Editorial

Krebsdiagnostik mit
flüssigem Fußabdruck

(21.02.2024) Mit kurzer zellfreier DNA konnten Diagnostikerinnen und Diagnostiker bisher nicht viel anfangen. Das könnte sich mit einem neuen Flüssig­biopsie-Verfahren ändern.
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Mit Abfallprodukten lässt sich oft noch eine Menge machen. Diese Grundregel der Kreislaufwirtschaft beherzigen nicht nur öko-affine Unternehmen, sondern auch Zellen. Der Abfall von Zellen enthält aber neben „recyclingfähigem“ Material auch wertvolle Informationen. Ein Paradebeispiel hierfür ist zellfreie DNA oder kurz cfDNA im Blutplasma, die von toten Zellen oder Krebszellen stammt. Im Zuge von Apoptose oder Nekrose entlassen Zellen ihr Genmaterial in den zirkulierenden Blutstrom und werfen es den darin patrouillierenden Nukleasen zum Fraß vor. DNA-Abschnitte, auf denen Proteinkomplexe binden, entkommen dem nukleolytischen Verdau jedoch weitgehend. So schützen zum Beispiel Nukleosomen die DNA nahezu perfekt vor den gefräßigen Nukleasen.

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Geschützte Fragmente

Da etwa 147 Basenpaare nötig sind, um ein einzelnes Histon zu umwickeln, sind in der cfDNA Fragmente mit 147 bis 167 Basenpaaren deutlich überrepräsentiert. Aber auch offene Chromatinstrukturen enthalten DNA-Abschnitte, die von Nukleasen seltener zerlegt werden. Diese Fragmente sind meist nur 35 bis 80 Basenpaare lang und werden vermutlich von regulatorischen DNA-bindenden Proteinen (DBPs), etwa Transkriptionsfaktoren, geschützt. Sequenziert man diese kurzen cfDNA-Abschnitte und vergleicht Flüssigbiopsie-Proben von gesunden und kranken Probanden, könnte man daraus einen „flüssigen Fußabdruck“ (Liquid Footprint) ableiten, mit dem sich eine mögliche Erkrankung diagnostizieren ließe.

Dazu braucht es aber erst einmal eine Technik, mit der sich die kurzen cfDNAs aus dem Blutplasma isolieren lassen. Ein deutsch-österreichisches Team um Kai Sohn vom Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Stuttgart stellt in einem bioRxiv-Manuskript (Link unten) ein entsprechendes Verfahren vor und zeigt zudem, wie man mit der kurzen, doppelsträngigen cfDNA (der Footprint-DNA) einen flüssigen Fußabdruck erhält.

Veränderte Genaktivität

Die Gruppe isolierte zunächst die gesamte cfDNA aus dem Blutplasma mit magnetischen Kügelchen und reicherte die kurzen Fragmente mit etwa 40 Basenpaaren Länge danach mit einer präparativen Gelelektrophorese an. Anschließend stellten die Forschenden aus dieser Footprint-DNA Größen-selektierte DNA-Bibliotheken her, die sie im Hochdurchsatz sequenzierten. Wenn sich die Footprint-DNA gesunder und kranker Menschen tatsächlich unterscheidet, müsste sich dies in der Sequenzanalyse widerspiegeln. Besonders häufig vorkommende Reads sollten von einer überdurchschnittlich starken Besetzung des offenen Chromatins mit regulatorischen DNA-bindenden Proteinen stammen und auf eine veränderte Genaktivität hindeuten. Anhand des Abgleichs beziehungsweise Mappings mit dem Human-Referenzgenom versuchten die Forschenden, die damit verbundenen Gene zu ermitteln.

Nach Sequenz-Analyse und Mapping stand fest, dass die Footprint-DNA eine eigene Klasse innerhalb der cfDNA bildet. Transkriptionsstartstellen (TSS), die in der cfDNA im Vergleich zum Gesamtgenom unterrepräsentiert sind, kommen in ihr überproportional häufig vor. Das gilt auch für DNAse hypersensitive Stellen (DHS). Beide Beobachtungen passen zur Annahme, dass die Footprint-DNA hauptsächlich aus offenen Chromatinabschnitten stammt. Darüber hinaus ist der GC-Gehalt der Footprint-DNA deutlich höher als im Humangenom – auch das dürfte kein Zufall sein.

Keine Zufallsprodukte

Jeder Mensch hat ein ureigenes Muster der Footprint-DNA, das sich obendrein mit der Zeit verändern kann. Konsensus-Sequenzen sind der Schlüssel, um an diagnostisch relevante Informationen zu gelangen. Hierfür bereiteten die Forschenden Blutplasmaproben von jeweils vier gesunden Personen sowie von Krebs-, Sepsis- sowie OP-Patientinnen und -patienten auf. Die Analyse der Konsensus-Peaks von Gesunden förderte nach dem Abgleich mit der Motiv-Datenbank HOCOMOCO in der Footprint-DNA 203 Bindemotive für Transkriptionsfaktoren zutage. Diese ließen sich 46 Familien von Transkriptionsfaktoren zuordnen, die wiederum zu neun Superklassen gehören. Angesichts der auffälligen Überlappung mit ChIP-Seq-Daten erhärtete sich die These der Forschenden, dass die Footprint-DNA primär regulatorische Stellen im Genom repräsentiert und die Fragmente kein Zufallsprodukt sind.

Damit stellte sich die Frage nach einem möglichen Zusammenhang zwischen der Signalstärke der Footprint-DNA und der Aktivität des Promoters. Von ChIP-Seq-Daten stammende, annotierte Promoter-Sequenzen kategorisierte das Team anhand der Methylierung (H3K4me3) als aktive oder inaktive Promoter. Der Abgleich mit den ermittelten Peaks (Häufung von Reads, die mit einem bestimmten Genomabschnitt übereinstimmen) zeigte, dass aktive Promoter in der Footprint-DNA deutlich häufiger auftraten als inaktive. Zudem ließ sich die Footprint-DNA meist Genen mit relativ hohen Transkriptmengen zuordnen.

Deutliche Unterschiede

Mittels Principal Component Analysis (PCA) untersuchten die Forschenden systematisch die übereinstimmenden Daten der Footprint-DNA (Consensus Peak Sets) für die oben erwähnten Patientengruppen. Die Gruppe der Gesunden hob sich klar von den übrigen Gruppen ab. Auch unterschieden sich die zwei Typen des gastrointestinalen Karzinoms (Pankreaskarzinom und kolorektales Karzinom) in ihren Profilen der Footprint-DNA deutlicher voneinander als individuelle Personen untereinander.

Um die heißesten Kandidatengene beim Namen nennen zu können, verglichen die Forschenden in zwei Patienten-Gruppen die relative Häufigkeit der Transkriptionsfaktor (TF)-Motive in den Konsensus-Peaks. Eine Gruppe bestand aus Patienten, die an einem Pankreas- oder kolorektalem Karzinom erkrankt waren, die andere aus Sepsis-Patienten sowie frisch operierten Personen. Letztere sind eine relevante Vergleichstruppe für die Sepsis-Patienten, da viele Zellen beschädigt und der Gehalt der cfDNA im Plasma entsprechend erhöht ist.

Das Team konnte die in Kolorektalen-Karzinom-Proben angereicherte Footprint-DNA 19 TF-Motiven zuordnen. Umgekehrt waren 14 TF-Motive vornehmlich mit Pankreas-Karzinom-Proben verbunden. Der auffälligste Kandidat war RBPJ (Recombination Signal Binding Protein For Immunoglobulin Kappa J), der als Regulator der Entwicklung von Pankreaszellen eine wichtige Rolle spielt. Sieben von zehn TF-Motiven, die das Team in den Sepsis-Proben anreicherte, sind bekannt für ihre regulierende Rolle des Immunsystems, darunter etwa TCF4 alias ITF-2, das die Expression von Interleukin 10 kontrolliert.

Andrea Pitzschke

Müller J. et al. (2024): Liquid footprinting: A novel approach for DNA footprinting using short double-stranded cell-free DNA from plasma. BioRxiv, DOI: 10.1101/2024.02.09.579588.

Bild: Pixabay/3005398



Letzte Änderungen: 21.02.2024