Editorial

Streit um Hitler-Käfer
und Trump-Motte

(27.02.2024) Viele Taxa sind nach Eigennamen benannt, aber manch ein Namenspate kann heute nicht mehr als Vorbild gelten. Sollten Taxa deshalb umbenannt werden?
editorial_bild

Anophthalmus hitleri ist ein fünf Millimeter langer, augenloser, räuberischer Laufkäfer in den Höhlen Sloweniens.

Für viele ist es die Krönung des Forscherlebens: Einmal eine bislang unbekannte Organismenart oder – noch besser – Organismengattung beschreiben und ihr einen Namen geben dürfen. Wissenschaftliche Namen sind aber mehr als eine Spielwiese für Wissenschaftler: Sie bilden die Grundlage für die unmissverständliche Kommunikation über Länder- und Sprachgrenzen hinweg. Deshalb gibt es für die Benennung aller Taxa feste Regelwerke, die sogenannten Internationalen Codes der Nomenklatur.

Quer durch alle Organismengruppen erfreut es sich dabei großer Beliebtheit, die eigene Neuentdeckung nach einem Vorbild zu benennen – sei es ein das eigene Fachgebiet prägender Kollege, ein Gönner oder eine bekannte Persönlichkeit. Aber es sind vor allem Namen wie der des braunen Höhlenkäfers Anoph­thalmus hitleri, die den Ruf laut werden lassen, wissenschaftliche Artnamen, die auf Eigennamen zurückgehen, aus der Taxonomie zu verbannen.

Editorial

Konsequente Umbenennung

Die bisher umfangreichste Forderung zur Umbenennung von Eponymen formulierte ein elfköpfiges internationales Autorenteam im März 2023 (Nat Ecol Evol. doi.org/j48c). Die Autoren und Autorinnen um den an der Universität in Porto, Portugal, tätigen Biodiversitätsforscher Richard Ladle kritisieren, dass ein Großteil aller Arten mit Eponymen von weißen Männern nach anderen weißen Männern benannt wurde. Damit spiegeln die Namen Kolonialismus und Imperialismus einer Zeit wider, als sich europäische und nordamerikanische Forscher in die Kolonien des globalen Südens aufmachten. Das diskriminiere sowohl Frauen als auch die indigene Bevölkerung dieser Länder. Doch Erstautorin Patrícia Guedes und ihre Kollegen wollen nicht nur diese, sondern alle Arten mit Eponymen als Namen umbenennen. „Die Biodiversität der Erde ist Teil des globalen Erbes und sollte nicht durch die Assoziation mit einem einzelnen menschlichen Individuum trivialisiert werden, einerlei was sein wahrgenommener Stellenwert ist“.

Damit haben sie offensichtlich in ein Wespennest gestochen: Mit Stand 11. Januar 2024 gibt die Website des Journals bereits 7.280 Zugriffe und 20 offizielle Zitierungen der Publikation an. Auf der Online-Plattform ResearchGate haben sich mehr als 47.700 Nutzer die Zusammenfassung angeschaut. Die dort geführte Diskussion listet 436 Kommentare, von denen nicht alle sachlich bleiben.

Technische vs. ethische Aspekte

Die Diskussion auf ResearchGate zeigt, dass sich viele Forscher bevormundet fühlen. Sie möchten nicht auf das liebgewonnene Privileg der freien Namensgebung verzichten. Auch die Internationale Kommission für Zoologische Nomenklatur (ICZN) lehnt eine ethisch motivierte Umbenennung von Arten strikt ab: „Die im Code festgelegten nomenklatorischen Regeln sind Werkzeuge, die maximale Stabilität gewährleisten sollen, aber gleichzeitig mit taxonomischer Freiheit kompatibel sind.“ Die Kommission habe weder Zeit noch Ressourcen noch ein Mandat dafür, Namen auf ihre ethische Tauglichkeit zu prüfen. Richard Ladle hält dagegen: „Das technische Argument, unser Vorschlag führe zu Chaos und untergrabe die Stabilität der Namen, sollte nicht über ethischen Aspekten stehen. Ich bin überzeugt, dass wir diese Probleme durch moderne Rechenleistung in den Griff bekommen können.“

Weiterhin versprechen sich Guedes et al., dass die Umbenennungen die wissenschaftliche Disziplin der Taxonomie für Forscher des globalen Südens interessanter macht. Sie schlagen vor, die Neubenennung Forschern aus den Ursprungsländern der jeweiligen Arten zu übertragen – sozusagen als Akt der Inklusion und der Wiedergutmachung von Unrecht durch Imperialismus und Kolonialismus.

Bei den mutmaßlich Begünstigten stoßen diese Vorschläge nicht nur auf Gegenliebe. Eine Gruppe mittel- und südamerikanischer Taxonomen bezeichnet Eponyme als wichtiges Werkzeug für Biologen des globalen Südens (Nat Ecol Evol. doi.org/mcdh): „Es ist richtig, dass in der Vergangenheit überwiegend weiße Männer mit Eponymen geehrt wurden […] aber wir empfinden es als ungerecht, uns dieses Werkzeug jetzt wegzunehmen, wo wir es selbst nutzen können, um Taxa nach Menschen zu benennen, die für unsere Forschung von Bedeutung waren und sind.“ Deshalb sind die Autoren überzeugt: „Eponyme zu verbannen, würde die Wissenschaft schädigen – und sogar überproportional die im globalen Süden.“

Neokolonialismus

In seiner Ablehnung deutlich wird auch der sri-lankische Ichthy­ologe und Taxonom Rohan Pethiyagoda (Megataxa, 10(1): 4): „Die gefühlte Ungerechtigkeit durch unangemessene Namen ungeschehen zu machen, würde dem größeren Teil der globalen Wissenschaftlergemeinschaft schaden“, ist er überzeugt. Denn der Umbenennungsmarathon würde die Taxonomen von ihrer eigentlichen Aufgabe abhalten, neue Arten zu beschreiben, damit diese geschützt werden können. Die Umbenennung an Länder des globalen Südens zu delegieren, bezeichnet Pethiyagoda als neue Form des Kolonialismus – selbst wenn es gut gemeint ist.

Einig sind sich die meisten Beiträge darin, dass nomenklatorische Kommissionen endlich die Meinungen von Menschen aus den Herkunftsländern der Arten einbeziehen müssen. So erklärte auch ein weiterer PrePrint internationaler Autoren im November 2023 (ResearchGate, doi.org/mcdq), dass Nomenklatur-Codes für eine gerechtere und sensiblere Benennungspraxis angepasst werden müssen.

Guedes et al. schreiben ebenfalls, dass zumindest der zoologische Code genug Spielraum bietet, um die Vergabe von Eponymen einzuschränken oder auszuschließen. So wäre ein möglicher erster Schritt, alte Namen zu belassen, aber Neubenennungen nach Menschen ab sofort zu unterbinden. Ein Kompromiss zu dem Thema ist zwar in Anbetracht der vielen verschiedenen Standpunkte nicht in Sicht. Aber eines wird deutlich: Taxonomen aller Disziplinen werden in Zukunft bei der Benennung von Arten genauer hinschauen und miteinander im Gespräch bleiben müssen.

Larissa Tetsch

Bild: V. Munich

Dieser hier gekürzte Artikel erschien zuerst in ausführlicher Form in Laborjournal 1-2/2024.


Weitere Artikel aus dem aktuellen Laborjournal-Heft


- Genregulation in Raum und Zeit

Biologen steuern die Genexpression in sich entwickelnden Hirn-Organoiden – mithilfe von Licht.

- Embryoid-Modelle = Embryonen?

Schlag auf Schlag tauchten 2023 Verfahren auf, mit denen Forschende in vitro humane Embryoide erzeugten. Welche Embryoid-Modelle am ehesten den natürlichen Embryo widerspiegeln, ist Gegenstand einer Diskussion.

- Buch-Rezension: Erlebnisse einer Aussteigerin

Geschichte wird von den Siegern geschrieben – auch in der Wissenschaft. Eine sehr persönliche Geschichte vom Scheitern im Wissenschaftssystem erzählt Anne Christine Schmidt.

 




Letzte Änderungen: 27.02.2024