Stammzellnische
von Brynja Adam-Radmanic (Laborjournal-Ausgabe 03, 2007)
Ob Haut oder Haar, Darm oder Hoden, man kennt adulte Stammzellen als die verlässlichen Garanten für Zell-Nachschub. Und ihr Geheimnis ist eigentlich gar keines: Nach jeder Stammzell-Teilung differenziert sich eine der Tochterzellen, die andere übernimmt den Stammzell-Job der Mutter.
Bei der Forschung am blutbildenden System - wohl dem erfolgreichsten Modell für adulte Stammzellen - musste man aber erkennen, wie schwer es ist, Stammzellen
in vitro dazu zu bringen, ihr Stammzell-Kunststück vorzuführen. Kein noch so aufgefuchster Substanz-Cocktail konnte die Urmutter der Zell-Sippe, die Hämatopoetische Stammzelle (HSC), in Zellkultur zu ihren normalen, asymmetrischen Teilungen stimulieren.
Und auch über ihre Lage und die natürliche Umgebung im Knochenmark wusste man so gut wie gar nichts. Zwar ließen Kokultivierungsstudien vermuten, dass in der Regulation adulter Stammzellen auch Nachbarzellen eine Rolle spielen, doch die meisten Forscher unterschätzten die Bedeutung dieser Interaktionen.
Die Nischen-Hypothese
Erst 2000 wurde mit dem Nachweis einer Stammzell-Nische im
Drosophila-Ovar die Ahnung zur Gewissheit, der Faktor Umwelt rückte endgültig ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Allan Spradling vom Howard Hughes Medical Institute in Baltimore: "Wir zeigten erstmals, dass Stammzellen in ihrem Gewebe nicht wie kleine, autonome Maschinen arbeiten, sondern abhängig sind von den Signalen anderer Zellen."
Eine Nischen-Hypothese gab es für HSCs zwar schon seit 1978, ohne dass man aber in der Lage gewesen wäre, sie zu beweisen. Stattdessen hatte man sich jahrzehntelang eher auf Aspekte konzentriert, die für die Eigenständigkeit der Stammzellen sprachen.
Im Gegensatz zu den HSCs im Säuger-Knochenmark sind die Keimbahn-Stammzellen des
Drosophila-Weibchens innerhalb ihres Gewebes gut zu identifizieren. Sie sitzen nicht nur als große, runde Zellen ganz oben in den schlauchförmigen Ovariolen, in denen die Eier produziert werden, sie und ihre Nachkommen lassen sich auch mit histologischen und molekularen Markern eindeutig von umgebenden Zellen unterscheiden.
Signale aus der Nachbarschaft
Mit genetischen Techniken wie jener der Keimbahnklone konnten Spradling und seinen Kollegen zeigen, dass diese Stammzellen auf die Signale bestimmter Nachbarzellen, der Cap-Zellen, angewiesen sind, um sich auf die richtige Art und Weise zu teilen und zu differenzieren. "Diese Mikro-Umwelt, die die Aktivität von Stammzellen stabilisiert und reguliert, ist gemeint, wenn wir von der Stammzell-Nische sprechen", erklärt Spradling.
Das Signal, das Cap-Zellen an die benachbarten Keimbahn-Stammzellen senden, kommt in Form von
decapentaplegic (dpp), einem Ortholog des
bone morphogenetic protein-4 der Vertebraten. Es sagt der nächstliegenden Keimbahn-Zelle: Werde Stammzelle und bleib es! Lässt man das dpp-Signal verstummen, entstehen nur differenzierte Zellen. Denn ohne das Cap-Zell-Signal wird keine asymmetrische Teilung durchgeführt, beide Tochterzellen differenzieren. Umgekehrt führt eine Überexpression von dpp dazu, dass beide Tochterzellen Stammzellen werden.