Editorial

Status offen

(08.02.2024) Ausgeschlichen, auf Eis gelegt oder weiterentwickelt – was wurde aus den COVID-19-Wirkstoffkandidaten von Corat Therapeutics, Biotest und Formycon?
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Zu Peak-Corona-Zeiten sprossen sie wie Pilze aus dem Boden: Aus- und Neugründungen, Zusammenschlüsse von Industrie und Universitäten, alle mit einem Ziel – das nächste COVID-19-Blockbuster-Medikament auf den Markt zu bringen. Doch mit Ausnahme der mittlerweile großen Player wie BioNTech mit ihren Impfstoff-Varianten gerieten die unzähligen kleinen Projekte fast genauso schnell wieder in Vergessenheit wie sie aufgetaucht waren. Was ist aus einigen von ihnen geworden?

Gleich im ersten Jahr der Pandemie, 2020, startete etwa Corat Therapeutics, ein Zusammenschluss des Braunschweiger Biotech-Start-ups Yumab mit dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, die Arbeit an therapeutischen Antikörpern zur Behandlung hospitalisierter COVID-19-Patienten. Als Target für ihre Antikörper wählten die Braunschweiger das virale S-Protein, da Studien gezeigt hatten, dass dieses maßgeblich am Infektionsgeschehen beteiligt ist. Im Oktober 2020 sprach Laborjournal mit Luka Cicin-Sain vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung und Thomas Schirrmann, CEO von YUMAB, über das Projekt (siehe „Sie sind definiert, unbegrenzt herstellbar ...“).

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Nicht mehr aktualisiert

Ihren Lead-Kandidaten COR-101 testete das Start-up laut Studienregister (NCT04674566) dann ab April 2021 in einer klinischen Phase-1/2-Studie. Diese sollte im Oktober 2022 beendet sein. Jedoch finden sich weder auf der Website Corats noch im Studenregister Updates zum Ergebnis oder dem aktuellen Stand der Studie. Die letzten News auf der Unternehmenswebsite stammen vom Juli 2022, die Website der klinischen Studie auf clinicaltrials.gov wurde zuletzt im Mai 2022 aktualisiert und die jüngste Publikation zu COR-101 erschien im März 2022.

Seitdem ist es still geworden um das Braunschweiger Unternehmen. Das letzte Lebenszeichen war ein Artikel über COR-101 im Branchenmagazin transkript von März 2023. Dieser enthielt jedoch keine Updates zum Status des therapeutischen Antikörpers und pries nur die beschleunigte Medikamentenentwicklung im Angesicht der Corona-Pandemie an. In diesem Kontext besonders interessant: Im Juli 2022 erhielt das Braunschweiger Unternehmen 38,7 Millionen Euro Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Bereits 2021 wurde das Vorhaben mit knapp 7,4 Millionen Euro, ebenfalls vom BMBF, unterstützt. Eine Anfrage des Laborjournals zum gegenwärtigen Stand des Projektes und der Verwendung der Fördermittel ließ das Unternehmen bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Ermutigender Antikörpermix

Eine andere Kommunikationspolitik verfolgt das Biotech-Unternehmen Biotest aus Dreieich. Die Firma setzt auf ein Antikörper-Konzentrat aus menschlichem Plasma, das neben IgG-Antikörpern auch IgM- und IgA-Antikörper enthält. Anders als COR-101 greift das Medikament mit dem Namen Trimodulin also SARS-CoV-2 nicht direkt an, dadurch kann es auch bei Lungenentzündungen helfen, die durch andere Erreger ausgelöst wurden.

Derzeit führt Biotest eine Phase-3-Studie (NCT05531149) durch, die voraussichtlich im August 2025 beendet sein soll. Im September 2023 gab das Unternehmen bekannt, den ersten Patienten mit einer schweren ambulant erworbenen Lungenentzündung behandelt zu haben. In der zuvor beendeten Phase-2-Studie habe das Unternehmen eine „ermutigende Reduktion der Sterblichkeitsrate“ in einer Subgruppe von Patienten mit diesem Krankheitsbild beobachtet. Ähnlich wie Corat erhielt Biotest Ende 2021 Fördermittel des BMBF und des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) in Höhe von 15 Millionen Euro.

An der Medizinischen Universität Wien (und an Kliniken in der Ukraine) lässt das US-Biotech-Unternehmen Neutrolis seit 2021 eine klinische Studie mit der Substanz NTR-441 durchführen, die einen etwas exotischeren Ansatz zur Bekämpfung von Komplikationen bei schwerwiegenden Coronainfektionen darstellt. NTR-441 adressiert gezielt Neutrophile oder genauer: ihre Netze.

Im Netz der Neutrophilen

Seit einiger Zeit gelten die extrazellulären Netze der Immunzellen (kurz NETs für Neutrophile Extracellular Trap) als potentielle Treiber für eine überschießende Immunantwort bei bestimmten Infektionserkrankungen. Als Forschende des Uniklinikums Erlangen dann Mitte 2020 NETs in den Lungen von an COVID-19 verstorbener Patienten fanden, kam die Vermutung auf, dass diese auch bei schwerwiegenden Infektionen mit SARS-CoV-2 eine Rolle spielen (EbioMedicine, 58:102925). Ein Interessanter Fund für Neutrolis. Das 2017 von zwei NET-Spezialisten gegründete Unternehmen begann kurzerhand die Entwicklung von NTR-441. Dabei handelt es sich um eine DNase (DNASE1L3), die in der Lage ist, die hauptsächlich aus Chromatin bestehenden NETs zu zerlegen.

Bereits im April 2021 startete das Unternehmen eine Phase-1-Studie (NCT04941183) an gesunden Probanden, um die Verträglichkeit ihres Leadkandidaten zu testen. Laut Studienregister schloss Neutrolis die Studie angeblich im Juni 2023 ab, publizierte aber keine Ergebnisse. Auch in der Pipeline der Biotech-Firma taucht NTR-441 nicht mehr auf. Seit 19. Januar 2024 prangt auf der Studienregister-Website der Hinweis „Terminated“, mit dem Zusatz „the emergence of the omicron variant of COVID-19 lead to insufficient enrollment“. Derweil hat Neutrolis mit NTR-L301 noch einen weiteren Wirkstoffkandidaten im Köcher, der ebenfalls gegen COVID-19 eingesetzt werden soll. Ob dieser inzwischen auch aus der Zeit gefallen ist?

Ein Schrecken mit Ende?

So schnell wie neue Corona-Projekte Anfang 2020 zu sprießen begannen, endete das rasante Wachstum, als die WHO am 5. Mai 2023 die internationale Gesundheitsnotlage durch SARS-CoV-2 für beendet erklärte. Da erscheint es nur logisch, dass einige Unternehmen ihre Corona-Projekte auf Eis legen. Nur wenige kommunizieren dies jedoch so offen wie Formycon. Das Martinsrieder Unternehmen schreibt auf seiner Website, dass es sein ACE2-Fusionsporteins FYB207 (wir berichteten darüber im Dezember 2020: „Corona-Andock-Block“) aufgrund der WHO-Entscheidung zunächst nur „ressourcenschonend“ weiterentwickeln und vorerst auf klinische Studien verzichten wird. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Erfahrungen der Corona-Zeit für die nächste Pandemie als hilfreich erweisen – denn die kommt bestimmt.

Tobias Ludwig

Bild: Pixabay/ooceey


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Letzte Änderungen: 08.02.2024