Editorial

„Wir waren die Ersten
weltweit“

(26.02.2024) In Würzburg beschäftigt sich Immunologe Hermann Einsele mit bispezifischen Antikörpern und CAR-T-Zellen zur Behandlung von Leukämien und Lymphomen.
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Auch in der Krebsforschung ist immunologisches Knowhow gefragt – zum einen, um die Erkrankungen besser zu verstehen, zum anderen aber auch, um zielgenaue Therapien gegen die Tumorzellen zu entwickeln. Hermann Einsele (im Bild) von der Uniklinik Würzburg steht in unserem aktuellen Ranking zur Immunologie auf Platz 4 der meistzitierten „Köpfe“ und behandelt onkologische Erkrankungen des blutbildenden Systems.

Immunologie als Forschungsdisziplin ist ziemlich heterogen. Die hämatologisch ausgerichteten Wissenschaftler bilden eine spezialisierte Subgruppe mit großer Schnittmenge zur Onkologie. Doch auch beim Blick auf die Krebsforscher scheinen die Leukämie-Experten wiederum ein recht eigenständiges Cluster zu bilden. Offenbar unterscheiden sich die Therapie-Konzepte voneinander. Ist es überhaupt sinnvoll, bösartige Erkrankungen des blutbildenden Systems in einen Topf zu werfen mit anderen Krebserkrankungen?

Hermann Einsele: Es gibt mehrere Unterschiede. Zunächst einmal sind die betroffenen Zellen bei einer hämatologischen Erkrankung über das Blut oder Knochenmark sehr gut zugänglich. Man kann Tumorzellen entnehmen und aufreinigen, einen „flüssigen“ Tumor können Sie im Durchflusszytometer analysieren, denn Sie haben die Zellen ja in Suspension. Beim soliden Tumor ist das schwieriger. Und das macht auch die Unterschiede in der Therapie aus.

Wohl deshalb sind viele Immuntherapien bei hämatologischen Neoplasien erfolgreicher als bei soliden Tumoren. Das gilt besonders für bispezifische Antikörper und CAR-T-Zellen. Umgekehrt sind die soliden Tumoren häufig genetisch komplexer, was für eine zielgerichtete Therapie auch wieder von Vorteil sein kann. Immun-Checkpoint-Blocker sind bei den soliden Tumoren stärker wirksam. Also es gibt tatsächlich Unterschiede.

Editorial

Nach Stammzelltransplantationen kann eine Anfälligkeit gegen bestimmte Viren auftreten. Warum eigentlich? Der Empfänger bekommt doch gewissermaßen das gesamte Immunsystem eines Spenders übertragen, und das sollte doch einen gesunden Mix an Immunkompetenz mitliefern, die ein erwachsener Mensch üblicherweise aufgebaut hat.

Einsele: Sie sprechen hier die allogene Stammzelltransplantation an. Der Patient bekommt also keine eigenen Stammzellen, sondern die eines fremden Spenders. Verwendet man eigene, also autologe Stammzellen, ist das häufig mit einer kürzeren Infektionsgefährdung verbunden. Nur war das eigene Immunsystem ja eben nicht in der Lage, die Krebszellen zu erkennen und zu bekämpfen. Daher ist die allogene Stammzelltransplantation häufig Mittel der Wahl. Die Idee: Wir geben dem Patienten ein neues Immunsystem.

Das transferierte Immunsystem wird auch in der Regel das tun, was wir erwarten, nämlich die Tumorzellen als fremd erkennen. Auf der anderen Seite haben Sie aber das Problem, dass das Immunsystem auch gesundes Gewebe als fremd erkennt. Nach allogener Stammzelltransplation sind das vor allem Haut, Darm und Leber, später möglicherweise auch die Lunge.

Die Graft-to-Host-Reaktion?

Einsele: Richtig. Mit der Konsequenz, dass man den Patienten immunsuppressiv behandeln muss, um diese Reaktion abzumildern. Das wiederum führt aber dazu, dass auch die Abwehr von Infektionserregern gebremst wird. Und das ist ein wesentlicher Faktor für die Infektionsanfälligkeit.

Wie verbessern Sie die Infektionsabwehr wieder?

Einsele: Meist breiten sich Erreger aus, die ohnehin schon im Körper vorhanden sind. Ganz typisch sind Infektionen mit dem Zyto­megalie­virus oder dem Epstein-Barr-Virus; Viren, die bereits latent vorhanden sind und den Patienten jetzt krankmachen, weil die Immunüberwachung fehlt. Wir können das verhindern oder behandeln, indem wir Immunzellen des Spenders, der diese Infektionen bereits durchgemacht hat, selektionieren. Also Immunzellen, die gegen diese Viren gerichtet sind. Der Spender stellt zum einen das Immunsystem bereit, das wir transferieren. Und später liefert er selektive Immunzellen, die man zur Infektbekämpfung braucht.

Schon die allogene Stammzelltransplantation ist also im Prinzip eine Immuntherapie. Inzwischen gibt es aber auch weniger einschneidende und gezieltere Verfahren. Zum Beispiel bispezifische Antikörper.

Einsele: Bispezifische Antikörper sind Moleküle mit zwei Bindungsstellen. Eine bindet an die Immunzelle, die andere richtet sich gegen ein tumorspezifisches Oberflächen-Antigen. Ganz klassische Ziele sind CD19 bei Lymphomen oder BCMA beim multiplen Myelom. Der Antikörper bindet meist über CD3 an die T-Zelle – so führt man die Immunzelle direkt an die Tumorzelle heran. Jetzt bildet sich eine sogenannte immunologische Synapse – das heißt, die T-Zelle und die Tumorzelle kommen eng zusammen. Obwohl die T-Zelle die Tumorzelle von sich aus nicht erkannt hätte, kann sie die Tumorzelle dank dieser neu entstandenen immunologischen Synapse nun ausschalten.

Und auch mit der CAR-T-Zell-Therapie bringen Sie T-Zellen an die Tumorzellen heran.

Einsele: Mit den CAR-T-Zellen funktioniert das ähnlich, nur dass diese nicht über einen bispezifischen Antikörper ihr Ziel finden, den Sie ja immer wieder zugeben müssen, sondern die Immunzelle ist genetisch so verändert, dass sie einen neuen Rezeptor trägt – eben jenen chimärischen Antigen-Rezeptor (CAR). Und der erkennt dann das Oberflächenmolekül der Tumorzelle.

Das sind Immunzellen, die dem Patienten entnommen werden; man verändert sie genetisch und verabreicht sie wieder. Diese Zellen sind dann also auch teilungsfähig?

Einsele: Ja, CAR-T-Zellen vermehren sich massiv, verbleiben idealerweise über Jahre im Körper des Patienten und können kontinuierlich den Tumor angreifen. Daher braucht man eben nur eine einzige Infusion.

Es gibt auch ein aktuelles Leitlinien-Papier von 2022 zur CAR-T-Zell-Therapie, das Sie mitverfasst haben (Ann Oncol, 33(3): 259-75). Das Verfahren spielt also auch für Ihre Arbeit als Arzt und Forscher eine zentrale Rolle.

Einsele: Ja, hier in Würzburg waren wir in Deutschland sehr früh mit dabei und haben inzwischen auch eine große Arbeitsgruppe, die sich sowohl präklinischen als auch klinischen Anwendungen der CAR-T-Zellen widmet. Erst vergangenes Jahr haben wir eine Arbeit im New England Journal publiziert, in der die BCMA-CAR-T-Zell-Therapie beim multiplen Myelom in frühen Therapielinien gezeigt wird (N Engl J Med, 389(4):335-47). Bei den bispezifischen Antikörpern waren wir sogar die Ersten weltweit, die das klinisch eingesetzt haben. Max Topp hat sich dem Thema intensiv gewidmet. Eine der ersten Arbeiten zur klinischen Anwendung bispezifischer Antikörper war sicher die Publikation in Science 2008, mit Ralf Bargou als Erstautor (Science, 321(5891): 974-7).

Eigentlich sollen die moderneren Immuntherapien zielgerichtet sein. Doch ich habe gelesen, dass man trotzdem vorher eine Chemotherapie benötigt. Also scheint die Behandlung doch nicht ganz so schonend zu laufen, wie man sich das wünscht.

Einsele: Bei den bispezifischen Antikörpern brauchen Sie das nicht, sondern was Sie hier erwähnen, bezieht sich auf die CAR-T-Zellen. Das ist aber eigentlich keine Chemotherapie, sondern eine Lympho­depletions­therapie. Das heißt, Sie reduzieren die Zahl der Lymphozyten im Körper des Patienten durch eine entsprechende Behandlung – üblicherweise Fludarabin und Cyclo­phosphamid. Das führt zu einer sogenannten Lymphopenie. Wenn der Patient nur wenige Lymphozyten hat, ist das ein ideales Umfeld, um den CAR-T-Zellen eine maximale Expansionsmöglichkeit zu geben. Der Körper produziert in diesem Zustand IL-2, IL-15 und andere Zytokine, die die Lymphozytenvermehrung wieder anregen.

Die CAR-T-Zellen bekommen so zahlenmäßig einen Vorteil?

Einsele: Richtig. Sie haben ein maximales Wachstumspotential für diese Zellen. Bei manchen Patienten sind anschließend bis zu 80 oder 90 Prozent der zirkulierenden Immunzellen im Blut CAR-T-Zellen.

Erzielt man mit diesen neuen Methoden eine vollständige Heilung?

Einsele: Das kommt sehr auf die Erkrankung und das Stadium an. Einige Beispiele: Bei den Non-Hodgkin-Lymphomen und bei den B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphomen hat man tatsächlich auch in der dritten Therapielinie noch eine Heilungschance von etwa 30 bis 40 Prozent. Beim multiplen Myelom, wo auch sehr viele CAR-T-Zell-Produkte und Bispecifics zum Einsatz kommen, sieht es im Augenblick noch nicht so aus, als ob man die Patienten zumindest in der fortgeschrittenen Erkrankung heilen kann. Dieses Ziel könnte aber beim früheren Einsatz von CAR-T-Zellen erreicht werden.

Eine Leukämie bliebe für viele Patienten also eine chronische Erkrankung, mit der man aber leben kann?

Einsele: Das ist eine Hoffnung für die Zukunft; die andere ist die echte Heilung, wie beim B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphom.

Das Gespräch führte Mario Rembold

Bild: Arnika Hansen/Universitätsklinikum Würzburg


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Letzte Änderungen: 26.02.2024