Impfstoff für alle
(15.10.2020) Damit die gesamte Weltbevölkerung mit einem COVID-19-Impfstoff versorgt werden kann, tüftelt Contivir an effizienten Bioreaktoren im Schlauchformat.
Seit Monaten prägt die COVID-19-Pandemie unseren Alltag. Nachdem die Infektionszahlen über den Sommer gesunken waren, kündigt sich derzeit in vielen Regionen der Welt eine zweite Krankheitswelle an. Man muss kein Prophet – und auch kein Virologe sein – um zu erkennen, dass wir noch lange mit der Pandemie und ihren Folgen leben werden. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass es eine wirkliche Entwarnung erst geben wird, wenn ein oder besser mehrere Impfstoffe zur Verfügung stehen. Die Entwicklung von Impfstoffen ist jedoch langwierig und zudem noch teuer, selbst wenn man wie im Falle von COVID-19 auf Impfstoffe gegen verwandte Viren wie den SARS-Erreger aufbauen kann.
Ein Spin-off-Projekt des Max-Planck-Instituts für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg könnte nun helfen, die Entwicklung von COVID-19-Impfstoffen zu beschleunigen. Eigentlich hat sich das Projekt Contivir zum Ziel gesetzt, Verfahren zur kontinuierlichen Produktion viraler Vektoren für die Gentherapie zu etablieren und mit diesem Knowhow eine Firma zu gründen. Die in der MPI-Arbeitsgruppe „Bioprozesstechnik“ von Udo Reichl und seinem Team erarbeiteten Technologien, die bereits erfolgreich zur Produktion von Influenzaviren für die Impfstoff-Produktion getestet wurden, bieten aber auch Chancen für die COVID-19-Impfstoffentwicklung.
Kontinuierliche Virusernte
Konkret werden zwei Methoden zur Herstellung und Aufreinigung der Viruspartikel miteinander kombiniert, basierend auf den Doktorarbeiten der potentiellen Gründer Felipe Tapia und Pavel Marichal-Gallardo. Die Produktion der Partikel findet in einem sogenannten Schlauchreaktor statt, der kontinuierlich betrieben wird, wie Tapia, zuständig für die technische Entwicklung, erklärt: „In Schläuchen mit einer Länge von circa 100 Metern, einem Durchmesser von wenigen Millimetern und einem Volumen von 210 Millilitern werden langsam Zellen suspendiert in Nährlösung transferiert, die am Reaktoreingang mit Virus infiziert wurden. Während der Zeit, in der die infizierten Zellen durch den Reaktor strömen, findet die Virusreplikation statt. Am Reaktorende können die Viren kontinuierlich geerntet werden.“
Die Schlauchreaktoren können bis zu 20-mal kleiner sein als herkömmliche Reaktoren, die im Batch-Modus betrieben werden, und benötigen zudem nur die Hälfte der Zeit, um die gleiche Menge viraler Partikel herzustellen. Das ist nicht nur im Falle des COVID-19-Impfstoffs, mit dem sobald wie möglich die komplette Weltbevölkerung versorgt werden soll, ein Vorteil. Auch die jährlich wiederkehrende Herstellung eines auf die Saison abgestimmten Grippe-Impfstoffs könnte von den effizienten Schlauchreaktoren profitieren.
Zehnmal effizienter
Um die Viruspartikel mit hoher Ausbeute von Zellen, Zellbruchstücken und anderen Bestandteilen des Kulturmediums abzutrennen, wird eine chromatographische Trenntechnik verwendet, die Steric Exclusion Chromatography (SXC). Dazu wird die Probe mit Polyethylenglykol gemischt und in eine Filtereinheit gegeben. Die Viruspartikel reichern sich an der Membran-Oberfläche an und können nach einem Waschschritt in einem Puffer ohne Polyethylenglykol eluiert werden. „Unsere Technologien sind mehr als zehnmal so effizient wie die aktuellen Fertigungssysteme“, sagen die Forscher in einer Pressemitteilung. „Sie können daher mehr Material für Analysen oder für vorklinische Tests bereitstellen. Sie haben das Potenzial, Engpässe bei der Herstellung von Impfstoffen zu reduzieren und damit die langen Wartezeiten zu verkürzen, die letztendlich die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen bedrohen könnten.“
Allerdings sind SARS-CoV-2-Partikel sehr infektiös, so dass nur unter hohen Sicherheitsauflagen mit ihnen gearbeitet werden kann. Contivir setzt deshalb auf sogenannte Virus-ähnliche Partikel, die den Erregern zwar ähnlich genug sehen, um als Impfstoffkandidat eingesetzt werden zu können, gleichzeitig aber kein Erbgut enthalten und deshalb auch nicht infektiös sind. „Wir arbeiten derzeit daran, unsere Technologie auf eine Transfektions-basierte Virusproduktion auszudehnen“, so Marichal-Gallardo, der zusammen mit Tapia für die technische Entwicklung bei Contivir verantwortlich ist. „Die genetische Information liegt in Form von Plasmiden vor, und nach der Transfektion exprimieren die Zellen in unseren Bioreaktoren vier Strukturproteine von SARS-CoV-2, darunter das Spike-Protein. Diese Proteine bilden dann über die natürliche thermodynamische Affinität Capside in etwa von der Größe normaler SARS-CoV-2-Partikel.“
Interesse ist da
Laut Julian Lopez, dem Dritten im Gründer-Bunde und bei Contivir verantwortlich für die Geschäftsentwicklung, lässt sich mit der firmeneigenen Methode in nur wenigen Wochen ein Impfstoffkandidat für eine neue Krankheit wie COVID-19 herstellen: „Etwa die Hälfte der derzeit von der Weltgesundheitsorganisation gelisteten Impfstoffkandidaten gegen COVID-19 können mit unserem System hergestellt und gereinigt werden (…) Mehrere biopharmazeutische Unternehmen, darunter einige der führenden Unternehmen auf diesem Gebiet, haben bereits Interesse an unseren Technologien bekundet. Wir haben kürzlich damit begonnen, ihnen Prototypen zur Verfügung zu stellen, damit sie sie evaluieren können.“
Larissa Tetsch
Foto: Felipe Tapia/Contivir