Patienten im Mittelpunkt
Hofferbert hat Psychologie studiert und anschließend bei einer Unternehmensberatung und einem Startup gearbeitet. Schon damals merkte er, dass eigentlich ein Netzwerk fehlt, das Leute mit Ideen an einen Tisch bringt. Dann stieß er auf Hacking Health, die genau das machen, und gründete zusammen mit Yannick Schreckenberger und Akira Poncette die Niederlassung in Berlin. „Unser Ziel ist es, ganz konkrete Probleme im Gesundheitswesen zu lösen, mit Fokus auf digitale Medizin. Wir wollen Ideen entwickeln, die für Mediziner und Psychologen relevant sind und dabei immer den Patienten in den Mittelpunkt rücken. Dafür arbeiten wir mit Ärzten, Krankenschwestern oder Psychologen zusammen, aber auch mit anderen Akteuren in der digitalen Medizin wie Designern, Entwicklern, Datenspezialisten und Business-Experten“, erklärt der Gründer und Vorstand.
Berlin ist dafür das perfekte Pflaster und Hacking Health ist mittlerweile weit bekannt in der Digital-Healthcare-Szene. Die Veranstaltungen von Hacking Health finden überwiegend auf Englisch statt, um die internationale Szene der Experten anzusprechen. Der gemeinnützige Verein ist außerdem auf die Unterstützung von Freiwilligen angewiesen, wie Joscha Hofferbert erklärt. „Bei uns gibt es nur Freiwillige, niemand bekommt Geld für sein Engagement, auch nicht der Vorstand. Und jeder kann bei uns mitmachen, wir sind offen für jede und jeden, der etwas beitragen möchte.“
Her mit den Ideen!
Für den „Innovationsschub“ gibt es bei Hacking Health Wettbewerbe, sogenannte Hackathons, bei denen Ideen zu ausgewählten Problemen im Gesundheitswesen gesucht werden. Die beste Idee gewinnt und wird im Idealfall weiterentwickelt. Zum augenscheinlich größten Problem im Gesundheitswesen derzeit – der Bedrohung durch das neue Coronavirus – gab es über Ostern einen solchen Hackathon in Berlin. „Wir wollten unbedingt etwas zum Coronavirus machen und dachten uns, wir probieren einfach einen digitalen Hackathon“, erklärt Hofferbert die Besonderheit dieses Events. Es konnten sich nämlich nicht wie sonst üblich die Teilnehmer in einem Gebäude versammeln, sondern alles lief online per Videotelefonie und Gruppenchats ab.
Ein Hackathon funktioniert so: Vorgegeben sind verschiedene Themengebiete, in denen Lösungen gefunden werden sollen. „Wir hatten dieses Mal zum Beispiel die Themen ‚mental health‘ und Schutz von Hochrisiko-Patienten. Das sind dann die Rahmengebiete, in denen die Teams Ideen entwickeln.“ Die Teams werden aus Teilnehmern zusammengewürfelt, die sich vorher zum Hackathon beworben haben. „Man kann sich entweder mit einer Idee bewerben zu einem der Gebiete, die wir im Voraus bekanntgeben. Oder man bewirbt sich als freier Teilnehmer“. Aber nicht jeder Bewerber wird auch zum Hackathon zugelassen, erläutert Vorstand Hofferbert. „Beim Hackathon an Ostern hatten wir 120 Teilnehmer ausgewählt. Das ist eine gute Zahl, denn zu viele Leute sollten es auch nicht sein.“
Die Teams bilden sich um die Teilnehmer, die schon mit Ideen gekommen waren. Man tüftelt zwei bis drei Tage an der Idee und entwirft vielleicht einen Prototypen, etwa eine App oder ein Hardware-Gerät. Zum Beispiel wurde einmal ein Gerät entwickelt, um den intravenösen Druck an der Halsschlagader mittels Kamera-Aufzeichnungen zu messen. „Dazu hatte das Team den Prototypen entwickelt, der direkt vorgeführt werden konnte. Aus einer einfachen Webcam, einer Lampe, die ein Licht auf den Hals geworfen hat, und der nötigen Software und Datenanalyse“, erinnert sich Hofferbert.
Schmerzpunkte der Charité
Normalerweise kommen die Themenvorgaben oder challenges aus den Köpfen des Organisationsteams in Berlin. Beim Corona-Hackathon hat sich das Team aber anderweitig Informationen eingeholt, so Hofferbert: „Zusammen mit den Ärzten der Charité haben wir uns angeschaut, was eigentlich die größten Schmerzpunkte im Moment sind und wo die Ideen aus einem Hackathon tatsächlich nützlich wären für die Mitarbeiter der Charité.“ Herauskam: die Versorgung mit Materialien, der Schutz des Personals, mentale Gesundheit oder das Contact Tracing von Infizierten.
Und das 3-tägige Ideentüfteln hat sich gelohnt. So wurde etwa der Health Manager entwickelt, der alle Forschungsartikel über SARS-CoV-2 und COVID-19 sammelt und für Allgemeinmediziner aufbereitet. Das soll insbesondere Ländern helfen, auf die die „Corona-Welle“ erst noch zurollt, oder bei der nächsten Pandemie. „Auch die längst überfällige Innovation des Krankenhaus- und Gesundheitsmanagements erfordert einen direkteren Transfer zwischen Forschern und Praktikern“, unterstreicht Hofferbert.
Den Preis für die realisierbarste Lösung bekam Contrib2.us – eine Plattform, auf der kritische Ressourcen und Dienstleistungen angeboten oder erfragt werden können. Zum Beispiel: „Ich habe gerade eine Schachtel mit N95-Masken in meiner Garage entdeckt. Wohin kann ich sie schicken?“. Eine praktische, digitale Lösung also für große, reale Probleme.
Und natürlich sollten diese guten Ideen nun zügig in die Praxis umgesetzt oder kommerzialisiert werden. „Im letzten Jahr haben wir den Inkubator „Vision Health Pioneers“ ins Leben gerufen, um Teams aus dem Hackathon dabei zu unterstützen, Unternehmen zu gründen,“ erzählt Hofferbert.
Darin ist zum Beispiel schon das Gewinnerteam aus dem Hackathon vom letzten Jahr untergebracht. Deren Idee war es ursprünglich, eine Slip-Einlage für Frauen während der Menstruation zu entwickeln, die die Feuchtigkeit misst. „Jetzt hat sich herausgestellt, dass es dafür eine riesige Nachfrage in Altenheimen gibt. Den alten Leuten ist es oft peinlich, nach den Pflegern zu klingeln, wenn sie sich eingenässt haben. Mit der Einlage wird einfach automatisch detektiert, wenn Feuchtigkeit entstanden ist,“ erklärt Hofferbert.
Die Idee dazu war übrigens erst beim Hackathon zum Thema Female Health entstanden, von einer Krankenschwester und einer Biologin. Ein perfektes Beispiel also, wie gute Ideen aufkommen, wenn man nur die Rahmenbedingungen dafür schafft und Menschen zusammenbringt.
Karin Lauschke
Bild: Pixabay/Geralt