boot – auch dieser bereits Sachbuchautor zu einem verwandten Thema. Sein Buch „Vorsicht, da steckt Gift drin“ beschäftigt sich mit Schadstoffen in Lebensmitteln, Kosmetika und anderen Produkten des Alltags. Wie die vorherigen Bücher der Autoren richtet sich auch „Die Wahrheit über unsere Drogen“ an Menschen mit und ohne naturwissenschaftliche Vorbildung – an solche, die selbst Drogen konsumieren, sich nur informieren oder Hilfe suchen wollen, aber auch an Angehörige und Menschen, die noch keinerlei Berührung mit Drogen hatten. Wobei bereits im Vorwort deutlich wird: Es wird kaum einen Leser geben, der sich in diesem Buch nicht irgendwo wiederfindet.

Um es vorwegzusagen: Die Zusammenarbeit ist sehr gelungen! Das Buch beschreibt in 16 Kapiteln ebenso viele Drogen: von Cannabis und Kokain, über magische Pilze, LSD, die Vergewaltigungsdroge GHB bis zu Alkohol, Tabak und sogar Zucker. Um die Informationen rund um die Substanzen aufzulockern, bauen die Autoren diese in eine Rahmenhandlung ein: Einmal die Woche bieten sie eine kostenlose, fiktive Drogenberatung an, deren Ablauf sie in den einzelnen Kapiteln schildern. Das ist nicht nur unterhaltsam, sondern erzählt auch gleich etwas über den typischen Konsumenten einer bestimmten Droge. So ist das Verhalten des Kokain-Konsumenten, der die Droge aufgeben möchte, nach einem kurzen Gespräch im Bad verschwindet, dort Kokain schnupft und daraufhin die Beratung abbricht, für das starke Suchtpotenzial der Droge symptomatisch und damit in seiner Botschaft vielleicht sogar eindringlicher als die reine Sachinformation.

Frei von Wertungen

Das Fachliche teilen sich die beiden Autoren auf: #DerApotheker schreibt über Biologie, Chemie und Pharmakologie der Drogen, Carsten Schleh ergänzt die Toxikologie und medizinische Fallgeschichten. Einziger Nachteil bei dieser etwas enzyklopädischen Vorgehensweise: Manche Aussagen wiederholen sich naturgemäß, da es nicht unendlich viele Wirkmechanismen und Nebenwirkungen von Drogen geben kann.

„Die Wahrheit über unsere Drogen“ ist kein Schocker wie „Die Kinder vom Bahnhof Zoo“. Eigentlich kommt das Buch geradezu unaufgeregt daher. Die sachliche und faktenorientierte Darstellung macht das Buch aber keineswegs trocken, noch den Konsum von Drogen weniger abschreckend. Gerade junge Menschen – als Mindestlesealter sind 16 Jahre angegeben – werden sich durch die direkte Anrede und die lockere Rahmenhandlung angesprochen fühlen. Die Ratsuchenden werden nicht als Junkies nach dem Vorbild der „Kinder vom Bahnhof Zoo“ dargestellt, sondern als ganz normale Menschen mit Informationsbedarf und eben mit oder ohne Substanzgebrauchsstörung.

Ein großer Pluspunkt des Buches: Die Autoren bewerten nicht, sondern bleiben durchgängig ihrem Vorsatz treu, „lediglich informieren“ zu wollen. Ohne Missionierungswillen oder moralischen Zeigefinger überlassen sie die individuelle Risikobewertung den einzelnen Betroffenen, ebenso wie die Entscheidung, ob ein Ausstieg aus dem Drogenkonsum angestrebt werden soll. So entscheidet sich ein gewisser Teil der fiktiven Ratsuchenden dafür, weiter Drogen zu nehmen, wie es wohl auch bei realen Beratungsangeboten der Fall ist. Insgesamt eignet sich „Die Wahrheit über unsere Drogen“ hervorragend als lockerer Einstieg in das Thema, als Nachschlagewerk, für den Einsatz in der Schule, der Beratung oder auch im Gespräch mit den eigenen Kindern.

Larissa Tetsch

#DerApotheker & Dr. Carsten Schleh:
Die Wahrheit über unsere Drogen
Herausgeber: Lübbe Life
Sprache: Deutsch
Taschenbuch: 336 Seiten
Hörbuch: 532 Minuten

Diese Buchbesprechung erschien zuerst in Laborjournal 12/2023.

Bild: Pixabay/Hermann (Bücherstapel) & Lübbe Life


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Letzte Änderungen: 23.01.2024