Editorial

Der König ist tot, es lebe das Feld

(23.02.2024) „Die Wissenschaft schreitet von Beerdigung zu Beerdigung voran“, heißt es salopp. Offenbar befeuert das Dahingehen prägender Figuren manche Felder tatsächlich ganz neu.
editorial_bild

Folgendes Zitat von Max Planck wurde als "Plancksches Prinzip" der Wissenschaftstheorie bekannt:

„Eine neue wissenschaftliche Wahrheit pflegt sich nicht in der Weise durchzusetzen, daß ihre Gegner überzeugt werden und sich als belehrt erklären, sondern vielmehr dadurch, dass die Gegner allmählich aussterben und dass die heranwachsende Generation von vornherein mit der Wahrheit vertraut gemacht ist.“

Drei US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler nahmen das mit dem „Sterben“ wörtlich – und haben Plancks Einsicht, dass der Tod prominenter Figuren oftmals die Bremsen für neue wissenschaftliche Wahrheiten löst, durch eine bibliometrische Analyse ansatzweise bestätigt.

Unter dem Titel „Does Science Advance One Funeral at a Time?“ veröffentlichten sie in American Economic Re­view (109(8): 2889-2920) ihre Nachforschungen darüber, wie sich die Todesfälle von 452 Biomedizinern, die ihr jeweiliges Forschungsfeld stark geprägt hatten, nachfolgend auf die Kolleginnen und Kollegen auswirkten, die weiterhin in ebendiesen Feldern aktiv blieben.

Editorial

Quereinsteiger auf dem Vormarsch

Fassen wir deren Ergebnisse kurz zusammen. Diejenigen, die bereits mit den „Starforschern“ kooperiert hatten und demnach eher in deren Strom schwammen, mussten nach deren Tod bezüg­lich der Zahl ihrer nachfolgenden Veröffentlichungen eine durchschnittliche Einbuße von neun Prozent hinnehmen. Was jetzt nicht gerade die Welt ist.

Etwas stärker beeindru­cken die Verschiebungen auf der „anderen Seite“: Forscher, die bislang nicht mit dem jeweiligen „Promi“ kollaboriert hatten, konnten nach dessen Beerdigung im Schnitt um zwanzig Prozent mehr Artikel in dem jeweiligen Feld veröffentlichen.

Interessanterweise waren es jedoch weniger die „ewigen Konkurrenten“, die das Vakuum auf diese Weise ausfüllten. Vielmehr stiegen auffällig oft junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus anderen Gebieten neu ein – und brachten nicht nur eine frische und unvoreingenommene Denke ins Feld, sondern wurden mit ihren resultierenden Erkenntnissen auch bald überpro­por­tio­nal häufiger zitiert. Die Autoren der Studie schreiben dazu wörtlich:

„Überraschenderweise sind es nicht die Konkurrenten innerhalb eines Teilgebiets, die die Führungsrolle übernehmen, sondern vielmehr Neueinsteiger aus anderen Feldern, welche die Lücke füllen, die durch die Abwesenheit eines Stars entstanden ist. Folglich basiert dieser Anstieg an Beiträgen von Quereinsteigern auf einem anderen wissenschaftlichen Korpus – was offenbar dazu führt, dass  diese im Schnitt auffällig häufig zitiert werden.“

Keine absichtliche Blockade

Jetzt kann man natürlich trefflich spekulieren, worin die Ursachen für solche Bremswirkung von Forscher-Lichtgestalten liegen könnten. Sitzen sie selbst mit ihrer „Anhängerschaft“ zu fett auf Schlüsselpositionen im Rahmen von Antrags- und Manuskript-Begutachtungen, sodass Neulinge mit alternativen inhaltlichen Konzepte viel schwerer „durchkommen“? Oder schreckt ein gut vernetz­ter Block von Anhängern rund um eine solche Lichtgestalt viele „Frischlinge“ schon von vorn­herein davon ab, den Versuch zu wagen, sich daneben im gleichen Feld zu etablieren?

Die Studienautoren jedenfalls halten sich klar davon fern, den Starforschern und ihren Gemeinden zu unterstellen, sie würden alternative Ideen mit bewusster Absicht blockieren. Vielmehr tendieren sie eher zu letzterer Erklärung:

„Es scheint nicht so zu sein, dass Stars ihren Einfluss auf finanzielle oder editoriale Ressourcen nutzen, um den Zugang zu ihrem Fachgebiet zu blockieren, sondern eher, dass allein die Aussicht, eine Koryphäe auf dem Gebiet herauszufordern, Neueinsteiger vom Einsteigen in dieses Feld abhält.“

Womöglich ist das aber auch einfach der ganz normale Lauf der Forschung, wie einer der Autoren in einem Interview sinniert. Denn wahrscheinlich waren die schwerfälligen alten Platzhirsche von heute selbst einmal vor neuen Ideen sprühende Jungforschende, die sich damals ihrerseits solch einer alten Garde gegenüber sahen.

Max Planck wird da womöglich selbst keine Ausnahme gewesen sein.

Ralf Neumann

(Bild kreiert via Dall-E2)

 

Weitere Artikel zum Thema "Forschungsfeld":

 

>> Von Interdisziplinarität und Pionieren

Neue Forschungsfelder entstehen weniger durch interdisziplinäre Teambildung als vielmehr durch das Wirken „antedisziplinärer“ Pioniere. Siehe die Entschlüsselung der DNA-Struktur durch Watson und Crick ...

 

>> Wie geht disruptive Forschung?

Bringen heutige wissenschaftliche Projekte seltener bahnbrechende Ergebnisse hervor? Welche Rolle spielt dabei Serendipity? ...

 

>> Sind Forschungspreise eher kontraproduktiv?

In Nature Communications erschien ein Artikel mit dem Titel „Scientific prizes and the extraordinary growth of scientific topics“ (Vol. 12, Article number: 5619) – auf Deutsch also: „Wissenschaftliche Preise und das außergewöhnliche Wachstum wissenschaftlicher Themen“  ...

 



Letzte Änderungen: 22.02.2024