Editorial

Groß durchstarten gegen kleine RNA - Firmenporträt: Curnova, Wiesbaden

Carolin Sage, Laborjournal 11/2023


(10.11.2023) Das junge Start-up Curnova arbeitet an Therapeutika gegen Arthrose. Damit hat sich die Chemikerin Meike Saul den Traum verwirklicht, ihre jahrelange Forschung über die microRNA miR-574-5p zur therapeutischen Anwendung zu bringen.

Wie der Name schon sagt, microRNA ist winzig klein. Meist sind die kurzen RNA-Abschnitte nur ungefähr 20 Basen lang. Bei der microRNA miR-574-5p, die Meike Saul erforscht, sind es 23 Nukleotide. „In diesem Fall kann die Sequenz noch von Hand in das Laborbuch eingetragen werden“, sagt sie und erinnert sich an ihre Postdoc-Zeit am Karolinska-Institut in Stockholm. Dort hatte sie die miR-574-5p für sich entdeckt. „Ich bin eigentlich Chemikerin und habe im Studium noch nicht einmal was von microRNAs gehört. Aber ich habe in der pharmazeutischen Chemie promoviert und zu dieser Zeit erstmals an miRNAs geforscht.“

Das war vor rund zehn Jahren, da steckte die Entwicklung von RNA-Therapeutika noch in den Kinderschuhen. Schon früh hatte man jedoch das große therapeutische Potenzial der kleinen microRNAs erkannt. Im Gegensatz zu mRNAs sind miRNAs nicht codierend. Heute weiß man: microRNAs können post-transkriptional die Genexpression regulieren. Sie sind deshalb wichtige Moleküle bei Stoffwechselprozessen wie zum Beispiel entzündlichen Erkrankungen oder Tumorwachstum. Auf den ersten Blick haben die beiden Krankheiten gar nicht so viel gemeinsam. Meike Saul, die Expertin für microRNA, sagt aber: „Tatsächlich sind sich die Prozesse gar nicht so unähnlich. Es gibt durchaus mechanistische Gemeinsamkeiten. Die physiologische Konsequenz, die aus dem Therapieansatz folgt, ist natürlich spezifisch für die jeweilige Erkrankung.“

Arthritis und Tumorerkrankungen

Die Erkenntnis, dass microRNA ein bedeutender Player in der zellulären Kommunikation ist, kam aber erst mit der Zeit. „Mir war zu Beginn meiner Forschung nicht bewusst, dass miR-574-5p so essentielle Prozesse beeinflusst. Da hatte ich vielleicht auch einfach Glück.“ Ursprünglich war Meike Saul zusammen mit ihrem Doktorvater Dieter Steinhilber auf die miR-574-5p gestoßen, als sie die Regulation der Prostaglandin-E-Biosynthese untersucht hatten, ein Mediator, der auch an Entzündungs- und Schmerzreaktionen beteiligt ist und dessen Biosynthese durch Analgetika wie Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure gehemmt wird. Mittlerweile hat die Forschung an miR-574-5p gezeigt, dass über sie mehrere Doktorarbeiten geschrieben werden können und die miRNA alles andere ist als „nur“ ein kleines Molekül, das in Zellen oder in extrazellulären Vesikeln schlummert. Vor zwei Jahren hat die Arbeitsgruppe um Saul (noch an der TU Darmstadt) eine Arbeit publiziert, die mögliche Effekte von miR-574-5p auf das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom, die häufigste Art von Lungenkrebs, zeigt (J. Extracell. Vesicles, 10(12):e12143).

CRN-001 in der Präklinik

Aktuell ist Meike Saul Professorin und Unternehmensgründerin. Zusammen mit ihrer Schwester Dorothee Krone und den zwei Forscherkollegen Aimo Kannt und Dieter Steinhilber hat sie das Start-up Curnova gegründet.

Schemazeichnung der Gabe einer Spritze ins Kniegelenk
Curnovas Präparat CRN-001 zielt auf die microRNA miR-574-5p. Diese regelt die Osteoklasten-Reifung hoch, wodurch die Knochenzerstörung bei Rheumatoider Arthritis verstärkt wird. Demnächst soll es klinisch getestet werden. Illustr.: Chenggui Miao/LJ

Im Mittelpunkt steht zunächst ein Arzneimittel gegen Arthrose, dessen Wirkung direkt am betroffenen Gelenk ansetzt. Dadurch können die lokalen entzündlichen Prozesse eingedämmt oder vielleicht sogar gestoppt werden. Untersuchungen in vitro und in vivo haben gezeigt, dass auch Knorpeldegeneration und Knochenresorption gemildert werden. Das Präparat mit dem vorläufigen Namen CRN-001 zielt auf die microRNA miR-574-5p ab, die Saul jahrelang erforschte. Sie reguliert die Osteoarthritis-Pathogenese. Der Wirkstoff befindet sich in fortgeschrittener präklinischer Entwicklung. Die Entwickler setzen auf einen langanhaltenden therapeutischen Nutzen bei nur geringen Nebenwirkungen.

Keine Science-Fiction mehr

„Als ich größeres Verständnis darüber erlangt hatte, wie diese miRNA arbeitet, wollte ich natürlich auch ein Therapeutikum entwickeln. Schon vor zehn Jahren fand ich diese Idee sehr reizvoll. Damals hat man mir aber noch davon abgeraten und gesagt, man hätte das probiert und sei kläglich gescheitert. Mittlerweile hat sich die Technologie weiterentwickelt“, erzählt Saul. Umgesetzt hat sie ihr Vorhaben also erst kürzlich, im April 2023. Denn erst mit der Pandemie ist die Ära der RNA-Therapeutika so richtig angebrochen. Sowohl in der breiten Bevölkerung als auch in der wissenschaftlichen Community haben RNA-Forschung und daraus entwickelte Therapien ordentlich Schub erhalten. Saul erklärt: „Noch vor vier Jahren waren miRNA-Thera­pien irgendwie Science-Fiction. Man wusste einfach nicht, ob das irgendwann mal auf den Markt kommt. Zumindest nicht in greifbarer Nähe. Mittlerweile ist auch jenseits der wissenschaftlichen Gemeinschaft eine breite gesellschaftliche Akzeptanz da. Das ist unsere Basis.“

Curnova-Team mit dem Boehringer-Ingelheim-Innovationspreis
Curnova-Team mit dem Boehringer-Ingelheim-Innovationspreis (v.l.): Dieter Steinhilber, Meike Saul, Dorothee Krone, Aimo Kannt

Doch auch nach der Gründung von Curnova sieht sich die miRNA-Expertin in der Rolle der universitären Forscherin: „Ich habe seit Oktober eine Professur für Translationale Onkologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Hier geht nun meine Forschung weiter. Ich bin also auch sehr in die universitären Strukturen eingebunden.“

Intensive Monate

Ihren Traum Curnova verwirklicht sie quasi nebenher. Das ist manchmal ziemlich anstrengend. „Die letzten Monate waren, sagen wir mal, intensiv“, sagt sie und lacht. Aber ganz alleine steht sie nicht da. Unternehmerische Hilfe bekommt sie von ihrer Schwester Dorothee Krone, die bereits Erfahrung mit Firmengründungen hat und Geschäftsführerin von Curnova ist. Zudem stand bei der Gründung die TU Darmstadt beratend zur Seite. Auch Dieter Steinhilber bringt bereits Gründer-Erfahrung mit.

Einfach ist es trotzdem nicht. „Es gibt innerhalb von Deutschland bundeslandspezifisch große Unterschiede im Support. Das ist schon sehr erstaunlich.“ Speziell für Frauen, die viel seltener gründen als Männer, bietet das BMBF (Bundesministerium für Bildung und Forschung) seit Juni 2023 eine spezielle Fördermöglichkeit an: die „EXIST-Women“-Förderlinie. Saul unterstützt solche Initiativen gerne.

Eine wichtige Unterstützung für Curnova war der Boehringer-Ingelheim-Innovationspreis, der dem Team des Start-ups im März dieses Jahres verliehen wurde. Kurz vor Gründung war das Unternehmen also schon preisgekürt. Die Auszeichnung ermöglicht dem jungen Unternehmen die kostenlose Nutzung von Laborräumen bei BioLabs in Heidelberg, einem Coworking Space für junge Biotech-Start-ups. „Theoretisch haben wir also schon eigene Laborräume. Auch das Netzwerk von BioLabs ist sehr attraktiv für uns. Aber es ist unser Vorhaben, dass wir die Forschung auch im akademischen Rahmen und in Form von Kooperationen weiterführen.“ Curnova ist dabei durchzustarten, denn auch direkte Konkurrenten gibt es keine.

Im Moment ist Curnova, wie jedes neu gegründete Unternehmen, auf der Suche nach Investoren. „Wir haben eigentlich eine gute Ausgangssituation: Wir haben die nötige Expertise im Gründerteam und gute Kontakte, über die wir weiteres Wissen einholen können. Wir sind quasi startklar für die präklinische Forschung und die anschließenden toxikologischen Studien.“