Vielseitige Opportunisten
Vibrionen sind im Süß- und Salzwasser weit verbreitet. Viele Arten leben auf oder sogar symbiotisch in Meerestieren wie Fischen, Krebstieren oder Tintenfischen. Andere wiederum sind berüchtigt dafür, in Aquakulturen, in denen Fische und Krebstiere auf engem Raum gehalten werden, großen Schaden anzurichten. Auch für Menschen werden Vibrio-assoziierte Infektionen manchmal gefährlich: So kann der Verzehr von mit Vibrio parahaemolyticus infizierten Meerestieren schwere Magen-Darm-Erkrankungen hervorrufen.
Zu den besonders gut an Brackwasser angepassten Arten, wie man es in der Ostsee mit ihrem Salzgehalt von nur acht Promille und auch in der Nordsee im Mündungsbereich von Flüssen findet, gehören zwei weitere potenzielle Krankheitserreger der Gattung: Vibrio cholerae und V. vulnificus. Zwar lösen nicht alle V.-cholerae-Stämme Cholera-Epidemien aus, aber auch die sogenannten Nicht-Cholera-Vibrionen, die in Nord- und Ostsee vorkommen, können schwere Wundinfektionen verursachen. Dasselbe gilt für V. vulnificus, der darüber hinaus als Verursacher von tödlichen Lebensmittelvergiftungen und Blutvergiftungen bekannt ist.
Die Behandlung von Vibriosen erfolgt meist mit einer Kombination aus Cephalosporinen und Tetrazyklinen. Dennoch verläuft rund ein Viertel aller Wundinfektionen durch V. vulnificus tödlich, während eine Blutvergiftung oder ein septischer Schock durch bakterielle Endotoxine die Prognose sogar noch verschlechtern. Generell sind die meisten Vibrionen allerdings eher opportunistisch, das heißt, sie stellen vor allem für alte und immungeschwächte Personen mit Vorerkrankungen wie Diabetes, Krebs und Lebererkrankungen eine Gefahr dar.
Badewanne Ostsee
Vibrionen sind zwar natürliche Bewohner der Ostsee, doch sie bevorzugen eigentlich höhere Temperaturen. Im Zuge des Klimawandels steigen die Wassertemperaturen aber auch in der Ostsee immer öfter auf über 20 °C. Den Badegast freut es, aber gleichzeitig fördern höhere Temperaturen auch das Bakterienwachstum. So war es wohl kein Zufall, dass Vibriosen ausgerechnet im besonders heißen Sommer 2018 drei Todesopfer forderten. Bereits im Jahre 2012 haben Craig Baker-Austin et al. auf dieses Problem aufmerksam gemacht, als sie berechneten, dass die Temperatur des Oberflächenwassers in der Ostsee in den Jahren 1982 bis 2010 durchschnittlich um 0,063–0,078 °C pro Jahr zugenommen hatte (Nat Clim Chang, 3: 73). Vor allem kurzfristige Temperaturspitzen führten zu einer unerwarteten Vermehrung von Vibrionen im Meerwasser.
Auch für die Nordsee – mit einer seit den 1960er Jahren durchschnittlichen Temperaturzunahme von 0,4 °C pro Dekade eines der sich am schnellsten erwärmenden Meere weltweit – gibt es aktuelle Erhebungen (Sci Total Environ, 707:136113). „In unserer Studie haben wir das Vorkommen von verschiedenen Pathogenitätsgenen der Arten V. parahaemolyticus, V. vulnificus und V. cholerae untersucht“, so Erstautorin Sidika Hackbusch. „Wir wissen, dass diese Pathogenitätsgene in der Nordsee-Population präsent sind. Das könnte dazu führen, dass sich durch genetischen Austausch hochpathogene Stämme bilden.“
Für die Studie des Alfred-Wegener-Instituts hatte ein Schiff über ein Jahr lang einmal im Monat einen 62 Kilometer langen Abschnitt von der Elbemündung bis zur Insel Helgoland abgefahren und Wasserproben genommen. Vor allem in Gebieten mit niedriger Salinität wie im Bereich von Flussmündungen waren die Vibrionen vertreten. Sie traten im Frühjahr ab einer Temperatur von über 17° auf und blieben im Herbst bis zu einer Temperatur von 13,3 °C nachweisbar.
Besonders beunruhigend war der erstmalige Nachweis eines V.-cholerae-Isolats vom Serotyp O139 – neben O1 der zweite Serotyp, der als Erreger der Cholera bekannt ist. Das Nordsee-Isolat besaß jedoch nicht die Fähigkeit zur Bildung von Choleratoxin. Trotzdem empfiehlt Hackbusch, zukünftig das Vorkommen und die Pathogenität von Vibrionen in der Nordsee systematisch und langfristig zu untersuchen. „Auch in der Nordsee kommt es zu Vibriosen. Aber leider gibt es keine Meldepflicht für diese Infektionen an die Gesundheitsbehörden, was wahrscheinlich dazu führt, dass (auch) in der Nordsee Infektionen unterschätzt werden“, so die Mikrobiologin.
Vorsicht ohne Panik
An der mecklenburg-vorpommerischen Küste überwacht das Landesamt für Gesundheit und Soziales in Rostock (Lagus) ab einer Wassertemperatur von 20 °C an sieben Stellen das Vorkommen von Vibrionen. In Schleswig-Holstein wird laut Auskunft des Landessozialministeriums nicht standardmäßig nach Vibrionen gesucht, doch in den Jahren 2011 bis 2016 haben verschiedene Sonderuntersuchungen in der Kieler Förde und der Schlei V. parahaemolyticus, V. vulnificus und V. cholerae nachweisen können und zwar vor allem im Flachwasser bei entsprechend hohen Temperaturen.
Badeverbote aufgrund der Gefahr von Vibriosen seien, so Lagus-Direktor Heiko Will gegenüber dem Nordkurier, nicht sinnvoll, da die Bakterien überall vorkämen. Auch gäbe es keinen Schwellenwert, ab dem eine Infektion wahrscheinlich wird. Auch angesichts der aktuellen Zahlen scheinen Badeverbote (noch) nicht berechtigt. Immerhin baden jedes Jahr hunderttausende von Menschen in der Ostsee, während die Fälle von Vibriosen im ein- und niedrigen zweistelligen Bereich liegen.
Wachsam bleiben sollte man dennoch. Je nach Quelle ist bereits jetzt (Stand 02.07.2020) in einzelnen Badeorten wie Danzig und Usedom die kritische Temperatur von 20 °C erreicht. Das Lagus empfiehlt Badegästen, die zur Risikogruppe gehören oder größere Hautverletzungen aufweisen, den Kontakt mit dem Meer- und Brackwasser zu meiden. Auf einer im Internet verfügbaren Badewasserkarte liefert die Behörde zu jeder Badestelle auch Informationen zur Gefährdung durch Vibrionen. Und das Robert-Koch-Institut stellt eine interaktive Karte, den Vibrio Viewer, zur Verfügung, auf der abzulesen ist, wie gut gerade die Bedingungen für die Vermehrung von Vibrionen sind. Dann hat es jeder selbst in der Hand, gegebenenfalls auf das erfrischende Bad zu verzichten.
Larissa Tetsch
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