Editorial

Der Kinase-Aktivität
auf der Spur

(24.01.2024) Kinasen sind wie Schalter, gesteuert durch die Änderung ihrer Konformation. Der KinCon-Assay zeigt, welche Faktoren die Konformationsänderungen wie beeinflussen.
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In der Zelle findet kaum ein Prozess statt, in dem Kinasen nicht ihre Finger mit im Spiel haben. Gestörtes Wachstum, fehlgeleitete Entwicklung oder unpassende Reizantworten werden oft von veränderten Phosphorylierungsmustern der beteiligten Proteine verursacht, sei es in Hefe, Pflanze oder Tier. Dass Kinasen als molekulare Schalter fungieren, macht sie zu attraktiven Zielen für Medikamente. Die Schwachstelle der diversen Kinase-Inhibitoren, die etwa in der Krebstherapie angewendet werden, sind jedoch von Mutationen ausgelöste Resistenzen. Die mutierten Kinasen entkommen dem Wirkstoff, der Patient spricht nicht mehr auf die Therapie an und muss auf alternative Medikamente umsteigen, falls diese überhaupt existieren.

Editorial

Eingeschränkte Aussagekraft

Die Mechanismen resistenter Kinase-Varianten zu verstehen, ist der Schlüssel für die Entwicklung nachhaltig wirkender Kinase-Inhibitoren. In-vitro-Experimente, in denen beispielsweise Kinase-Aktivitäten von Zellextrakten oder immunpräzipitierten Kinasen ohne oder in Gegenwart eines Wirkstoffs gemessen werden, geben einen ersten Einblick in die Aktivität einer Kinase. Weil der zelluläre Kontext fehlt, ist ihre Aussagekraft jedoch eingeschränkt. In vitro ist eben nicht in vivo. Ob die scheinbar inhibierte Kinase in einer lebenden Zelle aufgrund stabilisierender Proteine oder Proteininteraktionen nicht doch aktiv wäre, bleibt beim In-vitro-Ansatz ungeklärt. Licht ins Dunkel kann jedoch der von Eduard Stefans Gruppe an der Universität Innsbruck entwickelte In-vivo-Kinase-Assay KinCon bringen, mit dem Forschende die Konformationszustände von Kinasen im zellulären Umfeld beobachten können.

Das Kinase-Conformation (KinCon)-Reporter-System basiert auf dem Grundprinzip von offenen sowie geschlossenen Kinase-Zuständen, bei denen das aktive Zentrum frei zugänglich beziehungsweise versperrt ist. Analog zu gängigen Interaktions-Assays nutzt KinCon ein gespaltenes Reporterprotein – die beiden Teile des Proteins befinden sich jedoch auf ein und demselben Molekül. Die zu untersuchende Kinase trägt N- und C-terminal je ein Fragment der Renilla-Luciferase (RLuc). In der offenen Konformation wirkt die Kinase wie ein Abstandhalter für die beiden Fragmente der gesplitteten RLuc. Ist die Konformation geschlossen, faltet sich die Kinase und die Reporter-Fragmente nähern sich so weit an, dass die RLuc-Funktion wieder aktiviert wird. Zellen, die das Konstrukt exprimieren, leuchten daher.

Modulares und personalisiertes System

Der Aufbau des KinCon-Expressionskonstrukts ist modular. Im Vektor ist eine multiple Klonierungsstelle (MCS) vorgesehen, in die sich entsprechende Kinase-Sequenzen einfügen lassen. Flexible Linker, die die Kinase N- und C-terminal mit Fragmenten des gesplitteten Reporterproteins verbinden, sind als Fertigbausteine wählbar. Ob ein Patient mit mutierter Kinase-Variante noch mit verschiedenen Wirkstoffen behandelbar ist, lässt sich mit Vergleichen von Wildtyp- und mutierter Kinase-Variante beurteilen. Ebenso können Einflüsse regulatorischer Proteine beobachtet werden, indem man diese co-exprimiert. Auf diese Weise entstehen „personalisierte“ Sensor-Systeme.

Als Expressionssystem dienen transient transformierte HEK293T-Zellkulturen. Nach Applikation des Luciferase-Substrats zu Zellen, die als Monolayer oder in Suspension gewachsen sind, verfolgt man die Biolumineszenz. Anhand der Signale von Proben, die mit verschiedenen Wirkstoffen oder Wirkstoffkonzentrationen versetzt wurden, lassen sich Dosis-Antwort-Kurven erstellen. Letztere erlauben etwa Aussagen darüber, ob eine Behandlung die untersuchte Kinase zu besonders schneller, langanhaltender und/oder starker Konformationsänderung veranlasst – oder ob parallel applizierte Wirkstoffe synergistisch wirken.

Die Tiroler Gruppe untersuchte mit dem KinCon-System unter anderem, wie die Leberkinase B1 (LKB1) die AMP-aktivierte Proteinkinase (AMPK) reguliert, die als Schlüssel-Kinasekomplex den Glukose- und Fettstoffwechsel steuert. Die LKB1-Aktivität lässt sich anhand der Detektion phosphorylierter AMPK quantifizieren. Dass LKB1 trimere Komplexe mit der Pseudokinase STE20-Related Adaptor Alpha (STRADalpha) sowie dem Gerüstprotein Mouse Protein-25 (MO25) bildet, ist bekannt. Unklar ist aber, wie sich diese Interaktionspartner auf die Kinase-Funktion auswirken.

Geschlossen, aber aktiver

Die systematische Co-Expression von LKB1 mit STRADalpha und/oder MO25 führte zu zehnfach erhöhten Biolumineszensignalen, wenn alle Interaktionspartner zugegen waren. Die Signalstärke korrelierte mit der Kinase-Aktivität. Demnach ist die geschlossene, eng gefaltete Konformation von LKB1 aktiver als die offene Konformation – im Gegensatz zu vielen anderen Kinasen, bei denen es genau umgekehrt ist. Krankheitsassoziierte Mutationen, beispielsweise im katalytischen Zentrum, blockierten die LKB1-Aktivität. Auch in Gegenwart der co-exprimierten Proteine STRADalpha und MO25 war kein Biolumineszenzsignal zu messen, das auf eine Kinase-Aktivität hingedeutet hätte. Mit diesem durch den KinCon-Assay gewonnenen mechanistischen Detailwissen ist eine gezieltere Therapie möglich.

Von medizinischer Relevanz ist auch die Untersuchung der Receptor Interacting Serine/Threonine Kinase 1 (RIPK1) mit dem KinCon-Assay. RIPK1 ist die zentrale Schaltstelle für den Zelltod, für Entzündungsprozesse sowie Immunantworten. Hier zeigte sich, dass die bei entsprechenden Patienten häufig vorkommenden RIPK1-Mutanten offene Konformationen von RIPK1 verursachen, die weniger aktiv sind. RIPK1-Inhibitoren begünstigten bei Wildtyp- sowie mutierten RIPK1-Varianten die geschlossene Konformation und führten im KinCon-Assay zu einer höheren Biolumineszenz.

Stefans Team sieht das größte Anwendungspotenzial des KinCon-Systems daher in der Analyse von Konformationsänderungen, die etwa durch Kinase-Modulatoren ausgelöst werden.

Andrea Pitzschke

Kugler V. et al. (2024): Kinases in motion: impact of protein and small molecule interactions on kinase conformations. BioRxiv, DOI: 10.1101/2024.01.11.575270.

Bild: Stable Diffusion online (KI-generiert)



Letzte Änderungen: 24.01.2024