„Fast jedes Gift hat einen Antagonisten“
(24.10.2019) Drei Regensburger wollen der Volksdroge Alkohol an den Kragen. In ihrer Firma Evanium Healthcare entwickeln sie einen selektiven Alkohol-Antagonisten.
Laborjournal: Herr Ofner (rechts), Herr Rolka (Mitte), Sie studieren beide noch, und zwar molekulare Medizin beziehungsweise Betriebswirtschaftslehre. Auch ihr dritter Mitgründer, Felix Carlo Werkmann (links), steckt mitten im Jurastudium. Wie verträgt sich das mit einer Firmengründung?
Felix Rolka: Wir arbeiten jetzt seit fast zwei Jahren im Team zusammen. Natürlich kostet das viel Zeit, das Studium leidet darunter. Im Endeffekt liegt es bei uns allen auf Eis.
David Ofner: Aber wir haben auch viel Hilfe von externen Partnern bekommen, von der Uni Regensburg und vom Uniklinikum Würzburg. Das war absolut Gold wert.
Die Firmengeschichte begann also vor zwei Jahren?
Rolka: Der Grundstein wurde im November 2017 in der Startup Factory gelegt. Dort können Gründungsinteressierte an einem Wochenende aus einer Idee ein Geschäftsmodell entwickeln. Eine Jury, mit Vertretern der Uni und der OTH (Ostbayerische Technische Hochschule; Anm. d. Red.) hier aus Regensburg, aber auch aus der freien Wirtschaft, bewerten diese Ideen. Evanium hat den ersten Platz belegen können, damals noch unter einem anderen Projektnamen.
Der da wäre?
Rolka: Der Projektname damals war Holy Shot. [beide lachen] Aber wir betonen, dass das zu diesem Zeitpunkt nur ein Projektname war! Inzwischen arbeiten wir viel mit externen Forschungspartnern, aber unser Kernteam sind weiterhin die drei Gründer.
Auf der Webseite des Bioparks Regensburg steht über Sie geschrieben: „Seit 2018 sucht das junge Unternehmen nach einem klinisch einsetzbaren Alkohol-Antagonisten, mit welchem sowohl Wirkung als auch Nebenwirkung des Trinkalkohols effektiv entgegengewirkt werden kann.“ Wofür ist das erstrebenswert?
Ofner: Im Prinzip gibt es für fast jedes Gift einen passenden Antagonisten. Aber für das am meisten konsumierte Gift, mit dem es tatsächlich die meisten Vergiftungen gibt, eben nicht. Das grundsätzliche Problem ist, einen selektiven Antagonisten zu finden. Alkohol als kleines Molekül hat keine typische Bindungstasche, wie es beispielsweise bei Opioiden der Fall ist. Deshalb kann es eine Vielzahl von Rezeptoren modulieren. Dementsprechend schwer ist es, eine Person zu stabilisieren, die eine gefährliche Dosis an Alkohol zu sich genommen hat, oder einen Alkoholsüchtigen zu therapieren. Opioid-Abhängige können Sie mit Naltrexon einstellen, also einen spezifischen Antagonisten der Opioid-Rezeptoren. Die Droge hat dann ihre gewünschte Wirkung nicht mehr, so dass es für Betroffene deutlich einfacher ist, nicht wieder zur Droge zu greifen. Zudem erhöht der Entzug mit Naltrexon die spätere Abstinenzrate, weil durch die Blockade der Rezeptoren diese hochreguliert und somit normalisiert werden. Das verkürzt die Abhängigkeitsdauer. Beides ist bei Alkohol bisher nicht der Fall.
Aber jetzt ist das möglich?
Ofner: Jetzt könnte das möglich sein, genau.
Rolka: Zum jetzigen Zeitpunkt fehlen uns noch Nachweise im Format einer Humanstudie, da wir als Startup natürlich begrenzte Mittel haben. Aber die bisherigen Ergebnisse und theoretischen Herleitungen sind sehr positiv. Wenn wir durch unser Alkohol-Antidot die alkoholbedingten Schäden und Nebenwirkungen reduzieren können, hätten wir durchaus eine Mehrwert geschaffen.
Ofner: Der zweite wichtige Punkt: Alkohol wirkt nämlich nicht nur auf neurologischer Ebene, sondern führt auch zu den typischen körperlichen Schäden. Es gab in der Vergangenheit bereits Versuche, einen Alkohol-Antagonisten zu etablieren. Die Firma Hoffmann-La Roche hatten mit Ro 15-4513 tatsächlich einen Wirkstoff-Kandidaten gefunden, der im Tierversuch die Alkoholwirkung aufhob. Da der Wirkstoff jedoch kein selektiver Antagonist war, traten bei minimal falscher Dosierung teils heftige Nebenwirkungen wie Krämpfe oder epileptische Anfälle auf. Da zudem die körperlichen Schäden blieben, wurde dieses Projekt wieder eingestellt. Wir sind mit einem anderen Blickwinkel herangegangen und haben auch ganz andere Möglichkeiten als damals. Mit computergestützten Simulationen konnten wir in silico mit relativ geringem finanziellen Aufwand eine große Anzahl möglicher Wirkstoff-Kandidaten durchtesten.
Getestet haben Sie Ihren Antagonisten bisher in der Zellkultur?
Ofner: Richtig. Wir haben in transfizierten HEK-Zellen das Verhalten per Patch-Clamp-Messung untersucht. Dazu haben wir Alkohol-sensitive GABAA-Rezeptoren genutzt, also nur einen bestimmten Teil der inhibitorischen GABAA-Rezeptoren im Gehirn, genauer die tonischen Rezeptoren mit einer Delta-Untereinheit. Im Zellkulturversuch zeigten tonische Rezeptoren eine negative Modulation, wenn sie unserem Wirkstoff-Kandidaten zusammen mit GABA ausgesetzt waren, phasische GABAA-Rezeptoren hingegen nicht. Das ist nicht selbstverständlich, denn die Rezeptoren unterscheiden sich nur in wenigen Aminosäuren. Aber so könnte man Alkohol-Intoxikationen gut behandeln, ohne bei einer falschen Dosierung Angst vor drastischen Nebenwirkungen haben zu müssen.
Das ist wirtschaftlich gesehen ein nicht gerade unerhebliches Marktpotential. Stehen die großen Firmen bei Ihnen Schlange?
Rolka: Bisher haben wir relativ stark unter‘m Radar gearbeitet, um mit unseren Forschungsergebnissen erst einmal klar beweisen zu können, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Ofner: Außerdem haben wir letztes Jahr den Wirkstoff zum Patent angemeldet. Im November läuft die Prioritätsfrist ab, und ab diesem Zeitpunkt können wir frei reden. Aber natürlich sind wir bereits auf der Suche nach starken Partnern, um relativ bald in die klinische Phase gehen zu können.
Gibt es Kritik an einem Alkohol-Antagonisten?
Ofner: Alkohol ist natürlich Bestandteil der öffentlichen Debatte und damit ein schwieriges Thema. Es ist nicht Sinn des Produkts, Alkohol unschädlich zu machen, damit mehr konsumiert werden kann. Wir wollen Alkohol-Intoxikationen behandeln. Wir sehen uns eher wie eine Art Zigarettenfilter, um mit einer Metapher zu sprechen: Alkohol wird so oder so konsumiert. Nun schauen wir, dass Schäden so weit wie möglich eingegrenzt werden können.
Verraten Sie mir noch, was Evanium bedeutet? Ein entsprechendes Element im Periodensystem gibt es zumindest nicht.
Rolka: [lacht] Ja, das ist eine Wortneuschöpfung. Das erklärt am besten David.
Ofner: Wir haben relativ lange nach einem Namen gesucht, einen, der sich gut einprägt und auch ein bisschen wissenschaftlich klingt. Im Prinzip ist Evanium eine Kombination der lateinischen Worte ‚evalescere‘ für erstarken, wachsen, und ‚ingenium‘, was für Schöpfergeist und erfinderische Tätigkeit steht.
Die Fragen stellte Sigrid März
Steckbrief Evanium Healthcare
Gründung: 2018 als GbR, seit 2019 eine GmbH
Sitz: Regensburg
Mitarbeiter: 3
Produkt: ein selektiver Alkohol-Antagonist