Editorial

Enzymes for Future - Firmenporträt: Exazyme, Berlin

Angela Magin, Laborjournal 09/2023


(08.09.2023) Enzyme bieten sich als Spielwiese für künstliche Intelligenz geradezu an, heißt es beim Berliner Start-up Exazyme. Seitdem gedeihen dort optimierte Enzyme für eine ganze Reihe von Anwendungen.

„Krebs heilen und den Klimawandel aufhalten – das wären so die zwei Hauptsachen.“ Philipp Markert lacht. Nein, das sind keine kleinen Träume, die der Ingenieur, Chief Operating Officer (COO) und Mitgründer von Exazyme für die Zukunft hat. Dass es unrealistisch ist, diese mit seinem Unternehmen in den nächsten zehn Jahren zu verwirklichen, weiß er natürlich selbst. Aber: „Wir brauchen Firmen, die wirklich innovativ große Probleme bekämpfen wollen!“

Genau das war das Ziel von Markert und seinem Co-Firmengründer Ingmar Schuster, als sie im Jahr 2019 gemeinsam überlegten, was denn eigentlich die drängenden Themen unserer Zeit sind. Sie wollten die KI-Algorithmen, mit denen Schuster bereits seit einigen Jahren arbeitete, gewinnbringend nutzen, „nicht, um den Leuten Sachen zu verkaufen, die sie nicht brauchen, sondern mit der Frage: Wie können wir KI einsetzen, um der Menschheit etwas Gutes zu tun?“

3D-Bilderreihe eines Proteindesigns von einfach nach komplex
Illustr.: Generate Biomedicines

Perfekt geeignet für KI

Ernährung fiel ihnen als Erstes ein und der gigantische Landverbrauch, der dafür nötig ist, eine stetig wachsende Menschheit zu versorgen. Konnten sie die KI vielleicht für Präzisionsfermentation (englisch: Precision Fermentation) nutzen, um in Bioreaktoren auf viel geringerer Fläche lebensmitteltaugliche Proteine und Fette zu produzieren? Sie spannen den Gedanken weiter. „Was ist denn eigentlich der Driving Factor in der Mikrobe, der das umsetzt? Das sind Enzyme“, bringt Markert die Überlegungen der beiden Start-up-Gründer auf den Punkt.

Enzyme bieten sich als Spielwiese für die KI geradezu an, erklärt er. Die lange Kette aus Aminosäuren lässt sich in Form von Buchstaben darstellen, der Output in Form einer katalysierten Reaktion ist messbar. Beides kann die KI gut verarbeiten, und, ganz wichtig: „Man kann Enzyme fast überall in industriellen Prozessen einsetzen.“ Zum Beispiel, um Erze viel effektiver abzubauen. Die aktuell dafür eingesetzte Technik verbrauche nicht nur Unmengen an Wasser, sondern führe im Nebeneffekt auch dazu, dass Bergbauunternehmen jedes Jahr ein bis zwei Milliarden US-Dollar buchstäblich in den Müll werfen – weil sie das Erz nicht vollständig aus dem Gestein lösen können.

In zehn Minuten tausendfach verbessert

Andere Enzyme binden CO2 aus der Luft, das dann wiederum weiter verarbeitet werden kann, etwa zu Methanol oder auch zu Textilien, wie Markert vorschlägt: „Ich kann aus CO2 eine Jacke machen – das hört sich jetzt nach Science Fiction an, aber das hat den Vorteil, dass ich tatsächlich CO2-negativ arbeite, weil CO2 gespeichert bleibt.“ Das Anwendungsspektrum optimierter Enzyme ist noch vielfältiger: In Waschmitteln verbessern sie die Waschleistung, sie tragen zur Herstellung lebens- oder futtermitteltauglicher Produkte bei, sie können Wasser aufspalten, um Wasserstoff als Treibstoff zu erzeugen. Nicht zu vergessen die pharmazeutische Industrie, die sich KI bedient, um die Entwicklung von Medikamenten zu beschleunigen oder Antikörper zu optimieren. Insgesamt schätzt Exazyme den Markt für Proteinentwicklung auf rund 100 Milliarden Euro ein.

So krempelten Markert und Schuster die Ärmel hoch und gingen ans Werk. 2020 erhielten sie ein EXIST-Gründerstipendium, das es ihnen ermöglichte, in Ruhe ihre Ideen zu entwickeln und weiter an der KI zu arbeiten. Auch von der IBB Bank Berlin bekamen sie Fördermittel. Das Programm „KIEZ“, mit dem die Berliner Universitäten gezielt die Gründung von KI-Unternehmen unterstützen, half ihnen, sich zu vernetzen und wertvolle Kontakte zu knüpfen. Zwei Jahre nach der Gründung kamen die ersten Kunden – und Anfang 2023 eine Seed-Finanzierung in Höhe von zwei Millionen Euro durch die Risikokapitalgeber AIX Ventures und Atlantic Labs.

Das Kernteam von Exazyme: Jelena Ivanovska, Ingmar Schuster, Harry Sevi, Philipp Markert
Exazymes Enzym-Optimierer (v. li. n. re.): Jelena Ivanovska, Ingmar Schuster, Harry Sevi, Philipp Markert

Heute bietet Exazyme seine Dienstleistungen unter dem Slogan „Make designing chemistry as easy as using an app“ an. Die Software benötigt aktuell zwanzig Messpunkte, zum Beispiel Aminosäure-Sequenzen industriell relevanter Enzyme und deren Aktivitätsprofile. Mit diesen Daten spezifisch trainiert und anhand von Informationen aus öffentlichen Datenbanken wie UniProt und BRENDA berechnet die KI mögliche Varianten optimierter Enzyme – darunter häufig durchaus überraschende Variationen. Diese Enzyme können die Kunden im Labor testen und die Ergebnisse erneut in die Software einspeisen, um den Output weiter zu verbessern. In vielen Fällen liefert die KI jedoch bereits in der ersten Iteration Ergebnisse, die den Erwartungen der Kunden entsprechen.

Ein solcher Erfolgsfall ist eine Carboxylase, an deren Optimierung eine Forschungsgruppe sechs Jahre gearbeitet hatte. Mittels manueller Mutagenese hatten die Wissenschaftler die Aktivität des Enzyms bereits auf das Fünfhundertfache gesteigert. Mit diesen Daten traten sie an Exazyme heran. „Wir haben das Enzym in zehn Minuten 1.400-fach besser gemacht“, verkündet Markert stolz. Eine Optimierung, die sich experimentell verifizieren ließ und zeigte: Ja, das System funktioniert tatsächlich auch im Labor.

De-novo-Proteindesign in eigenen Laboren

Der Algorithmus erschließt sich mit jedem Projekt den Sequenzraum weiter und lernt dazu. Inzwischen existieren bereits Algorithmen, denen ein einziger Messpunkt genügt, um eine Prognose für die Enzym-Optimierung abgeben zu können. Auch das technisch anspruchsvollere De-novo-Proteindesign nimmt Exazyme sich vor. Das Start-up plant außerdem eigene Labore und will in naher Zukunft hierfür eine zweite Fundraising-Runde starten. „Statt die KI-Leistung nur als Service zu verkaufen, wollen wir in Zukunft gemeinsam mit Firmen Proteine entwickeln“, verrät Markert. Biochemikerin Jelena Ivanovska bringt dazu als Chief Scientific Officer ihre Expertise ins Unternehmen ein. Zum Kernteam gehören außerdem Harry Sevi als KI-Experte und mit Lukas Pluska ein weiterer Biochemiker, der die Kollaborationen managt.

In verschiedenen Welten

Mit seinen KI-optimierten Proteinen will Exazyme nicht nur Kunden zufriedenstellen, sondern auch die Themen angehen, die den Gründern am Herzen liegen – etwa, den Klimawandel zu bekämpfen. Dabei müssen an vielen Stellen Barrieren abgebaut werden. „Die Welten von Mathematik, KI, Statistik und auf der anderen Seite Biotechnologie, Enzyme, Proteine passen auf den ersten Blick nicht zusammen, die haben ihr eigenes Weltbild. Da muss man erst mal die Denkweise umstellen“, umreißt Markert die Situation. Zum Beispiel, um Ängste zu bekämpfen: „Da will ja keiner dem Biochemiker den Job wegnehmen – sondern ihm den Job besser machen!“

Um Ängste geht es oft auch an ganz anderer Stelle. Kleidungsstücke, die mithilfe KI-designter Enzyme aus CO2 hergestellt werden, werden vielleicht noch gekauft – anders sieht es aus, wenn es ums Essen geht und allein der Begriff „gentechnisch verändert“ bei den Konsumenten die Alarmglocken schrillen lässt. Hier setzt Exazyme darauf, mit solchen Produkten zu beginnen, die von Verbrauchern noch am ehesten akzeptiert werden.

Nicht zuletzt birgt die industrielle Umsetzung der Projekte ungeahnte Schwierigkeiten. „Die Industrien, in denen wir uns bewegen, sind sehr langsam. Man braucht einen sehr langen Atem, viel Geduld“, berichtet Markert. Bei so grundlegenden Veränderungen der Technik, wie Exazyme sie vorschlägt, blockieren viele Firmen, und selbst wenn Herstellungsprozesse mithilfe von Enzymen effizienter werden, verschleiern in vielen Fällen Subventionen die wahren Kosten der veralteten Prozesse. Aber der Jungunternehmer ist dennoch zuversichtlich: Dass ein industrieller Prozess immer so ineffizient gewesen sei, wäre nun eben dank Biotechnologie kein Argument mehr. Gerade mit dem Klimawandel, der die Menschheit vor immer größere Probleme stellt, steige vermehrt die Bereitschaft, etwas zu ändern.

So rät Markert anderen potenziellen Gründern: „Habt Mut zum Risiko!“ Denn Innovation könnten nur die vorantreiben, die den Mut haben, ihre Forschungsansätze in die Anwendung zu bringen. Entscheidend sei, schnell zu sein: Hypothesen testen, validieren und vor allem: Dazulernen – ganz ähnlich wie die KI. „Als Start-up musst du dich als schnell lernenden Organismus verstehen: Solange du schnell lernen kannst, ist der Rest eigentlich egal.“